Bayern 2 - Zeit für Bayern


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Bayern genießen im Januar Stille genießen

Zeremonielle Stille ist ein uraltes Mittel die Spannung zu steigern. In der Oper nennt man das den magischen Moment, in dem nach dem Eingangsapplaus der Dirigent den Taktstock hebt und – kurz verharrt, bevor der Klang der Ouvertüre den Raum füllt, in ihm erscheint wie ein Licht.

Von: Gerald Huber

Stand: 05.01.2014 | Archiv

Erscheinung heißt auf Griechisch Epiphanie. Mit diesem Wort war ursprünglich etwas zutiefst weltliches gemeint. Die Erscheinung des römischen Kaisers vor dem Hofstaat. Unmittelbar vorher, beim sogenannten adventus, also der Ankunft des Kaisers, musste absolute Stille herrschen, damit der Augenblick der Erscheinung des Herrn, wenn der Vorhang vor dem Kaiser weggezogen wurde, umso glanzvoller werden konnte. All diese Traditionen haben sich in der römischen Religion über die Jahrtausende gehalten.

Kirche S. Vitale in Ravenna: Epiphanie des (ost)römischen Kaiserpaars Justinian und Theodora

Noch heute findet in der Ostkirche die Wandlung der Hostie hinter der Ikonostase statt. Erst für den gewandelten Leib des Herrn wird der Vorhang beiseite gezogen: Es ist Epiphanie. Vorher herrscht andächtige Stille. Genauso wie in diesen Tagen, dieser Zeit zwischen den Jahren, zwischen den beiden großen Weihnachtsfesten, der Heiligen Nacht und der Epiphanie eine Zeit der Stille, eine stille Zeit schwebt.

Die Themen von Bayern genießen im Januar

  • Niederbayern/Oberpfalz: Stille Wasser. Winter am großen Arbersee (Renate Roßberger)
  • Schwaben: Stille Nacht. Mit dem Türmer auf dem Nördlinger Daniel (Anja Seiler)
  • Oberbayern: Stille Jagd. Mit dem Jäger auf der Pirsch (Andreas Estner)
  • Mainfranken: Stilles Haus. Der Benediktushof in Holzkirchen bei Würzburg (Barbara Markus)
  • Mittel-/Oberfranken: Stiller Park. Der Wildpark von Schloss Tambach (Carlo Schindhelm)
  • München: Stilles Studio. Wie man absolute Ruhe schafft (Anja Salewsky)

Redaktion und Regie: Gerald Huber

Niederbayern/Oberpfalz

Stille Wasser. Winter am großen Arbersee

Silete, silentium habete – schweigt, haltet Stille – damit hat man im 14. Jahrhundert den uralten Hymnus eingeleitet, der vom Geheimnis der Erscheinung des fleischgewordenen Worts handelt. Dieses silentium war wichtig, um das Schöpferwort recht zu vernehmen.

Das lateinische Wort silere, schweigen, still halten, bedeutet eigentlich zur Ruhe kommen. Womit ursprünglich das Wasser gemeint war. Noch heute gibt es im Niederdeutschen ein Sil, das ist die Stauung vor einer Schleuse – Sil ist auch in vielen norddeutschen Ortsnamen bezeugt. Und selbstverständlich hängt auch der See mit dem Wort silere zusammen. In der antiken Mythologie gibt es den trunkenen Silen, eine Art Satyr, der seinen Durst am Brunnenwasser stillt und sich damit berauscht. Silen ist der Erzieher des Dionysos, jenes antiken Erlösergottes, der alle drei Jahre zur Wintersonnenwende als göttliches Kind geboren wurde. Sie sehen stille Wasser bekommen mit dem Winter, konkret mit der Zeit um die Wintersonnenwende eine ganz besondere Bedeutung.

Stille Wasser bergen Geheimnisse, Mysterien. Der vielleicht stillste unter solch geheimnisvollen Gewässern ist der große Arbersee im Bayerischen Wald. Ein winterliches Mysterium auf knapp 1000 Metern Höhe. Aber blenden wir zunächst sechs Monate zurück.

