Bayern 2 - radioWissen


27

Mutter Courage und ihre Kinder Das Thema

Stand: 30.04.2013 | Archiv

Themenbild Brecht | Bild: picture-alliance/dpa

Entstehung des Stücks

Im September 1939 brach der Zweite Weltkrieg aus. Bertolt Brecht befand sich im dänischen Exil und schrieb innerhalb kurzer Zeit, nachdem er schon einige Vorstudien angestellt hatte, "Mutter Courage und ihre Kinder". Dieses bekannte Antikriegsstück spielt im Dreißigjährigen Krieg des 17. Jahrhunderts, hatte damit aber deutlich auch einen aktuellen Anlass. Brecht sah in Dänemark und insgesamt in Europa potentielle Profiteure des Krieges, die hofften, sich gleichzeitig aus dem Krieg heraushalten zu können. Im Stück hat dieser Gegensatz zentrale Bedeutung.

Aktualität des Stücks

Bliebe es bei der Feststellung der historischen Bedingtheit des Stückes, so ließe sich kaum erklären, warum es zu den meist gespielten Werken Bertolt Brechts zählt. Es ist allerdings um Vieles mehr: es ist ein allgemeingültiges, gegen den Krieg und gegen unmenschliche Profitsucht gerichtetes Gleichnis. Am Beispiel der Mutter Courage und ihrer Kinder zeigt Brecht zunächst auf, dass er das Privilegierte seiner eigenen Situation durchaus gesehen hat: Er konnte ins Exil gehen – die Courage und ihre Kinder können das genauso wenig, wie viele heutige Kriegsopfer. Es sei nur an den Krieg im ehemaligen Jugoslawien oder an den Irakkrieg und seine Folgen erinnert.

Konzeption der Hauptfigur "Courage"

Brechts Hauptfigur "Mutter Courage" steht im Konflikt ihrer beiden Rollen. Sie ist Marketenderin, also Händlerin, und sie ist Mutter. Als Mutter sucht sie das Wohlbefinden und das Glück ihrer Kinder. In ihrer Rolle als Händlerin aber muss sie ihr Geschäft sichern, zunächst also mit Wagen und Ware den Krieg überstehen und darüber hinaus mit Ware Gewinn machen, die Soldaten brauchen. Die beiden Zielsetzungen aber, hier das Wohl der Kinder, dort die Sicherung der Geschäftsinteressen, stehen deshalb zueinander im Konflikt, weil das Leben ihrer Kinder gerade durch den Handelserfolg am Rande der Schlachtfelder bedroht ist. Mit Ausnahme der Szene vor dem Pfarrhaus entscheidet sie sich aber stets für ihre Geschäftsinteressen.

Mutter Courage und der Krieg

Betrachtet man das Stück genau, so wird deutlich, dass die Courage durchaus Mechanismen und Grausamkeiten des Krieges sieht, sie zieht aber keine Konsequenzen daraus. Das liegt freilich in ihrer Verantwortung, auch wenn man bedenkt, dass sie ebenfalls ein Opfer des Krieges ist und diesem nicht entfliehen kann. Doch für den Zuschauer viel bedrängender ist die Überlegung, dass sie auch mit moralisch richtigem Verhalten nichts geändert hätte.
Brecht interessiert sich ausdrücklich nicht für die psychologische Seite des Verhaltens. Für ihn ist es in letzter Konsequenz nicht relevant, ob die Courage aus sich heraus moralische Verderbtheit aufweist. Ihre Schlechtigkeit ist zwar keine unausweichliche Folge des Krieges, sie ist aber ökonomisch denkend und dadurch realitätsblind. Dennoch ist sie ein Produkt der Umstände des Krieges. An dieser Stelle - in der Verhinderung eines möglichen Krieges - sind nach Brechts Auffassung die Konsequenzen zu ziehen.

Kattrin als Gegenfigur der Courage

Wenn die Courage in der vierten Szene singt: "Man muß sich stelln mit den Leuten, eine Hand wäscht die andere, mit dem Kopf kann man nicht durch die Wand", so verkörpert die stumme Kattrin das Gegenteil dieses in Liedzeilen dargebotenen Programms. Sucht die Courage ihr geschäftliches Heil im Opportunismus, so leistet Kattrin immer dann Widerstand, wenn die entmenschlichende Fratze des Krieges erscheint. Ihre Konsequenz, mit der sie auch die Reden ihrer Mutter als Geschwätz demaskiert, beinhaltet aber auch eine Handlung mit letzter Konsequenz. Sie widerlegt um der Menschlichkeit Willen die Haltung ihrer Mutter, opfert dafür aber ihr eigenes Leben.

Die epische Konzeption des Stücks

Anders als im klassischen, dem aristotelischen Theater wollte Brecht die Zuschauer nicht zur Einfühlung in seine Figuren animieren. Für ihn ist es nicht wünschenswert, wenn man die Handlungsweisen der Figuren nachvollzieht in dem Sinne von: So hätte ich auch handeln können. Er will vielmehr eine Distanzierung des Zuschauers, damit dieser die gesellschaftlichen Umstände erkennt, die ein Verhalten bedingen. Der Zuschauer soll nicht etwa angezogen sein von der Menschlichkeit Kattrins und demgegenüber abgestoßen von der Unmenschlichkeit der Courage, sondern er soll die Wirkmechanismen, die das Handeln der beiden Figuren bedingen, erkennen.

Verfremdungseffekt versus Identifikation

Um diese Haltung des Erforschens von Ursachen von Handlungen zu fördern, benutzt Brecht den sogenannten Verfremdungseffekt, ein Mittel, das mit dem epischen Theater neu eingeführt wurde. Das Mittel der Verfremdung soll sowohl beim Schreiben des Stücks, bei seiner Inszenierung als auch bei der Darstellung durch die Schauspieler Verwendung finden. Besonders deutlich wird dieses Mittel beim Einsatz von Songs und den kommentierenden Einleitungen der Szenen oder Informationstexten.
Dass Menschen nicht so einfach darauf verzichten, sich in die vorgestellten Figuren im Theater oder im Film hineinzuversetzen, sei an dieser Stelle nicht verschwiegen. Dennoch ist Brecht ein eindrucksvoller Blick auf die Hintergründe menschlichen Verhaltens im Krieg gelungen. Seine Warnung hat bis heute Gültigkeit.


27