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Hintergrundinformationen Kaiser Wilhelm der Zweite

Als Kaiser Wilhelm II. am 4. Juni 1941 im Alter von 82 Jahren starb, hatte er zwei Leben gelebt: das eines der wichtigsten Männer der Zeitgeschichte und ein anderes am Rande völliger Bedeutungslosigkeit.

Von: Rainer Volk

Stand: 30.01.2014 | Archiv

Wilhelm II. in Positur | Bild: picture-alliance/dpa

Die zwei Leben des Wilhelm Zwo

Als Kaiser Wilhelm II. am 4. Juni 1941 im Alter von 82 Jahren starb, hatte er zwei Leben gelebt: das eines der wichtigsten Männer der Zeitgeschichte und ein anderes am Rande völliger Bedeutungslosigkeit. Die Zeit seiner Machtfülle brach im "Drei-Kaiser-Jahr" 1888 an, als Wilhelm nach dem Tod des Großvaters im März und dem Krebstod des Vaters im Juni unvorbereitet Kaiser wurde. In den 30 Jahren seiner Herrschaft setzte er die unterschiedlichsten Zeichen: nach außen wollte er Deutschlands Weltgeltung stärken, er ließ eine große Flotte aufrüsten und verschob das europäische Gleichgewicht der Kräfte.
Innenpolitisch brachte er soziale Reformen voran, er galt als technikbegeistert und fortschrittsgläubig, mit einer Reform des Wahlrechts tat er sich allerdings schwer. Im Ersten Weltkrieg wendete sich das Blatt: Macht und Geltung des Kaisers schwanden zusehends, die Abdankung im November 1918 spiegelte diesen Prozess. Unmittelbar nachdem der Reichskanzler Max von Baden, nicht etwa der Kaiser selbst, Wilhelms Rücktritt erklärt hatte, setzte dieser sich ins Exil nach Holland ab und verschwand völlig aus dem Bewusstsein der Deutschen. Ein Schritt in eine neue, schlichte Existenz.

Schwerer Start

Schon die Geburt war schwer genug gewesen: als Steißlage wurde dem Kind anscheinend das Armgeflecht unterhalb des Schlüsselbeins abgerissen, Ursache einer Lähmung und lebenslangen Behinderung. Den verkrüppelten Arm ihres Erstgeborenen empfand Kronprinzessin Victoria als persönliche Niederlage und ein Manko, das grausame ärztliche Behandlungen beheben sollten – vergeblich.
Nicht viel feinfühliger war die Erziehung durch den calvinistischen Hauslehrer Georg Hinzpeter. Das Übermaß an Drill bewirkte, dass Wilhelm sein Handicap als Unzulänglichkeit empfand, die er durch Pomp und Prunk zu überspielen suchte. So soll er eine Schwäche für prächtige Uniformen gehabt und sich bis zu sechsmal am Tag umgezogen haben. Seine Leidenschaft für Militärparaden und geckenhafte Auftritte hat ihm manchen Spott eingetragen, nicht zuletzt von seiner Mutter, Kaiserin Viktoria, mit der er sich immer wieder zerstritt und erst kurz vor ihrem Tod theatralisch versöhnte.
Dass es ihm an Format fehlte, vor allem auch im Vergleich zu seinem Vorbild, dem Großvater Wilhelm I., galt als allgemein bekannt. Verstärkt wurde dieser Eindruck durch einige diplomatische Fauxpas, die ihm im Laufe seiner Amtszeit unterliefen.

