Bayern 2 - radioWissen


4

Von der Domestikation zur Massenproduktion Hintergrund

Stand: 02.09.2016 | Archiv

Ein Wolf und ein Husky_Europäische Jäger und Sammler domestizierten die ersten Hunde. Das belegt eine genetische Studie die ein Forscher-Team von der finnischen Universitä | Bild: picture-alliance/dpa

Aus Sammlern werden Jäger

In der Frühphase der Entwicklung des Menschen schlagen sich unsere Vorfahren als vegetative Sammler durchs Leben. Tiere sind gleichwertige Mitgeschöpfe, die Hominiden verzehren sie allenfalls als Aas. Doch Klimaänderungen (Eiszeit/Pleistozän) erschweren vor etwa zwei Millionen Jahren das Früchte- und Pflanzensuchen. Nun verändern die Menschen ihre Lebensweise und gehen zur Jagd über. Die Lust auf Fleisch bringt ihnen evolutionäre Vorteile: Sie entwickeln Werkzeuge und die Verwertung tierischer Proteine lässt ihr Gehirn größer und leistungsfähiger werden.

Das Töten wilder Tiere erfordert ein koordiniert-kooperatives Handeln, die Jäger lernen sich durch Zeichen und Laute (Sprache) zu verständigen. Dieses Zusammenwirken bei der Jagd und die anschließende Beuteverteilung an die Sippe fördern in der Steinzeit die Entstehung von Sozialsystemen.

Die Haustierhaltung beginnt vermutlich vor etwa 13.000 Jahren, als Menschen junge Wölfe bändigen und sie auf ihre Jagdausflüge mitnehmen. Vielleicht finden Wolf und Mensch, beide gesellige Wesen, auch zusammen, als sich die Raubtiere zunächst für den Abfall interessieren, dann die Beute der Jäger bewachen, dafür belohnt werden und in ein hierarchisches Verhältnis hineingleiten.

Aus Jägern werden Bauern und Viehzüchter

Im Zuge der Neolithischen Revolution vor etwa 11.000 Jahren werden Nomaden zunächst im "Fruchtbaren Halbmond", einer südwestasiatischen Region mit hoher Artenvielfalt, sesshaft. Sie leben nun in festen Behausungen, testen Saat-Ernte-Methoden mit Wildgräsern und bauen schließlich in der Nähe ihrer Siedlungen Getreide und Hülsenfrüchte an.

Die Nutztierhaltung beginnt damit, dass Jäger junge Auerochsen, Wildschafe, Wildziegen oder Wildschweine einfangen und einsperren, um sie später zu schlachten. Dann erkennen sie, dass lebende Fleischvorräte gerade in schlechten Zeiten für die Sippe überlebenswichtig sind. Und als sich die Wildtiere in Gefangenschaft fortpflanzen, steht der Viehzucht nichts mehr im Wege.

Der Entwicklungsturbo Domestikation

Der Mensch instrumentalisiert das Tier und hebelt die natürliche Zuchtwahl aus, indem er die Arten in seinem Sinne "verbessert" oder neue kreiert. Züchter entscheiden, welche Eigenschaften eines Tieres hervorgehoben oder minimiert werden und legen die Haltungsbedingungen (enge Ställe, Bewegungseinschränkung …) fest. So entstehen im Laufe der Jahrhunderte Kreaturen mit verkleinertem Gehirn, die dem Menschen nützen, in der Natur aber nicht mehr überlebensfähig sind. Beispiele sind Puten- und Rinderzucht: Um möglichst viel Brustfleisch zu produzieren, wird die Brust der Puten immer größer gezüchtet, heute haben die Tiere Probleme beim Stehen. Bei Kühen zielen Selektionsbemühungen ganz auf die Milchleistung ab - zulasten der Tiergesundheit und der Lebenserwartung.

Dank der Domestikation werden die Menschen sesshaft, ihr Leben wird planbar. Durch Ackerbau und Viehzucht erwirtschaften sie Nahrungsmittelüberschüsse, Bevölkerungswachstum ist die Folge. In den Siedlungen bekommt die Gesellschaftsentwicklung einen Schub, Spezialisten wie Handwerker, Krieger oder "Erfinder" (Schrift, Rad, Metallverarbeitung) können durchgefüttert werden. Steigt die Bevölkerungsdichte, kommt es zur Migration und zum Kulturtransfer in andere Regionen.

