Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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6. März 1788 Norfolkinsel wird Strafgefangenen-Siedlung

Der britische Kapitalismus boomte und sorgte für eine satte Kriminalitätsrate. Doch wohin mit den Sträflingen? Am besten möglichst weit weg! Am 6. März 1788 wurde die Norfolkinsel im Pazifik zum Strafgefangenenlager.

Stand: 06.03.2013 | Archiv

06 März

Mittwoch, 06. März 2013

Autor(in): Andreas Miekisch

Sprecher(in): Johannes Hitzelberger

Grafik: Angela Smets

Redaktion: Thomas Morawetz

Zu Beginn des Jahres 1788 erreicht die britische Flotte "First Fleet" das Ende der damals bekannten Welt - Australien. Doch von Bord gehen nicht etwa Forscher oder erwartungsfrohe Siedler. Die noch in mythischer Vorzeit lebenden Ureinwohner treffen auf in Ketten gelegte Gefangene aus England, die die achtmonatige Reise von London unter unvorstellbaren Qualen überstanden haben und als höchst gefährliche Gewaltverbrecher gelten.

Jeder achte Londoner kriminell

Bis 1783 hatte England seine Kriminellen in die USA abgeschoben. Nach der Loslösung der Vereinigten Staaten von der britischen Krone, musste das Königreich deshalb möglichst schnell einen Ersatz finden - im London des boomenden Kapitalismus ist damals immerhin jeder achte Bewohner kriminell. Der Vorsitzende der Royal Society, Joseph Blanks, schlägt deshalb vor, dass man die Auszustoßenden nach Australien abschieben könne. Um die Voraussetzungen dafür zu schaffen, erklären die Briten den fünften Kontinent kurzerhand zum rechtsfreien Gebiet - zur "terra nullius". In der Folge vertreiben sie die Ureinwohner mit Gewalt von ihren Feldern, eignen sich deren Besitz an und "entsorgen" die von ihnen als besonders brutal eingestuften Gefangenen, indem sie sie den Aboriginals vor die Nase setzen.

Bis dahin muss das Leben der Ureinwohner wie im Paradies gewesen sein. Der Seefahrer James Cook, selbst Engländer, beschreibt sie als glückliche Menschen, die genügsam seien, zufrieden mit dem, was die Erde und das Meer ihnen bieten. Ja, er behauptet sogar, dass sie glücklicher seien als die Europäer, die sich um immer neue Bequemlichkeiten bemühten und dabei doch unzufrieden blieben. Cook fällt weiter auf, dass es "keine Ungleichheit zwischen ihnen" gibt und sie in harmonischer Eintracht zusammenleben. Die fast kindliche Unschuld der größtenteils nackt lebenden Ureinwohner geht soweit, dass sie die harten Knastbrüder zunächst allesamt für Frauen halten - nur weil sie bekleidet sind.

Auch jegliche Gewalt ist ihnen fremd: Als der Kommandeur der britischen Flotte Gefangene auspeitschen lässt, die Kokosnüsse gestohlen hatten, wenden sich die Eingeborenen angewidert ab. Nicht von den Dieben, sondern vom Gouverneur Arthur Philipp, der mit der Aktion eigentlich ihre Sympathie gewinnen wollte.

Verbrecher im Einklang mit der Natur

Da mag es für beide Seiten ein Glück gewesen sein, dass die 1.500 Kilometer östlich von Australien gelegene Insel Norfolk am 6. März 1788 noch unbewohnt war. An jenem Tag brachten die Engländer eine Gruppe von Schwerverbrechern auf die Insel, die sie für so gefährlich hielten, dass sie sie für immer aus der bewohnten Welt schaffen wollten

Heute hat sich das Blatt gewendet: Für viele Briten ist die Norfolkinsel Inbegriff für ein Leben im Einklang mit der Natur, die ihnen all das bietet, was sie im europäischen Mutterland nicht finden. Manche arbeiten online von der Insel in ihrem alten Beruf weiter - angeblich auch aus London geflohene Finanzspekulanten. Womit sich der Kreis zu den ersten Einwanderern auf wundersame Weise schließt.


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