Kaiserliche Fehltritte

Der Kaiser war eine Sphinx – nur dass er weniger durch sein Schweigen als durch seine Reden für viele Zeitgenossen ein Rätsel blieb. Ansprachen, die seinen widersprüchlichen Charakter widerspiegeln und eine Vorstellung vom gottgegebenen Königtum, die eher ins Mittelalter als ins 19. Jahrhundert passt. Damit stand er im Gegensatz zur Auffassung seiner Eltern von einer liberal-konstitutionellen Monarchie. Wilhelms Schwerpunkte sahen anders aus: Er wollte, dass Deutschland mitspielte im Konzert der Mächtigen und auch seinen "Platz an der Sonne" bekäme, wie es der Reichskanzler Bernhard von Bülow 1897 formulierte.
In diesem kolonialistischen Umfeld steht der diplomatische Eklat, den Wilhelm mit seiner "Krügerdepesche" auslöste. Weil der Burenpräsident der Republik Transvaal dem deutschen Reich Teile Südafrikas in Aussicht gestellt hatte, gratulierte der Kaiser "Ohm" Krüger zu einem Erfolg über die Briten. Queen Victoria war "not amused" und forderte eine Entschuldigung vom Enkel. Auch die so genannte Hunnenrede vom 17. Juli 1900, mit der Wilhelm ein Korps in den chinesischen Boxeraufstand entsandte, stieß auf Unverständnis. Arroganz und Anmaßung sprechen aus seinen Worten, die die Öffentlichkeit dank einer schnellen Pressearbeit des Reichskanzlers nur in einer abgemilderten Version erreichten. Bei einem anderen Debakel versagte diese redaktionelle Vorwäsche (vielleicht ließ Bernhard von Bülow den Kaiser in der "Daily-Telegraph-Affäre" auch bewusst auflaufen): Ein Interview, das ein britischer Journalist aus Gesprächsfetzen mit dem Kaiser montiert hatte, erregte die Gemüter – der Kaiser sei zu englandfreundlich, er habe zu indiskret geantwortet und Deutschland zum Gespött der Welt gemacht.
Ein Eklat nach innen, der nach außen ein merkwürdiges Bild vom Rückhalt des Kaisers in Volk und Regierung gab. Wie fern Wilhelm geschicktes Taktieren war, zeigt der Schlingerkurs gegen Russland: Zwar führte ihn sein erster Staatsbesuch 1888 nach St. Petersburg, doch der nicht verlängerte Rückversicherungsvertrag erregte russischen Missmut. Die Unterstützung Österreichs auf dem Balkan trieb Zar Nikolaus II. schließlich in das Bündnis der "Entente cordiale", das Frankreich und England bereits geschlossen hatten.

Die Lage im Inneren

Nur etwas besser fällt Wilhelms innenpolitische Bilanz aus. Der junge Thronfolger, 1888 angetreten mit dem Wunsch, ein Kaiser aller Deutschen zu sein, sorgte sich um die Integration der Katholiken (nach dem von Bismarck betriebenen Kulturkampf), der Juden, der polnischen Minderheit in Posen. Über einen Paragraphen der Sozialistengesetze verkrachte sich Wilhelm mit dem altgedienten Kanzler und nahm dessen Rücktritt an – die "einzige geschichtswendende Handlung" des Kaisers, wie ein Historiker sarkastisch schrieb.
Das Verbot der Sonntagsarbeit, der Mutterschutz und die Einschränkung der Kinderarbeit waren weitere Ziele Wilhelms – gegen den Widerstand der Sozialdemokraten, die eine grundlegende Umstrukturierung anstrebten und deshalb die Teilschritte boykottierten. Doch ihre Forderungen nach einer Verfassungsänderung und weiteren Demokratisierung, nach der Abschaffung des Drei-Klassen-Wahlrechts in Preußen, der Senkung der Rüstungsausgaben und der Freiheit für die Kolonien gingen Wilhelm zu weit – Reichstag und Kaiser trennten Welten. Als dem Monarchen bewusst wurde, dass sein "Neuer Kurs" einer rücksichtsvolleren Politik seine Popularität nicht steigerte, begann er selbst gegenzusteuern. Durch das Prinzip des "persönlichen Regiments" versuchte er stärkeren Einfluss zu nehmen und schwächte dadurch seine Reichskanzler. Im Verlauf der 90er Jahre kam die Sozialgesetzgebung wegen der sich blockierenden Lager ins Stocken, der "Volkskaiser", als der er sich so gern fühlte, verlagerte sein Interesse auf den Ausbau der deutschen Schlachtflotte und eine imperialistische Weltpolitik. Ein Ventil für die inneren Spannungen, die das Land teuer zu stehen kam: Die Ausgaben des Staates vervierfachten sich innerhalb von 15 Jahren auf 4,5 Milliarden Reichsmark. Geld, das vor allem in die Vorbereitung eines Krieges geflossen war, der zunehmend als Option erschien.

