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Sühnekreuze Steinalte Zeugen von Schuld und Sühne

Im Mittelalter wurden viele Sühnemäler aufgestellt – für Menschen, die unverschuldet zu Tode kamen. Die steinernen Kreuze sollten das Seelenheil der Verstorbenen retten. Doch wer kümmert sich heute um die mittelalterlichen Male – und warum?

Von: Barbara Bogen

Stand: 24.11.2017 | Archiv

Ein Sühnekreuz | Bild: picture-alliance/dpa

Die Sühnekreuze dienten etwa ab dem Jahr 1300 zum Gedenken an Menschen, die durch Mord, Totschlag oder Unfall zu Tode gekommen waren.

"Das Schlimmste im Mittelalter, das war der sogenannte 'gache' Tod oder der jähe Tod. Unvorbereitet vor seinen Schöpfer zu treten."

Dieter Mäckl, Historiker und Kreisheimatpfleger von Neustadt/Aisch

Der Glaube der Menschen legte nahe: Das Seelenheil der Verstorbenen, die kein Sterbesakrament erhalten hatten, könne gerettet werden, indem die am Steinkreuz Vorübergehenden eine Fürbitte für den Toten sprächen. Errichtet wurden diese Mahnmäler meist vom Täter selbst oder von den Angehörigen.

Millionen von Jahren im Fegefeuer

Dass der Mensch an sich sündig war, davon ging man im Mittelalter aus. Im Fegefeuer sollte die Schuld gereinigt werden. Die mittelalterliche Vorstellung war überzeugt davon, dass der Sünder, der seine Schuld nicht zu Lebzeiten sühnen konnte, Tausende oder sogar Millionen von Jahren im Fegefeuer leiden müsse. 

Da der Totschlag im Mittelalter nicht zwangsläufig eine Strafverfolgung nach sich ziehen musste, war durchaus üblich, dass sich der Totschläger mit den Hinterbliebenen des Opfers in Form eines Sühnevertrages einigte. Dieser Sühnevertrag sah dann vielfach Wallfahrten vor nach Aachen, Rom, Jerusalem oder Santiago de Compostela, zwingend aber die Setzung eines Steinkreuzes.

Stumme Zeugen, um die sich Geschichten ranken

Sühnemäler sind steinerne, mitunter stumme, manchmal jedoch auch beredte Zeugen einer Vergangenheit, um die sich Geschichten ranken. Zumeist allerdings in Form von Sagen und Legenden, da sich die Ursprünge und Gründe, die zu ihrer Errichtung führten, nur in seltenen Fällen konkret rekonstruieren lassen.

Jemand wie der Kreisheimatpfleger Dieter Mäckl, der sich seit vielen Jahren persönlich um solche Steinkreuze kümmert, kennt viele Geschichten – beispielsweise die Geschichte von der Hungersnot.

"An der Straße zwischen Münchaurach und Oberreichenbach erhebt sich ein Kreuzstein. Von ihm erzählt man sich die folgende Geschichte: Einst herrschte eine verheerende Hungersnot. Eine große Dürre hatte zu einer Missernte geführt. Ein Stücklein Brot war zu einer Kostbarkeit geworden. Und das war ein Glück, dass vor kurzem der Kartoffelanbau in unserer Gegend Einzug gehalten hatte. In dieser schweren Zeit schickte einmal ein Bauer zwei Kleinknechte aufs Feld, Dünger auszubreiten. Schwitzend, mit knurrendem Magen verrichteten sie ihre Arbeit. Als zur Mittagszeit eine Magd ein Töpfchen mit Kartoffelbrei auf das Feld hinaus brachte, stürzten sich die zwei Hungrigen wie die Wölfe darauf."

Dieter Mäckl, Historiker und Kreisheimatpfleger von Neustadt/Aisch

Bei diesem Kampf gerieten die beiden Hungrigen derart in Streit, dass einer von ihnen getötet wurde. Und Dieter Mäckl erklärt auch, weshalb die Geschichte nicht ganz stimmen kann.

"Der Kartoffelanbau findet erst unter Markgraf Alexander statt, also Ende des 18. Jahrhunderts. Und der Stein ist älter. Man hat also eine Sage darum gezimmert. Man hatte das Objekt, und hat dann etwas dazu erschaffen."

Dieter Mäckl, Historiker und Kreisheimatpfleger von Neustadt/Aisch

Inschriften oder Jahreszahlen, die Hinweise auf die Geschichte der Steinkreuze liefern könnten, sind denn auch eher selten. Manchmal allerdings liefern Kirchenbücher Aufschluss über Details und Hintergründe. Wie bei der Geschichte von einer Spinnerin.