Schwaben

Stille Nacht. Mit dem Türmer auf dem Nördlinger Daniel

Die Stille der Nacht – vor ein paar Tagen vielbeschworen im Weihnachtslied – hat tatsächlich etwas Magisches. Vor allem in Zeiten, in denen die Stille und die Nacht gleichermaßen selten geworden sind. Es gibt Kulturwissenschaftler, die behaupten, dass die menschliche Kultur, die Religion, die Philosophie und vieles mehr, mit dem stillen Blick zu den Sternen beginnt. Dort die unendliche Weite des Himmels und hier der kleine Mensch.

Bei der Sauerbraten-Weltmeisterschaft am Dienstag (21.11.2006) in Wernesgrün zeigt Eugen Kanka aus Ingolstadt, dass man auch in Bayern phantasievoll eine leckere Sauerbratenkreation kochen kann.  | Bild: picture-alliance/dpa zum Artikel Rezept Sauerbraten

Hier ist das Rezept für Sauerbraten vom Türmer der Georgskirche von Nördlingen im Ries Werner Güthner [mehr]

Allerdings: Diese Erfahrung, die den ansonsten schwer zur Selbstüberschätzung neigenden Menschen relativiert, diese Erfahrung ist selten geworden in jüngster Zeit. Vor allem in unseren Städten ist der Blick zum Sternenhimmel gewissermaßen verdunkelt durch eine Vielzahl von künstlichen Lichtern. Astronomen sprechen bekanntlich von Lichtverschmutzung und die Kulturwissenschaftler wiederum glauben, dass der moderne Mensch deswegen den Blick zur Erde wendet, nur noch das Materielle sieht, weil sich der Blick zum Überirdischen nicht mehr lohnt, weil die Nacht künstlich überstrahlt und die Stille, in die das Schöpferwort erklingen könnte, durch Dauerberieslung zerstört ist.

Nur an entrückten Stellen, auf Bergen und auf Türmen ist die optische und akustische Stille der Nacht noch heute zu erleben. Zum Beispiel auf dem Daniel, dem 90 Meter hohen Turm der Georgskirche von Nördlingen im Ries. Dort genießt der Türmer Werner Güthner die Stille als etwas, das er selbst erst entdecken musste.

Anja Seiler stieg mit Türmer Werner Güthner auf den Daniel

Oberbayern

Stille Jagd. Mit dem Jäger auf der Pirsch

Vielleicht ist das Geheimnis der Stille die Abwesenheit von menschlichem Geräusch. Geräusche der Natur, der Schöpfung, wie Hundebellen oder Vögelkreischen oder der Wind in den Bäumen werden nicht unbedingt als Störung der Stille wahrgenommen. Manchmal sind es gerade diese kleinen Störungen, die die Stille überhaupt bewusst machen.

Stille war schon immer kostbar – systematisch vertrieben wurde sie aber eigentlich nie. Erst die Gegenwart versucht, scheints, die Stille auszumerzen. Sogar beim Bergwandern dröhnen sich mittlerweile manche mittels Ohrstöpseln zu. Die völlige Stille ist rar geworden. Dabei gibt es nach wie vor Tätigkeiten, bei denen es ohne Stille nicht geht. Jäger beispielsweise müssen absolut still sein können und sie müssen die Stille aushalten.

Grad jetzt im Winter, wenn der Schnee die Geräusche schluckt, entsteht an manchen Pulverschneetagen in abgelegenen Gebieten fast ein akustisches Vakuum – eine extreme Stille.

Mainfranken

Stilles Haus. Der Benediktushof in Holzkirchen bei Würzburg

Ausflugstipps von Barbara Markus

Der Benediktushof eignet sich auch als Ausflugstipp. Zwar kann der Schweigebereich nicht besucht werden, aber es gibt einen Shop mit Cafeteria und neuerdings auch ein vorzügliches Vegetarisches Restaurant. Dazu nebenan die ursprünglich von keinem geringeren als Barockbaumeister Balthasar Neumann für das Kloster erbaute Rundkirche, seine einzige Schöpfung dieser Art.
Holzkirchen ist über das Radwegenetz des Landkeises Würzburg erschlossen und die Fahrt entlang des Ahlbachs gehört zu den schönsten Streckenabschnitten. Der Radler kommt dann aus  Richtung Würzburg auch an der Holzmühle vorbei, die als Gartenlokal zur Verschnaufpause einlädt mit leckeren Kuchen und Speisen aus regionaler Erzeugung.

