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Das Thema Erfolgsmodell der Evolution

Stand: 23.02.2012 | Archiv

Fliegen für die Wissenschaft

Jürgen Tautz

Bienenforscher zu sein ist nicht immer ganz einfach. Wenn ein erwachsener Mann auf einer Blumenwiese Bienen dressiert, kann das auf andere schon etwas kauzig wirken. Eine Situation, die auch Jürgen Tautz kennt. Der Verhaltensforscher leitet an der Universität Würzburg die Bee-Group - eine Forschungsgruppe, die sich mit der Biologie der Honigbiene beschäftigt. Und sitzt für seine Leidenschaft eben manchmal mit kleinem Holztisch, Klemmbrett, Stoppuhr und Zuckerwasserschälchen auf besagter Blumenwiese und übt sich in der Bienen-Dressur.

In der Bienenstation Würzburg sieht das freilich anders aus. Dort stehen dem Bee-Team gleich sechs Testvölker zur Verfügung. Sie wohnen in Holzkästen im Keller der Forschungsstation. Durch ein Loch in der Hausmauer fliegen die Sammelbienen ins Freie. Ihr Kommen und Gehen wird durch einen winzigen, federleichten Mikrochip registriert. Der wird den Insekten bei ihrer Geburt auf den Rücken geklebt. Bienen-Dienste für die Wissenschaft ...

Drohnenleben

Die Testbienenvölker sind zwar recht klein. Aber alle wichtigen Funktionen sind vertreten: Es gibt die Königin und emsige Arbeiterinnen mit den verschiedensten Jobs. Im Frühsommer kommen noch ein paar Hundert männliche Bienen hinzu. Die schlüpfen aus unbefruchteten Eiern und haben im Stock nicht viel zu tun. Als Drohnen fressen sie nur oder besamen Königinnen aus anderen Kolonien. Für die unproduktiven Kerle ein kurzes Vergnügen. Beim finalen Sex platzt der Hinterleib des Männchens und es stirbt. Wer am Ende der Paarungszeit noch lebt, wird von den Arbeiterinnen vor die Tür gesetzt.

Dicke Monarchin

Bienenkönigin ist ein verantwortungsvoller Job. Ihrer Majestät ordnen sich alle im Stock unter. Sie sorgt für den Erhalt und das Wachstum ihres Volkes - ist das einzige Weibchen, das sich vermehren kann. Erst wenige Tage alt entschwebt sie zum Hochzeitsflug und lässt sich von fremden Drohnen begatten. Dazu wird sie aber erst einmal auf Diät gesetzt. Sonst könnte der Moppel gar nicht vom Boden abheben - so dick und rund wie er ist. Eigentlich kein Wunder. Werden Ihre Hoheit doch seit ihrer Larvenzeit vom Hofstaat mit Gelée royale gefüttert; einem Kraftfutter aus Zucker, Eiweiß und Aminosäuren. Das Drüsensekret (Schwestermilch) wird von Ammenbienen ausgeschieden. Es versorgt die Larven mit Energie und schützt sie vor Krankheiten - wie uns die Muttermilch. Künftige Arbeiterinnen erhalten das Gelée freilich nur wenige Tage, die Königin auf Lebenszeit. Derart gestärkt legt sie dann fast pausenlos Eier.

Erbrütete Intelligenz

Im Frühjahr beginnt sie - die Bienensaison. Die Natur erstrahlt in bunten Farben und die kleinen Pollensammler haben viel zu tun. Für das Alltagsgeschäft im Bienenvolk sind die Arbeiterinnen verantwortlich. Die fleißigen Tiere entwickeln sich aus den befruchteten Eiern der Königin. Die Intelligenz wird ihnen dabei sprichwörtlich in die Wiege gelegt. Sie hängt davon ab, bei welcher Temperatur eine Larve aufwächst. Das haben Brutschrankexperimente der Bee-Group ergeben: So sind 35-Grad-Bienen offenbar schlauer als 33-Grad-Bienen. Kühler bebrütete Bienen arbeiten häufiger und ausdauernder im Stock, wärmer bebrüteter Nachwuchs kingegen ist intelligenter und kommunikativer. Die Temperatur im Brutnest bestimmen Heizerbienen durch schnelle Bewegungen ihrer Flügelmuskulatur.

Emsiges Völkchen

Honigbienen beim Bau von Waben

Etwa dreiviertel ihres Lebens verbringen die Arbeiterinnen im Innendienst. Über ihren Berufsweg müssen sie sich dabei keine Gedanken machen. Der ist in ihrem Erbgut festgelegt. Am Anfang ihres Lebens arbeiten sie vorwiegend als Reinigungspersonal, Bauhelfer oder versorgen als Tankstellenbienen erschöpfte Heizerinnen mit Honig. Nektarabnehmerinnen arbeiten den Honigerzeugerinnen zu. Die saugen die zuckerhaltige Flüssigkeit auf, mischen sie mit Sekreten, verdichten sie und scheiden sie wieder aus - unser goldgelber Brotaufstrich entsteht. Den mitgebrachten Blütenstaub pressen Pollenstampferinnen zu Wabenzellen. Junge Ammenbienen stellen daraus in ihren Kopfdrüsen eiweißreiches Gelée royale her.

