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Irritationen Dürers Selbstporträt von 1500

Am 16. Februar 2012 schaffte es Albrecht Dürer 464 Jahre nach seinem Tod noch einmal auf die erste Seite der überregionalen Tageszeitungen: mit seinem berühmten Selbstporträt von 1500, auf dem sich der Künstler im Pelzrock frontal und Christus ähnlich verewigt hat.

Stand: 02.10.2012 | Archiv

Selbstbildnis von Albrecht Dürer im im Pelzrock | Bild: picture-alliance/dpa

Das Bildnis war in die Schlagzeilen gekommen, weil das Germanische Nationalmuseum, Nürnberg dieses Gemälde gern für seine große Dürer-Ausstellung in München ausgeliehen hätte.

Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen hatten große Bedenken. Das auf Lindenholz gemalte Selbstporträt gilt schon lange als hochempfindlich und stand auf der Sperrliste der zu schützenden Gemälde, die nicht mehr ausgeliehen werden sollten. Nach einem wochenlangen, von etlichen Politikern instrumentalisierten Streit um das Bild haben Kuratoren des Germanischen Nationalmuseums und der Alten Pinakothek München gemeinsam festgestellt, dass ein Transport nach Nürnberg für das ohnehin schon von alten, aus den 30er-Jahren stammenden Rissen versehrte Porträt zu riskant wäre. Das Selbstporträt blieb in München hängen, während in Nürnberg vom 24. Mai bis 2. September die größte Dürerschau seit 40 Jahren lief.

Einzigartig und irritierend – selbst für seinen Hund

Das Selbstbildnis im Pelzrock fasziniert und irritiert nicht nur die Kunstliebhaber schon seit fünf Jahrhunderten. Schon Dürers Hund soll dieses Selbstbildnis abgeleckt haben – weil er das lebensgroße Bild für sein Herrchen selbst hielt. Dürers Hund täuschte sich genauso wie einst die Vögel, die versuchten, die Trauben zu picken, die der berühmte griechische Maler Zeuxis im 5. Jh. v. Chr. gemalt hat. Die antikisierende Dürer-Legende feiert so im deutschen Renaissancemaler die Wiederbelebung des wohl berühmtesten Maler der Antike. Abgesehen von allen Legenden und dem Streit um das Bild steht fest, das Selbstbildnis im Pelzrock ist ein Schlüsselwerk Dürers und die Fragen, die es aufwirft, führen mitten in das Werk des Künstlers, wie es auch die Nürnberger Ausstellung des frühen Dürer thematisiert.

Irritationen des Schlüsselwerks

Die Entdeckung des Ich

"Albertus Durerus Noricus / ipsum me propriis sic effin / gebam coloribus aetatis / anno XXVIII: lautet die lateinische Inschrift, die das neue Selbstbewusstsein des Künstlers dokumentiert. Auf Deutsch "Ich, Albrecht Dürer aus Nürnberg, habe mich selbst mit unvergänglichen Farben im Alter von 28 Jahren so dargestellt".

Autonome Selbstbildnisse waren zu Beginn des 16. Jahrhunderts noch kein etabliertes Thema der Kunst, - wie kam Dürer dazu? Schon mit 13 Jahren hatte er sich zum ersten Mal selbst gezeichnet, es folgen eine Reihe von Selbstporträts, in denen er sich als Künstler in Szene setzt und damit die Tradition von Rembrandt bis Max Beckmann begründet. Doch das Selbstporträt von 1500 im Pelzrock fällt aus der Reihe. Auch weil Dürer sich hier nicht nur als Künstler darstellt, sondern weil er dieses Tun durch die Inschrift noch kommentiert. Im Katalog der Nürnberger Dürerschau wird gezeigt, dass die Inschrift von dem großen Humanisten Konrad Celtis beeinflusst ist, der auf den frühen Dürer ohnehin viel Eindruck gemacht hat. Celtis wurde von Friedrich III. zum "Poeta laureatus" auf der Nürnberger Burg ernannt.

Frontalansicht und streng symmetrische Proportionen

Individualisierung und wachsendes Interesse an der Persönlichkeit von Einzelnen hatten seit der Mitte des 15. Jahrhunderts in den Niederlande wie in Italien und schließlich auch in Deutschland zum Erwachen der Porträtkunst geführt. Üblicherweise wurden die Porträtierten in schräger Ansicht oder im Profil dargestellt - so malte auch Dürer die meisten seiner Zeitgenossen und sich selbst in den vorangehenden Bildnissen.

Bei dem Selbstbildnis mit Pelzrock aber wählte Dürer die Frontalansicht und den strengen symmetrischen Aufbau, der seit dem frühen Mittelalter den Christusdarstellungen, dem "wahren Antlitz Christi" vorbehalten war. Warum? Einige Forscher sagen, Dürer, der sich zu dieser Zeit schon mit den Gesetzen der Proportion auseinander gesetzt habe, habe dieses Selbstbildnis nach dem vor allem in der byzantinischen Kunst geläufigen dreieckigen Schema konstruiert, um seinem Antlitz mehr Feierlichkeit und Erhabenheit zu verleihen.

Der Künstler in der Nachfolge Christi oder als zweiter Gott?

