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Fluch der Menschheit?

Von: Simon Demmelhuber / Sendung: Inga Pflug

Stand: 17.05.2018 | Archiv

Mensch, Natur und UmweltMS, RS, Gy

Gold ist widersprüchlich wie das Leben selbst. Ein Symbol höchster Reinheit, göttlicher Vollkommenheit und himmlischer Wonnen. Aber auch der Inbegriff tiefster Verderbtheit, menschlicher Laster und höllischer Habgier.

Es war eine Sensation: 2004 stießen Archäologen in Sakdrissi, 50 Kilometer südlich der georgischen Hauptstadt Tiflis, auf das bislang älteste bekannte Goldbergwerk der Welt. Bereits dreitausend Jahre vor Christus hatten Menschen der frühen Bronzezeit auf der Suche nach Gold hier tiefe Stollen und Hohlräume in die Erde gegraben. Doch da war das schimmernde Edelmetall schon längst ein begehrtes Gut, das nicht nur Macht und Einfluss seines Besitzers, sondern auch den Glauben an ein Weiterleben nach dem Tod dokumentierte: Die frühesten bekannten Goldschmiedearbeiten sind nochmals tausend Jahre älter als die Mine im Kaukasus. Sie stammen aus dem berühmten Gräberfeld von Varna, wo die Thraker, frühe Bewohner des heutigen Bulgarien, ihren wohlhabenden Toten kunstvollen Goldschmuck mit ins Grab gelegt hatten.

Ein knappes Gut

Seit mindestens 6.500 Jahren ist Gold ein Zeichen menschlicher Spiritualität und ein Ausweis von Reichtum, Status, Bedeutsamkeit. Wer es besitzt, gehört zu den Großen dieser Welt, hat Teil am Glanz und der Kostbarkeit und Dauer des Goldes. Doch was macht gerade diesen Stoff so begehrenswert? Zum einen ganz platt seine Seltenheit. Gold ist knapp, auch heute in Zeiten seiner industriellen Gewinnung: Während derzeit jährlich über eine Milliarde Tonnen Roheisen produziert werden, bleibt die Goldproduktion mit rund 2.500 Tonnen weit dahinter zurück.

Dabei konnten frühere Epochen selbst von solch vergleichbar geringen Mengen noch nicht einmal träumen. In den ersten geschichtlichen Jahrtausenden der Menschheit war Gold noch ungleich knapper als heute. Vor dem Beginn des 20. Jahrhunderts wurden weltweit jeweils nur einige Tonnen jährlich erschlossen. 91 Prozent des bis heute abgebauten Goldes, zusammen etwa 150.000 Tonnen, kamen erst in den letzten hundert Jahren zutage. Obwohl die Menschheit also seit mehr als 6.000 Jahren ununterbrochen Gold aus Flüssen wäscht oder aus der Erde gräbt, ist Gold so rar, dass im Lauf der Geschichte insgesamt nicht mehr als insgesamt 177.000 Tonnen gewonnen wurden.

Glanz der Ewigkeit

Während der Marktwert des Goldes auf seiner Knappheit beruht, speist sich sein ideeller Wert aus einer Symbolik, die es schon früh in die Nähe des Göttlichen rückte. Gold ist dauerhaft, es altert, verwittert und rostet nicht, es ist rein, gleißend und sonnenhaft. In seinen Eigenschaften, so dachten Antike und später das Christentum gleichermaßen, offenbart sich die eigentliche, geistige Wirklichkeit der Welt: Gold steht für Erhabenheit und Ewigkeit. Sein Glanz repräsentiert den Himmel und die Vollkommenheit Gottes, das Licht als Schöpfungsprinzip und schließlich, weil es leuchtend aus der Erde geborgen wird, die Verklärung und Unzerstörbarkeit der Seele. Da die sichtbaren Qualitäten stets auch als Zeichen unsichtbarer wesenhafter Kräfte galten, sprach man goldenen Amuletten schützende Magie und goldhaltigen Arzneien heilende, lebensverlängernde Wirkungen zu.

