Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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8. April 1820 Die "Venus von Milo" wird entdeckt

Am 8. April 1820 sucht der Bauer Yorgos Kentrotas nach Baumaterial auf der griechischen Insel Melos. Plötzlich stößt er auf einen Brocken mit weichen Formen. Kurze darauf hat er eine Ikone weiblicher Schönheit geborgen - die Venus von Milo.

Stand: 08.04.2011 | Archiv

08 April

Freitag, 08. April 2011

Autor: Thomas Morawetz

Sprecher: Johannes Hitzelberger

Redaktion: Nicole Ruchlak / Wissenschaft und Bildung

Die alten Griechen erzählen, am Anfang hingen Himmel und Erde, Uranos und Gaia, untrennbar in einem ewigen Geschlechtsakt zusammen. Sogar Kinder waren dabei schon entstanden. Da gab die Mutter Erde ihrem Sohn Kronos ein Messer, und der schnitt dem Vater Himmel das Glied ab. Jetzt trennten sich Himmel und Erde und Uranos' blutendes Glied fiel ins Meer vor Zypern. Aus dem Schaum aber erhob sich strahlend die Göttin der Liebe - Aphrodite, die Schaumgegebene.

Was für ein rauschender und rätselhafter Auftritt! Sogar die Griechen fanden die Geschichte schräg, aber gut, dass sie jetzt da war, die verwirrende Aphrodite, oder Venus auf Latein, die Göttin der Liebe und der Schönheit. Wobei - Liebe und Schönheit? Gehören die unbedingt zusammen? Doch, fanden die Griechen, denn was lieben wir? Das Schöne. Zwar behaupteten die Philosophen, wahre Schönheit sitze eher innen, aber der gemeine Rest ging da lieber auf Nummer sicher und wollte das auch außen sehen.

Wie sicher, sieht man heute noch an den Statuen. Natürlich waren die einzelnen Griechen damals auch nicht schöner als die Leute heute, aber sie fanden einen Trick: Sie porträtierten sich nicht lebensecht, sondern schufen sich Stellvertreter, Normkörper mit idealen Proportionen. So sind bei klassischen Statuen etwa die Abstände der Brustwarzen zum Kinn genauso genormt, wie im Verhältnis dazu die Abstände der Schamhaare zum Bauchnabel.

Brustwarzen - Schamhaare, klingt empfindlich, und gezeigt wurde das alles auch erstmal nur beim Mann. Obwohl - für Frauen galten im Atelier sogar dieselben männlichen Körpernormen; aus einem einfach Grund: Für Frauen brauchte man sich gar nichts Eigenes einfallen lassen, denn sie hatten ja sowieso was drüber an über der idealen Nacktheit. Und was alles! Ganze Stoffballen an Gewandbahnen. Eine Frau vom Bildhauer sieht aus wie ein Wasserfall mit Kopf. Toll. Aber bald ging mehr!

Die Schallmauer durchbrach um 300v.Chr. der Bildhauer Praxiteles. Er wagte als erster, eine Frau splitterfasernackt zu meißeln! Und wen? Wen sonst - Aphrodite! Allerdings ahnte der Meister selbst, dass das Ärger gibt und hat die Auftragsarbeit vorsichtshalber gleich noch einmal mit Kleidern abgeliefert. Losgeworden ist er beide Aphroditen, aber hingerissen waren die Menschen von der nackten. Natürlich hatten deren Proportionen jetzt nichts mehr zu tun mit den seltsam athletischen Kleiderständern von früher. Nun hatte also die Frau zu ihren eigenen Formen gefunden, Aphrodite sei Dank.

Dann aber der denkwürdige Tag, der 8. April 1820. Auf der Ägäis-Insel Melos gräbt ein Bauer in der Nähe einer antiken Ruine nach Bruchsteinen für den Hausbau. Da entreißt die Göttin der Liebe und der Schönheit sein Leben der Vergessenheit: Yorgos Kentrotas will den Brocken erst liegen lassen, auf den er gerade stößt, die Formen sind zu rundlich, nichts für den Mauerbau. Doch ein Matrose beobachtet ihn, bringt ihn dazu weiterzugraben. Kurz darauf bringt Kentrotas eine der größten Diven weiblicher Schönheit ans Licht: die Aphrodite von Melos, die Venus von Milo. Heute eine der Sensationen im Pariser Louvre. Kentrotas allerdings weiß nichts mit soviel Schönheit anzufangen. Er gibt die Göttin für ein paar Geldstücke her.

Gut zwei Meter ist die Venus groß, und die Arme fehlen, aber genau das macht ihre Körperbewegung so rätselhaft. Gerade gleitet ihr Gewand weg, Oberkörper und Hüften sind schon nackt, und - sie dreht sich einer unbekannten Person zu. Man ahnt, es geht um einen entscheidenden Augenblick! Doch mehr verrät die Schöne nicht, auch nackt behält sie ihr Geheimnis, die Göttin der Liebe und der Schönheit - und der rätselhaften Auftritte.


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