Bayern 2 - radioWissen


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Auf dem Weg zu einer animalischen Ethik

Von: Christian Sepp / Sendung: Michael Reitz

Stand: 10.09.2017 | Archiv

Ethik und PhilosophieMS, RS, Gy

50 bis 60 Milliarden Tiere tötet der Mensch weltweit jedes Jahr. Die Bewegung zum Schutz der Tiere reicht zurück bis in das frühe 19. Jahrhundert und fordert eine grundlegende Diskussion des Verhältnisses zwischen Tier und Mensch.

Jeremy Bentham und der Utilitarismus

Die Tierrechtsbewegung nimmt ihren Anfang zu Beginn des Industriezeitalters. Eine Vorreiterrolle hierbei nimmt Großbritannien und das Gedankengut des englischen Philosophen Jeremy Bentham (1748-1832) ein. Bentham gilt als Begründer des Utilitarismus, einer der wenigen Moraltheorien, welche die Tiere schon immer mit einbezogen haben. Der Utilitarismus besagt, dass eine Handlung dann als nützlich und gerecht betrachtet werden kann, wenn sie den größtmöglichen Nutzen für die größtmögliche Anzahl von Menschen erbringt. Bentham war einer der ersten Befürworter von Tierrechten, die er aus dem dem Menschen gleichen Schmerzempfinden herleitet. Nicht der Besitz von Vernunft oder die Fähigkeit zu denken war für ihn ausschlaggebend, sondern die Leidensfähigkeit. Ansonsten dürfe man ja auch viele Menschen, wie Säuglinge oder geistig Behinderte, misshandeln. Sein Denken führte in Großbritannien zu einem der ersten Tierschutzgesetze der Welt, dem "Act for the Prevention of Cruel and Improper Treatment of Cattle" von 1822, auch "Martin’s Act" genannt. 

Peter Singer und "Animal Liberation"

Das heutige philosophische Nachdenken über die ethisch angemessene Behandlung von Tieren nimmt seinen Anfang in den 1970er Jahren. 1975 veröffentlichte der Philosoph Peter Singer (*1946) sein Buch "Animal Liberation", welches auf Basis eines utilitaristisch-egalitären Ansatzes für die Einbeziehung der Tiere in die Moral argumentiert. Singer prägte den Begriff des "Speziesismus", der vor allem in die Tierbefreiungsbewegung und die Tierethik Eingang gefunden hat. Nach Singer erfolgt die Kategorisierung der Lebewesen in Arten nach willkürlichen Kriterien, wozu insbesondere die Abgrenzung des Menschen zum restlichen Tierreich gehört. Um zu betonen, dass auch der Mensch eine tierische Spezies ist, wird in Abgrenzung häufig der Ausdruck "nichtmenschliche Tiere" verwendet.

Gegenwärtige Situation in der Rechtssprechung

In den meisten Ländern hat der Tierschutz die Form einfachrechtlicher Gesetze. Nur in der Schweiz und in Deutschland ist er stärker verankert, allerdings nicht in der Form von Grundrechten, sondern als in der Verfassung festgeschriebenes Staatsziel. In Deutschland wurde 2002 durch den Bundestag der Tierschutz als Staatsziel im Grundgesetz verankert. Der Artikel 20a des Grundgesetzes lautet nun: "Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtssprechung." Diese Regelung ist allerdings bisher ohne größere rechtspraktische Bedeutung geblieben. Eine stärkere Formulierung findet sich in der schweizerischen Bundesverfassung, welche in Artikel 120 als Staatsziel den "Schutz der Würde der Kreatur" aufstellt. 2008 erließ die Schweiz ein neues, verschärftes Tierschutzgesetz, das momentan als strengstes Tierschutzgesetz der Welt gilt.


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