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Ein grünes Porträt Das Thema

Stand: 20.11.2013 | Archiv

Mythos Regenwald

Für viele scheint der Regenwald eine grüne Hölle zu sein. Überall hangeln sich kreischende Affen von Baum zu Baum. Papageien schreien und man hört das Brüllen gefährlicher Tiere. Dazu ein Pflanzendickicht, das in schwülwarmer Luft den Weg versperrt. Ein Ort der überbordenden Fülle. Doch dieses Bild entspricht nicht immer der Wirklichkeit. Auch wenn der Regenwald als fruchtbarster und produktivster Ort unserer Erde gilt – und auf einem Hektar Waldfläche etwa 500 unterschiedliche Baumarten wachsen, eine Machete braucht man zum Vorwärtskommen trotzdem nicht. Zwischen den Bäumen ist das Erdgeschoss des Regenwaldes nämlich recht spärlich bewachsen. Der Grund hierfür: Den Boden erreichen nur ein bis zwei Prozent des Sonnenlichts.

Schattengewächse

Und so herrscht in der Kraut- oder Strauchschicht selbst am Tage noch grüne Dämmerung. Schattenliebende Gewächse wie Pilze und Farne haben sich dort angesiedelt. Verschwenderische Blütenpracht wie etwa bei unserem weiß blühenden Kastanienbaum gibt es im Regenwald dagegen nicht. Der Grund ist Nahrungsmangel: Dem Boden fehlt es an Mineralstoffen wie Stickstoff und Phosphor. Die sind für die Produktion von Samen aber sehr wichtig. Und so blüht meist eine Blüte nach der anderen, oder dauerhaft wie die Orchidee.

Stockwerkbau

Trotzdem gehören die immergrünen Bäume des Regenwaldes mit Höhen von 40 Metern zu den größten der Welt. Einige Übersteher werden sogar bis zu 60 Meter hoch. In luftiger Höhe spannen sie ihre Zweige wie gewaltige Sonnenschirme aus. Und bieten einer Vielzahl von Tieren und Pflanzen ein Zuhause. Die leben auf den Urwaldriesen wie in einem Hochhaus mit mehreren Stockwerken. Jedes ein kleiner Mikrokosmos – mit einer einzigartigen Tier- und Pflanzenwelt.

Am beliebtesten ist das Dachgeschoss des Regenwaldes. Im Kronendach ist die Artenvielfalt am größten. Etwa zwei Drittel aller Tier- und Pflanzenarten sind dort zuhause – wenn sie denn klettern oder fliegen können! Buntgefärbte Papageien ebenso wie Faultiere oder Klammeraffen. Pfeilgiftfrösche klettern durch die Äste und Schlangen lauern auf ihre Beute. Selbst Orchideen siedeln sich in den lichtdurchfluteten Baumkronen der Urwaldbäume bevorzugt an. Und man begegnet überall unzähligen Insekten wie Ameisen, Käfern oder farbenfrohen Schmetterlingen.

Nahrungsmangel

Trotz der Vielfalt entfällt nur etwa ein Prozent der gesamten Biomasse des Regenwaldes auf Tiere. Und die laufen einem auch nicht ständig über den Weg, man muss schon gezielt danach suchen. Es gibt zwar viele verschiedene Arten, aber immer nur wenige Exemplare davon. So leben rund zwei Drittel aller Vogelarten der Erde im Regenwald – bunte Aras, winzige Kolibris und Tukane mit übergroßen Schnäbeln. Dennoch entdecken selbst geübte Augen leichter 20 verschiedene Arten, als zwei oder drei Einzelpaare von der selben Art. Der Grund für dieses Missverhältnis: Nahrungsmangel.

Im Blätterdach der Bäume ist der Tisch stets reichlich gedeckt. Dort gibt es Blätter, Blüten, Samen und Früchte im Überfluss. Im spärlich bewachsenen Erdgeschoss reicht die Nahrung aber immer nur für wenige Exemplare einer Art. Der Konkurrenzkampf unter den Tieren ist daher sehr groß. Selbst Pflanzenfresser finden kaum etwas zu Futtern. Sie leben weit verstreut und man bekommt sie nur selten zu Gesicht. Viele besetzen eine ökologische Nische, die sie natürlich verteidigen. Und manche sind sogar auf eine bestimmte Baum- oder Pflanzenart spezialisiert.

Dschungelpfad

Gefährliche Raubtiere wie der Jaguar lauern Regenwaldbesuchern freilich im undurchdringlichen Dschungel nicht auf. Dazu sind die Fleischfresser viel zu selten: Es fehlt ihnen an Beutetieren. Selbst Blut saugende Mücken finden im Innern des Regenwaldes nicht genügend Opfer, um zu überleben. In großer Zahl sind sie daher nur am Rand des Regenwaldes vertreten. Da es vielen Säugetieren in der drückenden Schwüle viel zu heiß ist, sind sie tagsüber auch kaum zu hören. Selbst Brüllaffen veranstalten erst bei Sonnenuntergang ihr Geschrei. Am Tag hört man eher so ein leichtes Zirpen oder Grillen. Ein Mischsound, für den allerlei kleine Insekten verantwortlich sind. Dann geben hellgrüne Singzikaden, pinkfarbene Baumzirpen oder rotgestreifte Zikaden mit hellblauem Pinselschwanz den Ton im Regenwald an.  

Dichte Wälder

Regenwälder bilden die grüne Lunge unserer Erde. Als temperierte Regenwälder kommen sie im milden Klima der Westküste Nordamerikas und auf Madagaskar vor. Als tropische Regenwälder dagegen in den immerfeuchten Klimazonen nahe des Äquators, zwischen dem nördlichen und südlichen Wendekreis – in Panama, Brasilien, Kolumbien, Ecuador, Kongo, Gabun, Indonesien, Malaysia und Papua Neuguinea. In dieser rund 15 Millionen Quadratkilometer großen Region liegt auch das größte zusammenhängende Regenwaldgebiet: das Amazonasbecken. Hier brennt die Sonne fast das ganze Jahr vom Himmel, die Temperaturen sind entsprechend hoch. Und es fällt zehn Monate lang viel Regen – mindestens 2.000 Millimeter im Jahr. Das ist mehr Niederschlag, als über die Blätter wieder verdunsten kann. Aus dieser Verdunstung entsteht schließlich wieder neuer Regen. Und sie schützt die Bäume dieser sonnenmächtigsten Region der Erde vor dem Verbrennen.

Gefährdeter Bestand

Der Regenwald hat neben der Sonne aber auch einen weiteren Feind: den Menschen. Er gefährdet den Waldbestand nicht nur durch landwirtschaftliche Großprojekte. Sondern auch durch Bergbau, Brandrodung und den Export von Tropenholz. Nach Schätzungen der Esa gehen so jährlich etwa 16 Millionen Hektar Regenwald verloren – ungefähr eine Fläche, halb so groß wie Deutschland.


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