Vor Pflug und Wagen gespannt, als Lastenträger, Leder-, Fell- oder Milchlieferanten tragen Tiere - ungefragt - zur Entwicklung des Menschen bei, ermöglichen den (Fern-)handel, erhöhen die Mobilität und erleichtern die Kriegsführung.

Land- und Stadtleben driften auseinander

Bis weit in die Neuzeit bilden Mensch und Nutztier eine Lebensgemeinschaft. Das Tier ist Helfer bei der Arbeit und Fleischlieferant. In den Agrargesellschaften haben Tiere, auch wenn sie mit ihren Besitzern unter einem Dach leben, keinen emotionalen Wert. Der Kreislauf Leben-Töten-Essen gehört zur alltäglichen Erfahrung der Menschen.

Mit der Entstehung von Großstädten und der fortschreitenden Industrialisierung geht im 19. Jahrhundert in den urbanen Zentren die Verbindung zum ländlichen Leben mehr und mehr verloren. Beim städtischen Bürgertum entwickelt sich im Gegenzug eine romantische Sicht auf das Tier, die Sehnsucht nach lebenden Kreaturen in den eigenen vier Wänden wächst. Vor allem Hunde und Vögel haben es den Stadtmenschen angetan.

Auf Druck wohlhabender Städter gehen Behörden gegen Tierquälerei in der Öffentlichkeit vor. 1824 nimmt in London der erste Tierschutzverein die Arbeit auf, auch in Deutschland ist der organisierte Tierschutz bald aktiv. Bürger entdecken die Jagd als Freizeitvergnügen ("Sonntagsjäger"), setzen sich aber für den Erhalt bedrohter Wildarten ein und entwickeln ein Regelwerk zum "waidgerechten" Erbeuten von Tieren.

Das Tier drängt der Mensch fortan in eine Mehrfachfunktion: Als Haustier wird es aufgewertet, gepflegt und geliebt, als jagdbares Wild geschützt und gefüttert, als Nutztier ausgebeutet und brutal geschlachtet.

Trennung zwischen Konsument und Tier

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nehmen Großschlachthöfe den Betrieb auf, die industrielle Massentötung und -verarbeitung von Nutztieren beginnt. 1866 lässt der Amerikaner Windsor Leland seine "slaughtering machine" patentieren - mit dem Gerät kann man binnen weniger Minuten ein Schwein aufhängen, ausweiden, abbrühen und entborsten. Wissenschaft und Technik machen die maschinelle Tierverwertung in großem Stil möglich. Kühlzüge transportieren Fleisch über weite Strecken. Die Fleischherstellung verliert ihre Regionalität und wird zu einem weltweiten Geschäft. Der Konsument entfremdet sich immer weiter vom Produktionsprozess.

Massentierhaltung, Tierquälerei und ein Gegentrend: Vermenschlichung von Tieren

Bevölkerungswachstum und zunehmender Fleischkonsum führen ab Mitte des 20. Jahrhunderts zur Massenproduktion von Rindern, Schweinen und Hühnern. Diese Tiere gelten als Ware beziehungsweise als Verbrauchsgut. Zucht und Haltung sind - oft zulasten des Tierwohls - auf den maximalen Ertrag ausgerichtet.

Und während die Nutztiere gnadenlos verdinglicht, auf Tiertransporten und in Schlachthöfen gequält oder als Versuchsobjekte der Wissenschaft "geopfert" werden, kommt es zur Vermenschlichung von Haus- bzw. "Kuscheltieren". Tierfreunde schreiben ihren Lieblingen anthropomorphe Eigenschaften zu und in Ländern wie Deutschland boomt die Heimtierindustrie - die Palette reicht von Wohlfühlprodukten bis hin zu exklusivem Futter. Haustiere gelten heute als Allheilmittel gegen Schulstress, Burnout oder Depressionen. Nach einer Scheidung oder dem Verlust des Arbeitsplatzes sollen Katze, Hund oder Pferd über die Krise hinweghelfen. Doch wenn sich die Lebensumstände ändern oder das Geld ausgeht, wird so mancher treuer Helfer "entsorgt" und landet im Tierheim.

Überbordende Tierliebe, sagen Tierrechtler, ist wie die Massentierhaltung ein Beleg für den Machtanspruch der Menschen. Eine Sonderstellung des Menschen ("Krone der Schöpfung") lehnen Tierrechtler ab. Sie halten Tiere prinzipiell für gleichwertig, ihnen gebühren Rechte auf Leben und Freiheit.


4