"In Westheim gab es seinerzeit eine Roggenstube, wo die Frauen im Herbst zusammen saßen und gesponnen haben. Und da war auch eine Magd, eine Apolonia Hufnagelin, wie sie in den Kirchenbüchern genannt wird. Die ist dann heimgegangen nach Oberdachstätten. Im Wald lauerte ihr ein junger Bursche auf. Es kam zum Gerangel und sie wurde getötet. Die Gegend nennt man heute noch den Teufelsgraben. Und der junge Bursche war danach verschwunden. Und der Pfarrer schrieb dann in sein Kirchenbuch: 'Wahrscheinlich ist er mit dem Schiff nach Amerika.' Da kann man's sehr genau festmachen."

Dieter Mäckl, Historiker und Kreisheimatpfleger von Neustadt/Aisch

Öffentliche Demütigung

Dass einer angesichts der Mordtat oder des Totschlags die Flucht antrat, und zwar so weit wie möglich, nimmt nicht wunder. Denn das Prinzip Schuld und Sühne bedeutete für die Menschen im Mittelalter eine ungeheure Demütigung. Eine Demütigung, die öffentlich gemacht wurde.  

Der Täter musste sich im Büßergewand auf das Grab legen oder sich im schwarzen Rock mit einer zerbrochenen Kerze an den Altar der Kirche stellen. Zuweilen wurde er genötigt, im Bußgewand mit entblößtem Kopf oder sogar nackt zum Grab des Opfers zu pilgern, um dort vor anderen um Vergebung seiner Schuld zu bitten.

Stichtwort: Sühne

Sühne, von althochdeutsch "suona", heißt im Ursprungssinn des Wortes: Gericht, Urteil, Gerichtsverhandlung. Das Wort Sühne steht aber auch für Friedensschluss, sobald ein Mensch, der "schuldig" geworden ist, seine Schuld durch eine Ausgleichsleistung aufhebt oder mindert. Schuld wird bestraft, gebüßt und gesühnt. So zumindest will es der Idealfall in der Ethik. Durch Sühne oder Strafe soll ein Ausgleich geschaffen werden gegenüber der von Unrecht betroffenen Person.

Aus religiöser Sicht heißt Sühne indessen, das ein Mensch, der durch eine Sünde schuldig geworden ist, sein Verhältnis zu Gott wieder in die Balance bringen und Gott versöhnen kann. Sühneopfer oder Sühneleistungen galten zu allen Zeiten auch als Anerkennung der eigenen Schuld und als Bitte um Vergebung. Der Begriff der Sühne allerdings ist heute ungebräuchlich geworden. Das Mittelalter jedoch kannte ihn gut. Damals sind viele Sühnekreuze errichtet worden.

Das Ende der Sühnekreuze

Ab 1530 wurden in protestantischen Gegenden keine Sühnekreuze mehr errichtet. Vor allem die Einführung einer ordentlichen Gerichtsbarkeit durch Kaiser Karl V. setzte dieser mittelalterlichen Tradition schließlich ein Ende.

Zeugnisse der Rechtsgeschichte

Die kulturgeschichtliche Bedeutung der Steinkreuze ist enorm, sagt der Historiker und Volkskundler Günter Dippold. Der Honorarprofessor für Volkskunde und Europäische Ethnologie an der Universität Bamberg hat zahlreiche Monographien und Aufsätze zur fränkischen Landespflege verfasst. Als Leiter der Abteilung Kultur-und Heimatpflege in der Regierung von Oberfranken kennt er sich mit Steinkreuzen aus.

"Wir finden Steinkreuze sehr häufig in der Landschaft, meist aufgrund ihrer Schmucklosigkeit wenig beachtet, manchmal durch Sagen überhöht. In Wahrheit sind sie, ohne dass wir in jedem Einzelfall die Hintergrundgeschichte wüssten, wichtige Zeugnisse zur Rechtsgeschichte. Aber vor allen Dingen erzählen sie uns darüber, wie das gesellschaftliche Zusammenleben, aber vor allem auch das Denken über Tod, über Strafe, über Versorgung Hinterbliebener im späten Mittelalter funktionierte."

Günter Dippold, Historiker und Volkskundler

Steinalte Flurdenkmäler

Die Sühnekreuze, die europaweit gesetzt wurden, sind heute Flurdenkmäler. Dem aufmerksamen Spaziergänger oder Wanderer begegnen sie vielfach, auch in Franken, im Frankenwald etwa oder im Steigerwald. An den Straßen, Wegekreuzungen und Waldrändern, aber auch innerhalb von Ortsbereichen. Sühnekreuze gehören zu den ältesten Flurdenkmälern überhaupt. 