Sucht und Beschaffungskriminalität

Gold ist auch der Inbegriff zerstörerischer Gier, des Lasters, der Habsucht, des Frevels und des Neides schlechthin. Es macht gierig. Es lockt, verführt, verleitet zum Bösen. Für und um Gold wurden Kriege geführt, Morde und Verbrechen begangen. Für Gold haben Menschen geplündert, geraubt, gestohlen, betrogen, gelogen und ganze Völker vernichtet. An Beispielen für die finstere Seite des gefährlichen Suchtstoffs und Fälle exzessiver privater oder staatlicher Beschaffungskriminalität ist kein Mangel: So fiel etwa der römische Kaiser Trajan im Jahr 101 in Dakien (heute Rumänien) ein, um seinen kostspieligen, ruinösen Bauprunk zu finanzieren. 165 Tonnen Beutegold soll er nach Rom zurückgeschleppt haben, genug, um das nach ihm benannte Forum, andere riesige Prachtbauten und vor allem sein gewaltiges kaiserliches Ego zu errichten.

Eldorado wird geplündert

Wie viel Gold fast anderthalb Jahrtausende später spanische Glücksritter bei der Eroberung Süd- und Mittelamerikas stahlen, raubten, plünderten, erpressten, von Dächern oder aus Tempeln und Gräber rissen, lässt sich wohl nicht einmal annähernd schätzen. Die Inka schätzten das Gold nicht als Zahlungsmittel, sondern als Verkörperung des Sonnengottes, bei den Europäern zählte dagegen nur der schiere Materialwert. Ausgestattet mit Raubprivilegien ihrer allerchristlichsten spanischen Majestäten gingen die Conquistadores weder bei der Beschaffung noch beim Abtransport der erbeuteten Schätze zimperlich vor. Weil sich Barrengold nun einmal besser stapeln und verfrachten lässt, schmolzen sie unwiederbringliche Kunstschätze, Sakral- und Kultgegenstände, Gefäße und Schmuck kurzerhand ein. Nach der Eroberung, Plünderung und Zerstörung der Inka-Hauptstadt Cusco im November 1533 sollen die Schmelzöfen, so berichten Augenzeugen, einen Monat lang pausenlos gebrannt und gearbeitet haben.

Gold im Berg

Obwohl das meiste Gold seit der Antike im Kaukasus, in Ägypten und Afrika gefördert und dann weltweit gehandelt wurde, entwickelte sich im späten Mittelalter auch in Deutschland ein Goldbergbau, der durchaus ergiebige Lagerstätten ausbeutete. Zeugnisse der elenden Bedingungen, unter denen die Bergleute in diesen Minen schufteten, haben sich in Goldkronach am Fuß des Fichtelgebirges erhalten. Gleich zwei Besucherbergwerke und ein Museum dokumentieren die Arbeit der Goldsucher, die hier seit etwa 1400 goldhaltigen Quarz fördern. Es ist eine verfluchte Schinderei bei schmaler Kost, kargem Lohn und hohem Risiko. In den Gruben steht das Wasser, ständig ist es feucht, die Temperaturen schwanken zwischen sechs und acht Grad. Die Augen entzünden sich, weil es kein anständiges Licht, sondern nur trübe, rauchige Funzeln gibt. Und ständig platzen Steine unter dem Meißel ab, deren tückisch kleine Splitter keine Brille auffängt. Schutzkleidung, Unfall- und Krankenversicherung, Arbeitsrecht? Fehlanzeige! Dafür sind Rheuma und Silikose, eine unheilbare quälende Lungenkrankheit, an der Tagesordnung. Berufskrankheiten, die niemand so nennt und für die es keine Vorsorge, keine Abhilfe, keine Entschädigung gibt.

Kraterstimmung

So, wie die Menschen mit sich und ihresgleichen umgehen, so gehen sie auch mit der Landschaft um: Hart, brutal, rücksichtslos, nur auf den eigenen Vorteil bedacht: Homo homini et terrae lupus! Das Gelände ist in weitem Umkreis von den Spuren des Bergbaus gezeichnet. Goldkronach ist kahl und baumlos, die Erde von Gruben und Gräben durchwühlt, aufgebrochen: ein geschundenes Terrain, eine trostlose Kraterlandschaft. Der Berg frisst den Wald, er verleibt sich das Holz ein, um seine durchwühlten Eingeweide zu stützen. Auch das Erzgestein hat großen Holzappetit. Es muss bei hohen Temperaturen ausgeschmolzen werden, wenn es das Gold hergeben soll. Das verschlingt unglaubliche Mengen an Brennmaterial, mehr als nachwachsen kann.

