Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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9. Dezember 1905 Staat und Religion getrennt in Frankreich

Eigentlich begann er seine Laufbahn als frommes Lamm: Der französische Premierministers Émile Combes besuchte ein Priesterseminar und promovierte in Theologie. Später, am 9. Dezember 1905, trat sein "Gesetz zur Trennung von Religion und Staat" in Kraft.

Stand: 09.12.2010 | Archiv

09 Dezember

Donnerstag, 09. Dezember 2010

Autor(in): Christian Feldmann

Sprecher(in): Ilse Neubauer

Redaktion: Thomas Morawetz / Wissenschaft und Bildung

1894 trat ein aufgeweckter Junge namens Iosseb Dschughaschwili in das angesehene Priesterseminar von Tiflis in Georgien ein, dessen Mönche als eingefleischte Gegner des Zarentums galten. Später nahm er den Decknamen Stalin - "der Stählerne" - an, ließ an die 96.000 Priester, Mönche und Nonnen erschießen und erwarb sich den Ruf des schlimmsten Christenverfolgers der neueren Geschichte.

Aus gottesfürchtigen Elternhäusern stammten auch die führenden Köpfe der Französischen Revolution. Danton und Robespierre wurden von Oratorianer-Patres erzogen. Jean-Paul Marat, der Radikalste von allen, war der Sohn eines gescheiterten Priesters. Jean-Jacques Rousseau, dessen Freiheitsträume sogar Voltaire zu aufklärerisch erschienen, lebte für kurze Zeit im Priesterseminar von Annecy. Rudolf Höß, der finstere Kommandant von Auschwitz, hätte nach dem Willen seiner Eltern Priester werden sollen.

Es ist merkwürdig - oder auch nicht: Die wütendsten Antiklerikalen waren einmal richtig fromme Lämmer. So auch der von 1902 bis 1905 amtierende französische Premierminister Émile Combes, ein ehemaliger Priesterseminarist und promovierter Theologe, der später Arzt wurde und mit den Freimaurern sympathisierte. Mit seinem ebenso kampflustigen wie intelligenten Eintreten für eine völlige Trennung von Kirche und Staat erschien der radikale Demokrat Combes dem konservativen Lager, das streng klerikal gesinnt war, wie der leibhaftige Gottseibeiuns.

In Frankreich bekämpften sich damals die Konservativen und die Anhänger der Demokratie. Die einen wollten die Monarchie zurück, die anderen die Republik behalten. Der Konflikt eskalierte und spätestens als der Premier Combes 3.000 kirchliche Schulen schloss, die Kruzifixe aus Klasszimmern und Gerichtssälen entfernte, die Bezahlung der Bischöfe durch die Regierung abschaffte und sämtliche Ordensgemeinschaften auflöste, war die Stoßrichtung klar: Mit einer bis zum Exzess getriebenen Laisierungspolitik sollte den Kräften der Reaktion das Wasser abgegraben werden; vor allem sollten sie keinen Einfluss mehr auf die Schulkinder ausüben können.

Am 9. Dezember 1905 trat das "Gesetz zur Trennung von Religion und Staat" in Kraft, "Loi relative à la séparation des Eglises et de l´Etat", kurz "Loi Combes" genannt. Der Kernsatz: "Von der Republik wird kein Kultus anerkannt, besoldet oder subventioniert." Das bedeutete, die Kirche musste sich ab sofort selbst finanzieren. Jede Pfarrei hatte einen "Kultusverein" zu gründen und Mitgliedsbeiträge zu erheben. Die Gotteshäuser wurden diesen Vereinen kostenlos zur Verfügung gestellt, die allerdings für ihren Erhalt aufkommen mussten - Ausnahme: historische Baudenkmäler unter Denkmalschutz.

Protestanten und Juden waren ganz zufrieden mit dem Gesetz, das ihnen die Gleichstellung mit den Katholiken brachte. Die katholische Bevölkerung hingegen leistete wütenden Widerstand. Was die Regierung auch bald veranlasste, in der Praxis zurückzurudern. Die kirchlichen Schulen durften als Privatschulen weiter bestehen, sie bekommen bis heute staatliche Subventionen und werden von der französischen Elite sehr geschätzt. Doch offiziell blieb es in Frankreich bei der strikten Trennung von Staat und Religion, wie man im sogenannten Kopftuchstreit sehen konnte: Seit 2005 ist es Schülern streng verboten, im Unterricht sichtbare religiöse Symbole zu tragen.


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