Verwittert, verblichen, denkmalgeschützt

Ein historisches Sühnekreuz in Sachsen

Siebentausend dieser Stein- oder Sühnekreuze gibt es bis heute in Europa, viertausend allein in Deutschland. Viele von ihnen stehen inzwischen unter Denkmalschutz, andere sind durch Prozesse der Verwitterung oder Unachtsamkeit kaum mehr identifizierbar.

Eben gerade, weil viele heute kaum noch oder gar nicht wissen, welche Bedeutung die Kreuze haben, ist der Umgang mit ihnen zuweilen roh, in manchen Fällen sogar gewalttätig. Die alten Steinkreuze sind gefährdet, durch die Ignoranz der Menschen ebenso wie durch Umwelteinflüsse. Der saure Regen setzt den meist in Sandstein gehauenen Kreuzen kräftig zu. Zwar stehen fast alle dieser Sühnekreuze inzwischen unter Denkmalschutz, und doch sind sie ständig in Gefahr, sagt der Ethnologe Günter Dippold.

"Das ist ja ein grundsätzliches Problem der Denkmalpflege. Dass Zeugnisse der Vergangenheit, je unscheinbarer und je unspektakulärer sie wirken, umso mehr gefährdet sind. Im Grunde hat man nur eine Chance, dagegen zu wirken: Indem man über diese Dinge Geschichten erzählt. Dass man deutlich macht, es ist eben nicht nur ein alter Stein, es ist ein Objekt, und das ist ja der Grund- und Kerngedanke von Denkmalpflege überhaupt. Es ist ein Objekt, das uns von Menschen vergangener Zeiten erzählt, das imstande ist, wenn wir's zum Reden bringen, uns von unseren Vorfahren und unserem kulturellen Erbe zu berichten."

Günter Dippold, Historiker und Volkskundler

Stein gewordene Bitte um Vergebung

Einer, der sich sehr für die Sühnekreuze interessiert, ist der promovierte Theologe Christian Fuchs. Er ist Pfarrer in der Evangelischen Gemeinde Neustadt/Aisch. Die mittelalterlichen Sühnekreuze haben ihn von jeher fasziniert.

"Die Sühnekreuze verstehe ich als Stein gewordene Bitte um Vergebung, als Stein gewordenen Klageruf. Wir, in unserem säkularen pluralistischen Europa, sind an dem Punkt ja unsicher geworden, wir sind stumm geworden. Wer geht heute noch zur Beichte? Wer bekennt noch offen seine Schuld? Wo gibt's heute noch Rituale der Klage und der Trauer?"

Christian Fuchs, Pfarrer in der Evangelischen Gemeinde Neustadt/Aisch

Schwieriger Umgang mit Schuld und Sühne

Das Thema Schuld und Sühne ist in der Gesellschaft heute trivialisiert, meint Pfarrer Christian Fuchs. Und eine Schwäche verzeiht die Gesellschaft nicht oder nur schwer.

"Die Gesellschaft hat ein großes Problem mit dem Thema Schuld und mit dem Thema Leid. Es gibt ja einen schon verzweifelten Jugendlichkeitskult oder Fitnesskult. Auch da würde es uns allen gut tun, uns die eigene Schwäche, die eigene Begrenztheit einzugestehen. Das Thema Schuld und Vergebung wandert heute ja oft in die Talkshows aus. Wo Menschen dann mit weinerlicher Stimme irgendetwas gestehen, um sich dann vom Publikum die Vergebung der Sünde zusprechen zu lassen. Ob das immer so ernst gemeint ist, das wage ich zu bezweifeln. Die alten Sühnekreuze dagegen rufen uns noch nach Jahrhunderten zu: Bleibt etwas stehen denkt über euch selber nach."

Christian Fuchs, Pfarrer in der Evangelischen Gemeinde Neustadt/Aisch

Die Sühnekreuze von damals sind also auch ein Memento mori, ein "Gedenke, dass du sterben wirst".

"Sie verweisen uns darauf, wie zerbrechlich unser Leben ist und dass für jeden einmal die Stunde schlägt. So rufen sie uns auch zu, mehr über den Glauben nachzudenken und darüber, was uns in unserem konkreten Leben Halt, Orientierung und Trost gibt."

Christian Fuchs, Pfarrer in der Evangelischen Gemeinde Neustadt/Aisch


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