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Spaltung, Höllenfahrt und Wiederauferstehung

Die Russisch-Orthodoxe Kirche Spaltung, Höllenfahrt und Wiederauferstehung

Stand: 05.04.2017

Christi-Himmelfahrts-Kirche am Nikita-Tor in  Moskau | Bild: picture-alliance/dpa

Um die Mitte des 17. Jahrhunderts steht die russisch-orthodoxe Kirche vor einer ersten großen Zerreißprobe. Als Patriarch Nikon von Moskau 1652 eine Reform des russischen Ritus einleitet, verweigern konservative Teile des Kirchenvolks den Gehorsam. Ein von 1666 bis 1667 in Moskau tagendes Konzil bestätigt die Neuerungen und belegt alle Widersacher mit dem Kirchenbann (Anathema). Die Reformgegner spalten sich als "Altgläubige" von der Hauptkirche ab, werden verfolgt, vertrieben, hingerichtet oder in unzugängliche Einöden abgedrängt. Erst 1971 hebt der Moskauer Patriarch den über 300 Jahre bestehenden Bannfluch auf.

Im Klammergriff des Zarentums

Nach dem Wegfall der Bindung an Byzanz versucht das Zarentum, die Kontrolle über die russische Kirche zu erlangen und eine auf seine Bedürfnisse zugeschnittene Staatskirche zu formen. Peter der Große (1682-1725) schafft das Patriarchenamt 1721 ab, setzt mit dem "Heiligen Synod" ein geistliches Leitungskollegium ein und installiert einen staatlichen "Oberprokuror" als Auge und Anwalt des Zaren im Zentrum der Kirchenorganisation. In der Folgezeit entwickelt sich Orthodoxie zum geistlichen Handlanger und Verteidiger eines Systems, das Ausbeutung, Ungerechtigkeit und Armut als gottgegebene Ordnung betrachtet.

Verfolgte Kirche im Untergrund

Die Revolution von 1917 fegt diese Ordnung und ihre Stützen über den Haufen. Die Kirche wird als parasitärer Erfüllungsgehilfe der feudalen Unterdrückung von den neuen Machthabern mit aller Härte bekämpft. Abertausende Kirchen und Klöster werden abgerissen oder zweckentfremdet, Priester und bekennende Christen werden drangsaliert, verfolgt, in Straflagern zu Tode gequält, Lenin und Stalin ordnen Massenhinrichtungen an.

Perestroika und Wiedergeburt

Die Öffnungspolitik unter Gorbatschow leitet Ende der 1980er Jahre eine Wiederbelebung des kirchlichen Lebens ein. Klöster und Kirchen werden saniert, Pfarrgemeinden erneuert, die orthodoxe Frömmigkeit kehrt in den Alltag vieler Russen zurück. Heute zählt die Russische Orthodoxe Kirche wieder etwa 150 Millionen Mitglieder in mehr als 20.000 Gemeinden mit ungefähr 14.000 Priestern. Alleine in Moskau gibt es rund 600 Kirchen und Kapellen, mehrere Geistliche Akademien, Seminare und zwei orthodoxe Universitäten.

Kein Zweifel, die Jahre der Bedeutungslosigkeit und Verfolgung sind vorüber. Es sieht ganz so aus, als stünde der orthodoxen Kirche Russlands eine neue Blüte bevor. Aber nicht allen Russen ist das Wiedererstarken der orthodoxen Kirche und vor allem ihr inniges Verhältnis zur Staatsmacht wirklich geheuer. Kritiker bezeichnen sie als antidemokratisch, antiliberal, mit der Politik verfilzt und im Ausbau eines totalitären Ideologiediktats begriffen. Ganz im Sinne der Ära Putins, die Patriarch Kyrill von Moskau vor lauter Wohlgefallen und Einverständnis schon mal öffentlich und quasi ex cathedra als "Wunder Gottes" feiert.

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