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Briefe zur ästhetischen Erziehung

Von: Jens Berger / Sendung: Rainer Firmbach

Stand: 21.04.2015 | Archiv

Literatur und MusikRS, Gy

Ein stolzes Projekt: Friedrich Schiller wollte den Menschen durch Ästhetik erziehen und damit Natur und Vernunft in Einklang bringen. So machte er als Vorkämpfer des Idealismus die Lebenskunst zur Voraussetzung der Weltverbesserung.

Lagebericht: Revolution durchgeführt, Freiheit verloren

Um die Menschheit und um die Gesellschaft stand es Anfang der 1790er Jahre nicht gut. Die Revolution in Frankreich hatte im Terror geendet; die Stimmung im Volk schwankte zwischen Ratlosigkeit und Aktivismus. Die Geistesgeschichte - "das Denken" - machte hingegen große Sprünge. Philosophen, Pädagogen, Gesellschaftstheoretiker und Dichter sahen die Gelegenheit, nun endlich alles neu zu ordnen, Kunst, Kultur, Staat und Gesellschaft in neue Beziehung zueinander zu bringen und damit die Menschheit aufs richtige Gleis zu setzen.

Wie man die zunächst erkämpfte und vermeintlich erlangte Freiheit und Selbstbestimmung wiedererlangen und letztlich auf Dauer sichern könne, darüber war man sich nicht einig. Heute käme angesichts einer politischen Krise wohl kaum jemand auf die Idee, eine Lösung gerade von der Kunst zu erhoffen. Doch genau dies tat Friedrich Schiller. Und lieferte eine Erklärung dafür in seinen 27 Briefen "Über die ästhetische Erziehung des Menschen", die er schubweise in der von ihm herausgegebenen Literaturzeitschrift "Die Horen" veröffentlichte.

Ein Aufruf zum Umdenken

Zunächst analysierte er die Lage und fand beißende Worte über die moderne Gesellschaft - Worte, die uns heute nur allzu aktuell und vertraut erscheinen, allen voran der Begriff der Entfremdung. Schiller glaubte an die Ideale von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit; doch aus seiner Sicht kontrollierten die "Mechanismen des Zwanghaften" diese Freiheit. Reduziere man den Menschen auf nur wenige Aufgaben, erniedrige man ihn. Vor Schiller hatte bereits Immanuel Kant die Freiheit als Idealzustand postuliert. Schiller wollte mit seinen Briefen den zur Weg weisen:

Ästhetik als Haltung - Kunst als Instanz

Die "ästhetische Erziehung" will die Zersplitterung der menschlichen Triebe in der Moderne aufheben. Das heißt für Schiller, auf ein bisher noch unerreichtes, harmonisches Ideal hinzuarbeiten - und das ohne Zwang. Wodurch kann das gelingen? Nur indem man sich der Schönheit zuwende.

"Durch die Schönheit wird der sinnliche Mensch zur Form und zum Denken geleitet; durch die Schönheit wird der geistige Mensch zur Materie zurückgeführt und der Sinnenwelt wiedergegeben."

Zitat aus den Briefen

Die Ästhetik stellt somit für Schiller die einzige Möglichkeit dar, Gefühle mithilfe der Vernunft zu gestalten und so zwischen Natur und Vernunft zu vermitteln - und das auf spielerische Weise. Gelingt dies, ist viel gewonnen. Der Kunst kommt dann nämlich ein doppelter Sinn zu: Sie ermöglicht auf der einen Seite persönliches Glück und erfüllte Lebensführung und verändert dadurch auf der anderen Seite die Gesellschaft ins Positive. Denn es ist "die Schönheit ..., durch welche man zur Freiheit wandert".


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