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Das Thema Bismarcks Abgang

Stand: 26.03.2011 | Archiv

Wilhelm II. in Uniform 1900 | Bild: picture-alliance/dpa

Die Diplomatie des Kanzlers ist in den 1880er Jahren zunehmend umstritten. Seine Kritiker fordern eine der wirtschaftlichen Stärke Deutschlands entsprechende aggressive Außenpolitik. Als Kaiser Friedrich III. (1831-1888), Sohn und Nachfolger Wilhelms I., nach 99 Tagen Regierungszeit an Kehlkopfkrebs stirbt, folgt ihm sein 1859 geborener Sohn auf den Thron. Wilhelm II. ist ein typischer Vertreter der nassforsch auftretenden "Enkelgeneration", für die das Deutsche Reich eine Selbstverständlichkeit ist und die von einer deutschen Vormachtstellung in der Welt träumt.

"Der Lotse geht von Bord"

Der Konflikt zwischen dem neuen, geltungsbedürftigen Kaiser und Bismarck ist unausweichlich. Bismarcks "Russenfreundlichkeit" ist dem sprunghaften Wilhelm ein Dorn im Auge und auch in der Innenpolitik gehen die Meinungen auseinander. Der Kaiser lehnt eine Verlängerung des Sozialistengesetzes ab, weil es ohne Wirkung geblieben ist. Über die folgenden Auseinandersetzungen kommt es 1890 zur Entlassung Bismarcks. Statt "Deutschland ist saturiert" heißt es bald "Weltpolitik als Aufgabe, Weltmacht als Ziel, Flottenbau als Instrument".

"Wenn ich aber verdufte, werden sie nicht wissen, was sie machen sollen", hat einmal Bismarck gesagt - und tatsächlich handeln Wilhelm II. und seine Ratgeber orientierungslos. 1894 weigert sich Berlin, den Rückversicherungsvertrag zu verlängern. Daraufhin gehen Frankreich und Russland ein Bündnis ein. Deutschland bleibt in der "Wilhelminischen Ära" nur mehr ein Verbündeter: Österreich-Ungarn. In der Julikrise 1914 wird sich das als fatal erweisen.

Symbol des Deutschtums - Der Bismarck-Hype

Noch zu Lebzeiten erlebt Bismarck eine außergewöhnliche Verehrung, viele deutsche Städte tragen ihm die Ehrenbürgerwürde an. Maler und Bildhauer zeigen ihn in Heldenpose und als der "Eiserne Kanzler" seinen 80. Geburtstag feiert, schicken ihm die Deutschen 450.000 Glückwunschkarten.

Bismarck stirbt am 30. Juli 1898 im Alter von 83 Jahren in Friedrichsruh bei Hamburg. Bald darauf beginnt seine Stilisierung zu einem Mythos. Kaum eine größere Stadt verzichtet auf ein Denkmal. In Hamburg wird von dem Bildhauer Hugo Lederer eine besonders wuchtige, 36 Meter hohe Figur errichtet: Bismarck in Rüstung, gestützt auf ein Schwert.

Bismarcks "Gedanken und Erinnerungen" sind bis weit ins 20. Jahrhundert Pflichtlektüre für Politiker und Historiker. Nach dem "Reichseiniger" werden Schlachtschiffe, Heringe und Schnäpse benannt. Und in der Weimarer Republik - die Machteliten des Kaiserreichs haben die Revolution von 1918/19 unbeschadet überstanden - geht der Personenkult unvermindert weiter. Im "Dritten Reich" hämmert die Goebbels-Propaganda den Deutschen die Traditionslinie Friedrich II. - Bismarck - Hitler ein und feiert den "Eisernen Kanzler" als herausragende Symbolfigur des deutschen Nationalismus.

1947 löst der Alliierte Kontrollrat Preußen als "Träger des Militarismus und der Reaktion in Deutschland" auf. In der Bundesrepublik wird es ruhiger um Bismarck. Bundeskanzler Helmut Kohl regt in den 1990er Jahren die Gründung der Otto-von-Bismarck-Stiftung an.


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