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Eindeutig uneindeutig Das Phänomen Christian Kracht und sein neuer Roman „Die Toten“

Nun ist es wieder soweit: Alle reden über Christian Kracht - kaum ein Buch findet derzeit so viel Beachtung wie „Die Toten“, eine unheimliche Geistergeschichte über die Filmindustrie der 30er Jahre. Von Jan Drees.

Von: Jan Drees

Stand: 12.09.2016

Christian Kracht | Bild: picture-alliance/dpa

"Gleich nachdem die hellgeschliffene Spitze des Dolchs die Bauchbinde und die darunterliegende feine weiße Bauchhaut angeritzt hatte, deren sanfte Wölbung von nur wenigen schwarzen Schamhaaren umspielt wurde, glitt die Klinge schon durchs weiche Gewebe in die Eingeweide des Mannes hinein – und eine Blutfontäne spritzte seitwärts zur unendlich zart getuschten kakejiku, zur Bildrolle hin."

aus: Christian Kracht: ‚Die Toten‘

Blutig beginnt der neue Roman von Christian Kracht, der gerade unter dem Titel „Die Toten“ im Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen ist. Bereits auf den ersten drei Seiten ersticht sich ein junger japanischer Offizier – und zwar auf eine traditionelle Weise, im Stil des so genannten Seppuku. Es ist eine von etlichen Gewalttaten in diesem schonungslosen Roman. Weil die Szene im Buch steht, kann sie jeder lesen. Da im Buch aber dieser Selbstmord von einer Filmkamera aufgezeichnet wird, wissen bald auch alle Figuren von dem schrecklichen Gemetzel, das sich im Jahr 1931 zugetragen hat. Erzählt wird auf mehreren Ebenen die Geschichte des Schweizer Filmregisseurs Emil Nägli und des japanischen Kulturbeamten Masahiko Amakasu. Beide hatten es nicht leicht im Leben, blicken auf eine gewalttätige Kindheit zurück und sind mit kruden Phantasien gesegnet. Während Masahiko Amakasu den Deutsch-Japanischen Stummfilm gegen den Tonfilm des aufstrebenden Hollywoods setzen will, verharrt der Schweizer Nägli mit seinen Filmen im Idyll:

"Manchmal verweilte Nägelis Kamera lange und grundlos bei einem Kohleherd, über einem Holzscheit, am Hinterkopf des rund geflochtenen Haares einer Magd, auf ihrem weißen, von blondem Flaum bestaubten Nacken, um dann durch ein ofenstehendes Fenster magisch hinauszugleiten, Richtung Tannen und schneebedeckte Berghöhen, als sei sie immateriell, als sei die Kamera jenes Regisseurs ein schwebender Geist."

aus: Christian Kracht: ‚Die Toten‘

Krude Mystik á la Martin Heidegger PLUS Größenwahn – sind nicht nur die fürchterlichen Ingredienzien, die den deutschen Nationalsozialismus begünstig haben: Das ist auch der Stoff, der in Christian Krachts Roman „Die Toten“ die unterschiedlichsten Grausamkeiten ermöglicht. Irgendwann wird Charlie Chaplin zum Mörder, Heinz Rühmann, bekannt aus der Feuerzangenbowle, zeigt seine hässliche Mitläuferfratze, Menschen werden gefoltert – und das alles für den bestmöglichen Film und die kulturelle Herrschaft über jene degeneriert hergezeigte USA, auf die Europäer wie Asiaten auch im Jahr 2016 herabblicken. Was von da kommt, das kann nur Schund sein. Denn, so führt es Masahiko Amakasu aus:

"Es fehle ihnen an narrativer Zeitlosigkeit, an Exportfähigkeit, an allgemeingültig zu verstehendem Handwerk; japanische Filme seien, wenn man es so vereinfacht sagen könne, nicht gut genug, um mit den Amerikanern mitzuhalten. Und deshalb der zwingende Gedanke, sich mit Deutschland zu verbünden, mit dem einzigen Land, dessen Kulturboden man achten könne wie den eigenen, daher der hiermit offiziell formulierte Wunsch (ihm widerstrebte es, so einen Unsinn tatsächlich zu Papier zu bringen), eine zelluloidene Achse zu bauen zwischen Tokio und Berlin."

aus: Christian Kracht: ‚Die Toten‘

Es zählt, was darunter steckt

Mit historischen Stoffen kennt sich Christian Kracht aus. Seit er mit seinem Roman „1979“ die Popliteratur verlassen und erzählerisch ins chinesische Arbeitslager gezogen ist, schreibt der 1966 geborene Schweizer stark verschobene Romane, in denen die Wirklichkeit schimmert wie die Luft an einem viel zu heißen Sommertag. „Die Toten“ ist eine Geschichte über den Versuch, den perfekten Film zu drehen, Hollywood für immer abzuhängen und nebenbei die asiatische beziehungsweise die europäische Herrschaft zu erlangen. Aber das ist nur der Inhalt. Es zählt, was darunter steckt. Schicht für Schicht liegen in diesem Roman untereinander bis ins Limbische hinein, vergleichbar mit jenen Bewusstseinsstufen, die Christopher Nolan im Kino-Blockbuster „Inception“ aufgebaut hat. Denn Christian Krachts „Die Toten“ ist mehr: Ein Roman über Vampirismus und Sadisten, über die spiegelbildliche Grausamkeit von Kommunismus, Nationalsozialismus und Kapitalismus – also eine Art „Historikerstreit“ in Form der Poesie. „Die Toten“ ist manieriert im Ton, ultra-brutal im Inhalt, rätselhaft bis es hinterm Hirnstamm zwirbelt. Es ist vor allem das Gegenstück zu dem anderen Werk eines in den 90ern groß gewordenen Autors, der in diesem Jahr sein Comeback erlebt hat. Das Frühjahr galt Benjamin von Stuckrad-Barre und seinem Buch „Panikherz“, das mit dem Untertitel kam: „Abschied von der Nacht.“ Krachts Roman „Die Toten“ ist absolute Gegenstück: Es ist ein Gang in jene Nacht von der sich sein einstiger Autoren-Kumpan Benjamin von Stuckrad-Barre verabschiedet hat.


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