Bayern 2 - Zündfunk


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Der NSU und seine Verbindungen nach Bayern Kameradschaft Süd

Seit Mai vergangenen Jahres wird in München der Prozess zur NSU-Mordserie geführt. Fünf der zehn Morde des NSU wurden in Bayern verübt, drei in Nürnberg und zwei in München. Thies Marsen macht sich auf die Suche nach den Verbindungen.

Von: Thies Marsen

Stand: 13.02.2014 | Archiv

Kameradschaft Süd

eine Sendung von Thies Marsen
am 12.04.2014 um 19.05 Uhr auf Bayern 2

Zehn Menschen hat der "Nationalsozialistische Untergrund", der NSU, zwischen 2000 und 2007 ermordet: neun Migranten und eine Polizistin. Seit Mai letzten Jahres läuft in München der Prozess, der diese beispiellose Mordserie klären soll. Die Anklage geht von einem NSU-Trio aus - Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt - dazu noch eine Handvoll Unterstützer, die angeben, eigentlich von gar nichts gewusst zu haben. Diese Einschätzung ist ziemlich fragwürdig. Konnten die Morde tatsächlich ohne jede Unterstützung vor Ort durchgeführt werden? Vielleicht ist es Zufall, dass es in Bayern gleich fünf Opfer gab - vielleicht auch nicht. Die Verbindungen der Terrorzelle NSU nach Bayern sind jedenfalls erstaunlich vielfältig.

Rege Kontakte nach Bayern vor dem Untertauchen

Schon lange vor dem Abtauchen hatten Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt regen Kontakt zur bayerischen Neonazi-Szene: Von Jena, wo sich das Trio in den 90ern radikalisierte, ist es nicht weit nach Franken. Robert Andreasch, Journalist und Kenner der bayerischen Neonazis-Szene berichtet von Fotos, die Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt in den späten 90ern bei Aufmärschen in Aschaffenburg und München zeigen, vom Besuch bei einem Kiesgrubenfest in Straubing, von Partys und Rechtsrock-Konzerten.

Besonders aufschlussreich ist eine Fluchtliste, die Uwe Mundlos schon vor dem Untertauchen 1998 zusammengestellt hatte. Die Liste liest sich wie ein who-is-who der Neonazi-Szene, geordnet nach Wohnorten. Mit auf der Liste: der bekannte bayerische Neonazi Matthias Fischer und die Nürnberger Kneipe "Tiroler Höhe", damals ein einschlägig bekannter Treffpunkt der Rechtsextremen.

Auch später, während der Mordserie, gibt es Verbindungen nach Bayern. So taucht die erste Erwähnung des NSU überhaupt Anfang 2002 in dem Neonazi-Fanzine "der Weiße Wolf" auf: "Vielen Dank an den NSU, es hat Früchte getragen" steht dort,  versehen mit einem smiley. Als Kontaktadresse für das Pamphlet ist das fränkische Kronach angegeben. Als der NSU-Gruß im Weißen Wolf erscheint, hat der NSU schon vier Menschen ermordet, drei davon in Bayern.

Drei Morde in Nürnberg, zwei in München - ohne lokale Helfer?

Viele Fragen sind bis heute offen: Haben die untergetauchten Terroristen aus Thüringen ihre bayerischen Opfer ohne Hinweise aus der lokalen Szene ausgewählt? Woher wussten sie von einer Änderungsschneiderei Abdurrahim Özüdoğru (ermordet am 13. Juni 2001), die versteckt in einem Nürnberger Hinterhof lag? Wieso wählten sie den Münchner Theodoros Boulgarides (ermordet am 15. Juni 2005) als Opfer, dessen Schlüsseldienst erst zwei Wochen vor dem Mord eröffnet wurde? Auch während des Untertauchens gibt es offensichtlich Helfer in Bayern.

Der Nürnberger Journalist Timo Müller fragt sich, wie Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt auf den Dönerstand von İsmail Yaşar (ermordet am 9. Juni 2005, Nürnberg) gekommen sind: Der Stand befand sich direkt neben einem Kindergarten und einer Schule. Die Täter mussten schon sehr genau wissen, wann die Kinder in der Pause sind und wann nicht.