Krieg in Gottes Namen

In den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts hatte sich der Kaiser diplomatisch in die Ecke manövriert, in imperialistischen Reden betonte er die deutsche Kriegsbereitschaft, innere Krisen wie die Daily-Telegraph-Affäre und die angeblich homoerotischen Neigungen seines Beraterfreundes Philipp zu Eulenburg hatten das Ansehen des Kaisers geschwächt. Während rings um ihn Forschung und Wissenschaften Sensationelles hervorbrachten, berief sich der Kaiser auf seine "Pflichten dem Himmel gegenüber" und das Gottesgnadentum seiner Herrschaft.
Von alten Bündnispartnern isoliert, blieb nur noch die Verbindung mit Österreich-Ungarn. Der alte Kaiser Franz Joseph hatte ein Ultimatum gegen Serbien ausgesprochen – nach der Ermordung seines Thronfolgers Erzherzog Franz-Ferdinand in Sarajevo machte er die Drohungen wahr und erklärte Serbien den Krieg. Deutschland hoffte auf einen Blitzsieg und taumelte euphorisch in den Ersten Weltkrieg, jene "Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts". Statt die wichtigsten Entscheidungen dem Reichskabinett zu überlassen, übertrug Wilhelm die Verantwortung den machtbewussten Generälen Ludendorff und Hindenburg in der Obersten Heeresleitung. Der Einfluss des Kaisers schwand, seine letzte große Entscheidung war die Zustimmung zum "uneingeschränkten U-Boot-Krieg" 1917.
Ein Jahr später war seine Bedeutungslosigkeit perfekt – sie gipfelte in der Abdankung, einer Bedingung für den Waffenstillstand. Der Reichskanzler Max von Baden erklärte Wilhelms Abdankung, der Kaiser selbst unterzeichnete eine entsprechende Urkunde erst drei Wochen später im niederländischen Exil.

Der Kaiser privé

Zwei Frauen brachten etwas Wärme in Wilhelms gefühlskalte Umgebung: die alte Kaiserin Augusta und Prinzessin Auguste Viktoria von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg, seine erste Frau. Nach der Heirat im Februar 1881 schenkte sie ihm sechs Söhne und eine Tochter – und viel häuslichen Rückhalt. Ihre kritiklose Bewunderung hielt 40 Ehejahre, die letzten Worte der Kaiserin sollen gewesen sein: "Ich darf nicht sterben, ich kann doch den Kaiser nicht allein lassen". Auguste Viktoria starb im April 1921 im ungeliebten niederländischen Exil, bei der Überführung des Sarges in den Antikentempel von Schloss Sanssouci trauerten Tausende um die populäre Landesmutter.
Umso erstaunter waren viele, dass sich Wilhelm über den Tod der ergebenen Gattin recht schnell hinwegtröstete. Er heiratete 1922 erneut: Hermine Prinzessin von Schoenaich-Carolath, eine Frau mit eigener Meinung und einer wohltätigen Ader, ihr "Herminen-Hilfswerk" half während der Weltwirtschaftskrise verarmten Menschen. Das Verhältnis zu Wilhelm soll durchaus spannungsgeladen gewesen sein, so war das Paar etwa in der Beurteilung des Nationalsozialismus uneins.
Während Hermine uneingeschränkt begeistert war und auf eine Erneuerung der Monarchie hoffte, freundete sich der alte Kaiser nur mit Teilaspekten der neuen Politik an – etwa mit dem Antisemitismus (allerdings verurteilte er die "Reichsprogromnacht"). Also waren vielleicht die häuslichen Zwistigkeiten der Grund für Wilhelms späte Naturverbundenheit und seinen legendären Hang zum Holzhacken? Körperlich geschadet hat ihm das jedenfalls nicht: Fit bis ins hohe Alter starb Wilhelm II. am 4. Juni 1941 in Doorn.


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