Geruchskontrolle

Ihr Berufsweg führt die eifrigen Sechsbeiner so vom Stockzentrum immer mehr Richtung Ausgang. Dort verströmen Anflughelferinnen Duftstoffe, die Heimkehrenden die Orientierung erleichtern. Dabei entgeht den Facettenaugen der Türsteherinnen nichts. Besonders im Spätsommer. Dann wird das Futter knapp und die Eingangspforte genau kontrolliert. Stockeigene Honigbienen werden anhand ihres Geruches erkannt. Stockfremde Bienen können sich dagegen in ein Volk einbetteln. Und zwar mit einem altbewährten Trick: dem Gastgeschenk. Bei einem vollen Nektarkropf fragt letztlich niemand mehr nach dem Personalausweis.

Bienchen summt herum

Seniorinnen mit Lebenserfahrung verlassen schließlich den Stock. Außendienst-Neulinge werden dabei von versierten Kräften eingewiesen. Als Pfadfinderinnen suchen sie nach leckeren neuen Futterquellen. Oder arbeiten als Sammelbiene. Im Sommer gibt es hiervon bis zu 150.000 pro Kolonie. Die emsigen Insekten schaffen alles heran, was ein Bienenvolk zum Überleben braucht. Den Blütennektar saugen sie mit ihrem Rüssel auf und transportieren ihn in der Honigblase. Der Pollen wird in das so genannte Pollen-Höschen an den Hinterbeinen gepackt und auf schnellstem Wege zum Stock gebracht.

Mit Kuhglocken zum Nobelpreis

Tanz der Bienen

Wo die Blütenschätze zu finden sind, erfährt eine Sammlerin von ihren Kolleginnen im Stock. Dabei unterhalten sich die Honigbienen in der ihnen eigenen Tanzsprache: dem Rund- und Schwänzeltanz. Das hat Karl von Frisch in den 1920er Jahren entdeckt. Im Jahr 1973 erhielt er dafür den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin. Zwar standen dem Verhaltensforscher damals noch keine Mikrochips zur Verfügung. Dafür zeigten ihm Beobachter mit Kuhglocken an, wenn eine seiner Versuchsbienen auf dem Heimweg war.

Getanzte Sprache

Die Sechsbeiner teilen sich beim Bienentanz mit, in welcher Entfernung Futter zu finden ist. Der Rundtanz ist dabei die einfachste Form. Er weist auf bis zu 100 Meter entfernte Blütenschätze hin. Die Biene läuft auf den Waben im Kreis, abwechselnd links und rechts herum. Ihre Kolleginnen imitieren die Bewegung. Und nehmen mit ihren Fühlern den mitgebrachten Blütenduft auf. Je ergiebiger die Nahrungsquelle, desto lebhafter wird getanzt. Eine Richtungsangabe gibt es dabei nicht. Die erfolgt nur bei weiter entfernten Futterquellen - und dann im Schwänzeltanz. Dabei läuft die Vortänzerin schwänzelnd ein Stück geradeaus und kehrt danach auf einem Halbkreis zum Ausgangspunkt zurück. Der Winkel der Geraden zur Senkrechten entspricht dem Winkel zur Sonne, den die Nestgenossinnen bei ihrem Flug einhalten müssen.

Optischer Kilometerzähler

Entfernung und Himmelsrichtung übertragen die Sammelbienen in ihren persönlichen Flugschreiber. Ihre Reisegeschwindigkeit kann rund 30 Stundenkilometer betragen. Je schneller sie fliegt, desto weniger Farben kann sie allerdings erkennen. Die Landschaft besteht für sie dann aus grauen Klecksen. Das an ihr vorbeiziehende Bild (optischer Fluss) nutzt sie, um die zurückgelegte Strecke abzuschätzen - quasi ein eingebauter optischer Kilometerzähler. Je nach Geländestruktur irrt der manchmal aber auch. Und steht bei einer ebenen Wasserfläche sogar ganz still. Das haben Tautz und seine Kollegen in Australien herausgefunden.

Fleißiges Bienchen

Seit 40 Millionen Jahren summt sie schon herum - unsere Honigbiene. Das beweist ein an der Ostsee gefundenes Bernstein-Fossil. In Mitteleuropa bestäubt das emsige Insekt rund 2.000 bis 3.000 Pflanzenarten: Äpfel, Kirschen, Birnen und Pflaumen, aber auch Sonnenblumen, Raps, Rotklee, Tomaten, Gurken, Kürbisse oder Hülsenfrüchte. So legt ein Volk in den warmen Monaten rund 20 Millionen Flugkilometer zurück. Und macht damit den Imker froh. Rund 25.000 Tonnen Honig im Jahr produzieren heimische Bienenvölker aus dem zuckersüßen Nektar der Blüten. Und gehören so zu den wichtigsten Nutztieren des Menschen.

Faul lebt länger

Das emsige Bienenleben hat einen entscheidenden Nachteil: Wer viel arbeitet, wird nicht sehr alt. Das Arbeitspensum einer Biene hängt von der Jahreszeit ab, in der sie geboren wurde. Fleißig sind vor allem die Sommerbienen. Unermüdlich sammeln sie Pollen und Nektar. Und werden bei all der Plackerei nur wenige Wochen alt. Winterbienen leben da wesentlich länger - rund zehn Monate. Warum das so ist, versucht die Bee-Group noch herauszufinden. Denn eigentlich haben alle Honigbienen das gleiche Erbgut. Klar scheint nur: Im Gegensatz zu den arbeitsintensiven Sommermonaten geht es im Winter vor allem ums Durchhalten. Dann kuscheln sich die Bienen im Stock aneinander, zehren vom eingelagerten Honig. Und ziehen im nächsten Frühjahr die erste Brut des Jahres groß.


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