Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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4. Februar 1857 Der Neandertaler wird Gesprächsstoff

Er hatte die richtige Idee: Am 4. Februar 1857 trug der Anthropologe Hermann Schaafhausen vor gelehrter Gesellschaft vor, dass er die merkwürdigen Knochen aus einem Steinbruch bei Düsseldorf für die Reste eines Urmenschen hielt. Doch seiner Karriere half der Geistesblitz nicht.

Stand: 04.02.2011 | Archiv

04 Februar

Freitag, 04. Februar 2011

Autorin: Carola Zinner

Sprecher: Andreas Wimberger

Redaktion: Thomas Morawetz / Wissenschaft und Bildung

Seid fruchtbar und mehret euch! So lautet der göttliche Auftrag, und die Menschheit hat sich wacker daran gehalten. Vielleicht sogar ein wenig zu wacker. So wurde aus der sanft ansteigenden Linie, die das Wachstum der Weltbevölkerung zeigt, ein Pfeil, der steil nach oben schießt. Wo und wie das enden wird, kann niemand wissen - vom Auftraggeber einmal abgesehen. Fest steht jedoch, dass früher alles ganz anders war.

"Früher", das heißt in diesem Falle, vor rund 75.000 Jahren. Damals, so meinen manche Wissenschaftler, stand die Menschheit ganz knapp vor dem Aussterben. Der Ausbruch eines Supervulkans habe die Erde in einen so ungemütlichen Aufenthaltsort verwandelt, dass nur noch zwischen 1.000 und 10.000 Exemplare des Homo Sapiens durchhalten konnten in all dem Unbill. Von Afrika aus sollen sie sich dann wieder ausgebreitet haben in die ganze Welt, in gewohnter Fruchtbarkeit und Freude an der Vermehrung.

Und damit könnte die Geschichte eigentlich auch schon zu Ende sein. Wäre da nicht noch einer gewesen. Der andere Mensch. Dieser "Homo Neanderthalensis", der starb und ganz und gar in Vergessenheit geriet. Bis zum August des Jahres 1856. Damals entdeckten Arbeiter in einem Steinbruch im Neandertal nahe Düsseldorf Knochenfragmente. Die Stücke wurden kurz begutachtet, für belanglos befunden und weggeworfen. Dann aber tauchte noch ein Schädel auf, und der sah schon eher nach was aus. Also wurden auch die anderen Knochen wieder ausgebuddelt und samt Schädel dem Steinbruchbesitzer überreicht, über den sie an den Bonner Anthropologen Hermann Schaafhausen gelangten. Der diagnostizierte die Funde als Überreste einer urtümlichen Form des Menschen und präsentierte diese Interpretation am 4. Februar 1857 vor den Mitgliedern der niederrheinischen Gesellschaft für Natur- und Heilkunde in Bonn.

Damit trat Schaafhausen eine Lawine los. Fossilien? Unbekanntes Urvolk? Unter den Gegnern dieser Theorie tat sich besonders der Arzt Rudolf Virchow hervor. Er hatte die Knochen heimlich untersucht und - schließlich war er Arzt - ihre seltsame Form als Folge einer Rachitis diagnostiziert.

Schaafhausen aber ließ sich nicht von seiner Meinung abbringen, auch wenn ihn diese Sturköpfigkeit die akademische Karriere kostete. Bis ins hohe Alter kam der Mann, der heute als Mitbegründer der modernen Anthropologie gilt, nicht über den Status eines außerordentlichen Professors hinaus - trotz zahlreicher Eingaben ans Ministerium.

Inzwischen weiß man längst, dass er recht hatte und Virchow unrecht. Und auch über den Neandertaler weiß man inzwischen einiges mehr: Wie er in etwa ausgesehen hat zum Beispiel - stämmig, breites Kreuz, kurzbeinig - und dass seine Lebensweise aber gar nicht so viel anders war als die des Homo Sapiens. Warum er allerdings im Gegensatz zu diesem ausgestorben ist, ist immer noch nicht eindeutig geklärt. Lag es an der Kälte? Hat der aus Afrika anrückende Homo Sapiens ihn vernichtet wie seinerzeit Kain den Abel? Oder grassierte vielleicht eine Krankheit, die allen Neandertalern auf einen Schlag den Garaus machte?

Es gehörte jedenfalls nicht viel dazu, die Art auszurotten. Es lebten nämlich immer nur maximal 10.000 ihrer Vertreter. Denn sie mehreten sich einfach nicht genug, die Neandertaler: Alle vier Jahre ein Kind, mehr war nicht drin.

Die Welt ist schon seltsam. Den einen wird die Unfruchtbarkeit zum Verhängnis - und den anderen, wenn’s so weiter geht, irgendwann mal die Fruchtbarkeit. Wie man´s macht ist´s verkehrt.


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