Gold zerstört und vernichtet

Seit der Bergbau in den frühen 1920er-Jahren eingestellt wurde, hat sich Goldkronach erholt. Die Stadt ist heute wieder grün, die Bäume sind nachgewachsen, die Wunden im Berg verheilt. Eine Wiedereröffnung der Minen wünscht sich hier niemand mehr, obwohl noch reichlich Gold im Berg steckt. Zehn bis elf Gramm pro Tonne Gestein sind es schätzungsweise, und das ist viel. International gilt mittlerweile ein Bruchteil dieses Goldgehalts als abbauwürdig. In Afrika, Australien, Asien, China und in der Taiga gibt man sich bereits mit drei bis einem Gramm pro Tonne zufrieden. Seit die Unsicherheiten des Währungsmarktes den Goldpreis auf ein neues Allzeithoch getrieben haben, lohnt sich auch der Abbau auch in entlegenen, minder ergiebigen und schwer erschließbaren Minen. Vorausgesetzt, das Umfeld stimmt. Das bedeutet: billige Arbeitskräfte, wenig staatliche Hindernisse, keinen Bürgerprotest. Und es bedeutet vor allem: keine ökologischen Hürden! Nur dort, wo Umweltauflagen locker gehandhabt oder am besten gleich ganz gekippt werden, nur dort, wo der Staat und seine Behörden zwar beide Augen zumachen aber die Hand aufhalten, lohnt sich das Geschäft.

Säuren, Laugen, Umweltgifte

Denn der moderne Goldabbau ist in erster Linie eines: hochgiftig! Um das Gold aus dem Sand oder Gestein zu holen, setzen die Minen aggressive Säuren, Cyanidlaugen und Quecksilber ein. Ein Großteil der Prozessgifte gelangt unkontrolliert und in großen Mengen in den Boden, ins Wasser und in die Luft. Dabei sind Cyanide, also Blausäuresalze und Blausäureverbindungen, bereits in kleinsten Mengen tödlich. 120.000 Tonnen dieses Giftes gelangen als Folge des Goldbergbaus in die Umwelt. Quecksilber reichert sich im Körper an und schädigt das Nervensystem. Seine technische und medizinische Verwendung erfordert extreme Sicherheitsauflagen, in den meisten Staaten der Welt darf es nicht mehr in Verkehr gebracht werden. Aber allein die Mineure am Amazonas kippen jedes Jahr rund 100 Tonnen des gefährlichen Schwermetalls in die Lebensader Südamerikas.

Menschrechte außer Kraft

Der Goldbergbau hinterlässt nicht nur abgeholzte Flächen, durchwühlte Gebirge, verseuchte Gewässer und vergiftete Böden. Er ist auch überall dort ein menschliches Desaster, wo grundlegende Menschenrechte, Arbeitsgesetze und soziale Standards fehlen, wo die Eigentums- und Besitzrechte indigener Völker missachtet und wo Kinder als billige Arbeitssklaven missbraucht werden. Alleine in Peru schinden sich schätzungsweise 50.000 Kinder in Bergwerken, schleppen Steine, legen Zünder für Sprengungen, atmen giftige Dämpfe ein, besuchen nie eine Schule. Im Regenwald zerstört der Goldabbau das Ökosystem, vertreibt indigene Völker, vernichtet ihre Lebensgrundlage, ihre Kultstätten und heiligen Orte.

Kannibalen unter sich

Wie rücksichtslos die Minenindustrie vorgeht, dass sie bereit ist, die eigene Geschichte zu kannibalisieren und nicht einmal vor der Zerstörung ihres frühsten Zeugnisses zurückschreckt, zeigt sich auch in Kadrissi. 2006 wurde das älteste bekannte Goldbergwerk der Welt von der georgischen Denkmalbehörde zum nationalen Kulturerbe erklärt. Ein herber Schlag für die Bergbaugesellschaft RMG Gold Ltd. Denn das Konsortium besaß nun zwar die staatlich lizensierten Schürfrechte, musste aufgrund des Schutztitels jedoch auf den weiteren Abbau verzichten. Zumindest vorerst. Mineure verstehen sich auf Aktivitäten untertage und Arbeiten im Untergrund spezialisiert. So auch in Georgien: Im Oktober 2013 hob der georgische Ministerpräsident den Status eines nationalen Kulturerbes trotz vehementer in- und ausländischer Proteste auf. Die Argumente waren dünn, die Gründe fadenscheinig. Aber wen stört das? Es geht schließlich um Gold! Seit 2014 wird es in Kadrissi wieder gefördert. Die Ausbeute beträgt 1,03 Gramm pro Tonne Gestein. Das Areal des prähistorischen Bergbaus wurde inzwischen völlig zerstört. Weder Journalisten noch Wissenschaftler dürfen das Gelände betreten. Vielleicht, so scheint es, prüfen nicht wir das Gold. Vielleicht prüft das Gold uns.


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