Heilig heißt ursprünglich soviel wie unangetastet, unberührt, tabu. Daher rührt wahrscheinlich auch der sakrale Charakter der Stille. Sie ist nicht durchprofane Geräusche gestört, sie ist per se unberührt – und damit heilig. Nicht umsonst sprechen wir von andächtiger Stille, heiliger Stille. Nicht im Sturm, im Beben oder im Feuer, in einem leichten Windhauch offenbart sich Gott dem alttestamentlichen Propheten. Da ist es vermutlich kein Zufall, dass das lateinische Wort spiritus Hauch und Geist gleichermaßen bedeutet. Vermutlich kommt jede spirituelle Erfahrung aus der Stille. Wir aber scheinen sie erst wieder entdecken zu müssen. 2003 hat deswegen der ehemalige Benediktinermönch Willigis Jäger in Holzkirchen im Landkreis Würzburg ein „Haus der Stille“ eröffnet, das ganz bewusst als Zentrum für westliche und östliche Spiritualität gedacht ist.

"Eine Kurzmeditation bringt schon viel : Einfach am besten morgens und abends auf die Bettkante setzen , die Hände in den Schoß und 5 Minuten lang alle Aufmerksamkeit nur auf den eigenen Atem lenken – soll den Kopf von allen anderen Gedanken frei machen."

Zen-Meisterin Doris Zölls

Mittel-/Oberfranken

Stiller Park. Der Wildpark von Schloss Tambach

Ruhe und Stille sind offenkundig zweierlei. Stille bedeutet soviel wie verstummen, einschlafen. Ein gestilltes Kind ist ein vollkommen zufriedenes Kind. Ruhe dagegen kann es auch mitten in der Friedlosigkeit geben. Das Wort hängt mit Rast zusammen und meint ursprünglich die Ruhepause, die Rast mitten im Kampf. Stille kann gewaltig, überwältigend sein, sogar, wie es im Sprichwort heißt, in den Ohren dröhnen. Ruhe ist demgegenüber etwas deutlich Kleineres. Ein Sonntagsspaziergang ist Ruhe pur. Zum Beispiel im Wildpark Schloß Tambach, dem größten Wildreservat Nordbayerns.

München

Stilles Studio. Wie man absolute Ruhe schafft

Unsere Wörterhören und schauen gehen möglicherweise auf die gleiche uralte Wurzel zurück: Keu oder skeu- heißt ursprünglich soviel wie wahrnehmen. Die Wurzel steckt auch drin im griechischen akeuein oder akouein, das hören bedeutet und von dem unser Fremdwort Akustik kommt. Insofern wird schon deutlich, dass Stille zutiefst bedrohlich sein kann. Dann nämlich, wenn man nichts mehr, absolut nichts mehr wahrnimmt ist man ganz allein; vielleicht sogar tot? Wer in vollkommener Stille leben muss, der fällt gewissermaßen aus der Welt. Vollkommene Stille ist unnatürlich. Vielleicht ist von daher unsere Sucht nach akustischer Berieselung zu verstehen. Und gottseidank ist absolute Stille herzustellen sehr, sehr schwer …

Mehr Bayern genießen im Fernsehen: "Zwischen Spessart und Karwendel", sonntags, um 15 Uhr, auf BR-alpha.

Zugegeben: Das Motto „Stille“ ist für eine Hörfunksendung – noch dazu eine, die „Bayern genießen“ heißt – eine echte Herausforderung. Wir hoffen trotzdem, dass wir Ihnen einiges Genussvolles bieten konnten. Still geht’s jetzt auch bei unseren Kollegen vom Fernsehen weiter – in „Zwischen Spessart und Karwendel“ in zwei Stunden auf BR alpha. Wir vom Hörfunk wünschen Ihnen bis dahin noch ruhige, vielleicht gar stille Sonntagsstunden.

Buche im Jahreszeiten-Kleid | Bild: BR zur Sendung Bayern erleben Zwischen Spessart und Karwendel

Eine prächtig gewachsene Buche ist Begleiter der wöchentlichen Programmreise durch Bayern: Sinnbild für die bleibenden Charakterzüge des Landes 'Zwischen Spessart und Karwendel', aber auch Symbol des äußeren Wandels. [mehr]

(Erstsendung am 5. Januar 2014)


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