Heute erinnert an dieser Stelle übrigens nichts an den Mord an İsmail Yaşar: keine Gedenktafel, keine Spur des Dönerstandes.

Die rechte Szene ist keineswegs eingeschüchtert

Die Aufdeckung der Mordserie hat die bayerischen Neonazis nicht beeindruckt. Sie organisieren Solidaritätsaktionen mit dem in München gemeinsam mit Beate Zschäpe angeklagten Ralf Wohlleben. Auf der Maximilianstraße in München wurde "Freiheit für Wolle" skandiert, der Münchner Neonazi Martin Wiese posierte mit diesem Spruch auf seinem T-Shirt vor Gericht (das trägt er aber nur, wenn sein Adolf-Hitler- T-Shirt gerade muffelt). Auf die Kanzlei der Anwältin Angelika Lex, die im NSU-Prozess Angehörige der Opfer vertritt, wurde ein Anschlag verübt, bei Aktivisten in Nürnberg wurden Reifen aufgestochen, die Fürther Lehrerein Ruth Brenner, die sich seit Jahren gegen rechts engagiert, wurde an ihrer Schule diffamiert, ihre Autoreifen aufgestochen, das Auto eines Aktivisten in Fürth wurde angezündet, erst kürzlich wurde ein Antifa-Aktivist in Fürth mit einem Messer bedroht.

Der Überfall auf die Kirmesfeier in Ballstädt in Thüringen am ersten Februar-Wochenende ist ein weiteres Indiz dafür, dass die rechtsextreme Szene durchaus nicht eingeschüchtert ist. Allerdings scheinen auch die Behörden inzwischen genauer hinzusehen. Eine Woche nach dem Überfall fand rund um Ballstädt eine Razzia statt. Mehr als 120 Polizisten waren im Einsatz.

Neue Töne vom Verfassungsschutz

Der bayerische Verfassungsschutz, der nach der Aufdeckung der NSU-Morde heftige Kritik einstecken musste, scheint das Gewalt-Potential der rechten Szene nicht mehr zu ignorieren. Der Präsident des Landesamtes, Burkhard Körner nimmt die Gefahr von rechts in Bayern heute ernst.

Alte und neue Neonazi-Treffs in Bayern

Gerade hat der Neonazi Matthias Fischer, der in dem überregional bekannten Nazitreff in Oberprex bei Hof einen Versandhandel betreibt, versucht, mit seiner Tarnliste "Bürgerinitiative soziales Fürth" zu den Kommunalwahlen zugelassen zu werden. Dank der intensiven Begleitung durch das Bündnis "Fürth nazifrei!" ist es Fischer und seinen Freunden allerdings nicht gelungen, genügend Unterschriften zusammen zu bekommen.

Ein weiterer Treffpunkt der bayerischen Neonazi-Szene ist das sogenannte "Braune Haus" in München Obermenzing. Von außen sieht es aus wie ein normales Einfamilienhaus - doch das unscheinbare Anwesen ist zuletzt mehrfach als Neonazi-Treffpunkt in die Schlagzeilen geraten. Dort übernachten auch regelmäßig Angehörige von Angeklagten des NSU-Prozesses.

Nach wie vor aktiv sind Neonazis auch im oberbayerischen Murnau - seit zehn Jahren wird dort ein Internet-Handel betrieben und regelmäßig zu nationalen Liederabenden geladen. Wie in der Gemeinde mit diesen Treffpunkt der rechtsextremen Szene umgegangen werden soll, ist seit jeher umstritten. Gerade vor der Kommunalwahl wird darüber wieder mehr oder weniger heftig diskutiert: Wie soll Murnau reagieren?

Thies Marsen spricht in der Sendung unter anderem mit

Katharina König aus Jena, die den Weg der Thüringer Neonazis seit vielen Jahren beobachtet,
• dem Rechtsextremismus-Experten Robert Andreasch von a.i.d.a.,
• dem Journalisten Timo Müller,
• der Aktivistin gegen rechts Ruth Brenner und Michael Ebenau,
• der Anwältin Angelika Lex und
• dem Präsidenten des bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz Burkhard Körner


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