Spricht aus dieser Selbsterhöhung Frömmigkeit oder die Selbsteinschätzung des Künstlers als gottgleicher Schöpfer, der nach dem Bild Gottes geschaffen ist und Menschen nach diesem Bilde schafft? Auch bei dieser Frage scheiden sich die Geister. Fest steht, Dürer hatte wirklich - wie auch auf seinen anderen Bildnissen ersichtlich - ungewöhnlich lange Haare: Er ging nicht mit der Mode, die Kurzhaarschnitte und Rasur für Männer vorsah, und riskierte und erntete langhaarig bärtig wie er war viel Spott. Aber der Haken ist: Er hatte eigentlich blonde Haare.

Indem er sich hier mit haselnussbrauner Lockenpracht darstellt, macht er sich dem Christusbild des (fiktiven) Lentulus ähnlich, das damals weit verbreiet war: "Sein Haar hat die Farbe einer reifen Haselnuss. Es fällt bis zu den Ohren grade, von da fällt es in dichten Locken."

"Erscheinung der Unsterblichkeit" oder Nürnberger "Bürgerhandwerker"?

Die sakrale Lesart begleitet das Selbstbildnis im Pelzrock von Beginn an. Die Dichterin Bettina von Arnim hat sie exemplarisch ausgesprochen: "Es ist auf der hiesigen Galerie ein Bild von Albrecht Dürer, in seinem achtunzwanzigsten Jahre von ihm selbst gemalt; es hat die graziösesten Züge eines weisheitsvollen, ernsten tüchtigen Antlitzes; aus der Miene spricht ein Geist, der die jetzigen elenden Weltgesichter niederkracht.... So bist Du mir erschienen, die geistige Erscheinung der Unsterblichkeit".

Dieser jahrhundertelangen Verklärung Dürers tritt die Nürnberger Schau über den jungen Dürer mit der These vom sehr pragmatisch vorgehenden Nürnberger Maler entgegen. Dürer sei es in diesem Selbstbildnis vor allem um das Ranking in seiner Heimat gegangen: darum, einen "möglichst hohen Rang unter Vorgängern und Zeitgenossen" einzunehmen, denn er sei "primär ein Nürnberger Bürgerhandwerker, Unternehmer und Autor" gewesen.

Ein Spiegelbild, das ein technisches Problem meistert?

Die irritierende Frontalansicht kann auch andere säkuläre Wurzeln, eine eher auf die Antike als auf das Christentum rekurrierende Aussage haben. Die Frontalstellung käme danach dadurch zustande, dass es sich hier streng genommen um ein Spiegelbild des Künstlers handelt. Dafür spricht, dass in beiden Fällen die Malhand, die rechte (im Spiegelbild die linke) Hand des Künstlers, fehlt.

Damals gab es indes nur gekrümmte Spiegel und wenn es ein Spiegelbild ist, dann zeugt es von Dürers außergewöhnlicher Beherrschung der Maltechnik, dass er aus dem konvex gekrümmten Spiegelbild ein ihm derartig ähnliches Antlitz in der der Ebene des Tafelbildes geschaffen hat. Die Spiegelbild-These sieht die Aussage des deutschen Renaissance-Künstlers in der Hinwendung zur Antike, denn in ihr galt das Spiegelbild als das Urbild des Bildes. Dürer würde hiernach zum einen seine exzeptionelle Könnerschaft unter Beweis stellen und zugleich dazu auffordern, sich im Spiegel zu betrachten, sich buchstäblich zu reflektieren.

Selbstbehauptung des Künstlers

Ob Spiegelbild oder Selbstbildnis - das Selbstporträt zeugt von Dürers sehr großem Selbstbewusstsein als Künstler und von seinem Anspruch, zu den Großen seiner Stadt zu gehören. Das manifestiert sich vor allem durch die Kleidung, den Pelzrock, den damals nur Patrizier und Adlige trugen.

Durch seine lebenslange enge Verbindung mit dem Humanisten Willibald Pirckheimer, der aus einer großen Nürnberger Patrizierfamilie stammt, verkehrte Dürer zwar schon früh in den erlauchtesten Kreisen der Stadt. Er war aber als Maler ein freier Handwerker und weder durch eine Zunft geschützt noch zugehörig zum "Großen Rat" der Stadt, das gelang ihm erst 1509. Trotz dieser deutlichen sozialen und gesellschaftlichen Differenzen stellte er sich bereits 1500 in der reichen Kleidung der Patrizier und Adligen dar, die er sonst porträtierte. Oder ist die Datierung 1500 unzutreffend, später eingefügt? Auch diese These wurde von einigen Forschern vertreten.

Nicht das Selbstporträt mit Pelzrock, aber mehr als 100 andere Werke Dürers werden zur Vorbereitung und im Rahmen der Nürnberger Ausstellung "Der frühe Dürer" genau unter die Lupe genommen: technologisch, inhaltlich und maltechnisch. Eine neue, 50.000 Euro teure High-Tech-Infrarot-Kamera wird im sogenannten "Dürer-Labor" benutzt, um die Gemälde zu durchleuchten und um Vorzeichnungen sichtbar zu machen. Mitarbeiter der Bundesanstalt für Materialforschung untersuchen, ob die Tinte der Jahreszahlen und des berühmten Dürer-Monogramms dieselbe ist wie die des Motivs. Wenn nicht, dann wäre der Beweis erbracht, dass die Datierung nachträglich hinzugefügt wurde, ob von Dürer selbst, einem seiner Mitarbeiter oder einem Sammler.


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