Bayern 2 - Zum Sonntag


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Umgehen mit der Furcht Der Geist der Kraft, Liebe und Besonnenheit

Seit den Gewalttaten von Würzburg, Ansbach und München ist die Angst unser Alltagsbegleiter. Dagegen hilft der Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit. Nur Mut, das lässt sich trainieren, sagt Heinrich Bedford-Strohm.

Stand: 05.08.2016

Heinrich Bedford-Strohm | Bild: Heinrich Bedford-Strohm

"Mama, du musst mich nicht hinbringen, ich fahre allein mit dem Bus ins Schwimmbad", sagt ein Junge zu seiner Mutter. Sie zögert. Klar, er ist schon elf. Er kann das. Aber nach dem Amoklauf und den Attacken sitzt die Angst tief. Dann denkt sie sich: Es kann meinem Kind immer und überall etwas passieren. Soll sie es deshalb nirgends mehr alleine hinlassen? "Einverstanden", sagt sie zu ihrem Sohn. "Du kennst ja den Weg."

Die Anschläge der vergangenen Wochen haben das Alltagsgefühl verändert. Viele fragen sich: Bin ich noch sicher? Nehme ich die Bahn und weiß nicht, mit wem ich im Abteil sitze? Was kommt als Nächstes? Die Unsicherheit ist mit dabei beim Einkaufen und beim Straßenfest, auf Plätzen mit vielen Menschen. Dabei wollen wir doch frei leben. Auch die Begegnung mit fremden Menschen verändert sich. Leute erzählen mir, dass sie ein mulmiges Gefühl bekommen, wenn ein dunkelhäutiger junger Mann in den Bus steigt. Was hat der in seinem Rucksack? Ein Gefühl, das sie nicht haben wollen und das doch da ist.

Die Angst ist da, ob man will oder nicht

Der Verstand sagt, die meisten Menschen in unserem Land, egal welcher Hautfarbe und Nationalität, sind friedlich. Und trotzdem spüren viele eine unterschwellige Furcht im Alltag. Ich kenne das Gefühl und kann es verstehen. Gleichzeitig will ich nicht, dass die Angst mich und uns alle beherrscht. Furcht gefährdet unser Zusammenleben. Sie bewirkt, dass ich anderen misstraue. Darum: Wie gehe ich mit meiner Angst um? Wie bekämpfe ich sie sogar? Nach dem Amoklauf in München beschrieb der Polizeisprecher der Stadt eine seiner wichtigsten Aufgaben sinngemäß so: Wie kann man in dem Meer von Gefühlen der Furcht, der Angst, der Sorge die andere, wichtige Stimme laut werden lassen, die aufklärt, die sachlich informiert? Wie kann in dem Grundrauschen der Panik das gehört werden, was wirklich hilft?

Mich an die Fakten halten, das ist eine Stimme gegen die Angst. Ich bin dankbar darüber, wie nüchtern und professionell die Polizisten und die Helfer in den Krankenhäusern ihren Dienst getan haben. Ich bin froh, wenn es in der öffentlichen Diskussion gelingt, besonnen und sachlich die nächsten Schritte zu besprechen. In der Bibel hat der Apostel Paulus die Besonnenheit, die Nüchternheit als eine wichtige Gabe bezeichnet, die Gott schenkt und die wir zugleich täglich einüben müssen. Paulus schreibt: "Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit."

Gott hat uns nicht den Geist der Furcht gegeben

Ich versuche, diese Besonnenheit wie einen Muskel zu trainieren, täglich und konsequent. Gleichzeitig vertraue ich auf das, was Gott darüber hinaus gibt. Nämlich Kraft und die Liebe untereinander. Beide waren zu spüren in diesen Tagen des Schreckens. Es gab die offenen Türen in München für gestrandete Menschen, hilfsbereite Nachbarn, Freunde, die anrufen oder Nachrichten schicken und fragen, wie es geht. Eine Geschichte in einem Leserbrief der Zeitung hat mich beeindruckt: Ein Mann aus Tunesien, der in München lebt, hatte dem Leserbriefschreiber in der Münchner Amoknacht spontan angeboten, ihn nach Hause zu fahren. Es war die achte Fuhre, die er gefahren hatte. Einfach weil er anderen helfen wollte. Der Leserbriefschreiber wollte ihm über die Zeitung danken.

Kraft, Liebe, Besonnenheit - lassen sich trainieren wie ein Muskel

Solidarität hat sich aufgespannt wie ein Schirm über Würzburg, München, Ansbach, Reutlingen, auch über die Menschen in Rouen, in Kabul und an anderen Orten des Terrors. Mir hilft gegen die Angst, wenn ich spüre, welche Kraft in wechselseitiger Anteilnahme und Mitgefühl steckt. Wenn ich spüre, dass wir zusammenhalten. Mir hilft, dass Gott uns den wahren Geist der Freiheit schenkt. Es stimmt: Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit!


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