Bayern 2 - radioTexte


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Lesung mit Udo Wachtveitl Meir Shalev: „Mein Wildgarten“

Der Kampf gegen die Blindmaus, die Bewunderung für Frühblüher oder absurde Körperverrenkung als Gärtner: Der renommierte israelische Autor und Cousin von Zeruya Shalev schöpft aus jeder Erfahrung mit seinem Wildgarten Gewinn. Für die radioTexte kam er Meir Shalev ins Studio. Dazu die Lesung mit Udo Wachtveitl

Von: Stephanie Metzger

Stand: 14.06.2017 | Archiv

Meir Shalev und Antonio Pellegrino | Bild: BR/Kimmelzwinger

Selbstporträt des Künstlers als Gärtner

Ein Garten im Norden Israels, mit Anemonen, Mohnblumen, Alpenveilchen, Klematis, mit Feigen, Birnen und einem alten Zitronenbaum. Der israelische Schriftsteller Meir Shalev hat in der freien Natur Samen gesammelt und diesen Garten angelegt, der so wild und bunt sprießt wie seine Phantasie. Jede Pflanze, die heranwächst, jedes Tier, das ihm im Garten begegnet, löst Gedanken, Erinnerungen, Geschichten über Natur und Kulinarik, Geschichte und Gegenwart, Mensch und Kreatur, Liebe und Literatur aus. Ein Reservoir der Inspiration, das erst erobert werden musste:

"Ich fühlte mich wie Jason, umgeben von Feinden, die aus den ausgesäten Drachenzähnen erwuchsen. Offensichtlich stand mir ein langer, schwerer Kampf gegen starke und entschlossene Gegner bevor, die nicht so schnell aufgeben würden. Doch einige Wochen später erblühten bei meinem Haus plötzlich einige Alpenveilchen, eine einzelne Narzisse lugte hervor, und im Nachbargarten gab es eine atemberaubende Überraschung: Hunderte Kronen-Anemonen blühten dort auf, färbten ihn rot und machten mein Nordfenster zum Rahmen eines herrlichen Bildes."

Meir Shalev, Mein Wildgarten

Krieg und Frieden in Flora und Fauna

In Shalevs Garten blühen tausend Geschichten. Da ist zum Beispiel die vom Kleinkrieg, den Shalev mit der Gattung der Blindmäuse führt. Nein, eigentlich ist es kein Kleinkrieg, sondern eine existentielle Auseinandersetzung um die Vorherrschaft im Wildgarten. Und ob Nahkampf, Einsatz von Feuerwaffen oder Angriff gegen die Nachkommenschaft: Am Ende geht die Blindmaus doch immer als Sieger hervor. Also begnügt sich Shalev damit, den Konflikt zu verwalten und verpflanzt den Asiatischen Hahnenfuß und die Gladiolen in Töpfe und Blumenkästen. Einigermaßen friedliche Koexistenz ist immer besser als Krieg.

Oder da ist die Geschichte von den zwei Alpenveilchensamen unter dem Schreibtisch. Diese zu retten erscheint Meir Shalev plötzlich als dringlichste Aufgabe vor allen anderen Pflichten - Romane zu schreiben etwa. Also kriecht er in sehr absurden Verrenkungen unter den Arbeitsplatz, nicht ohne sich dabei selbst zuzusehen und zu kommentieren.

Aber egal wie irrwitzig diese Aktion für den Beobachter anmutet, der Gärtner in Shalev, der nicht vom Künstler zu trennen ist, kann nicht anders, er geht seinen Weg. Und der führt in den Wildgarten, mögen Kollegen und Freunde auch noch so über ihn spotten:

"Sollen sie ruhig bellen und kläffen, ich gehe unbeirrt meinen Weg. Und was ist dieser Weg? Nun, Hillel der Ältere hat meine Gefühle schöner ausgedrückt, als ich es vermag, und genauer als alles, was ich mir selbst wünschen könnte: ‚An den Ort, den ich liebe, tragen mich meine Füße.‘ Nicht in jedem Lebensbereich wage ich das, leider, und nicht in jedem Lebensbereich bin ich fähig dazu, aber an diesen geliebten Ort gehe ich, auch wenn ich manchmal lächerlich bis sehr lächerlich aussehe, wenn ich diesen Weg beschreite."

Meir Shalev, Mein Wildgarten

Meir Shalevs zwischen Naivität, Tiefsinn und Selbstironie changierenden Miniaturen erzählen von den Herausforderungen, den Glücksgefühlen und den Erkenntnissen eines Gärtners. Davon, dass Natur Geduld einfordert, dass auch Pflanzen Altruismus verdienen und vor allem eines: Respekt.

Meir Shalev in Kürze

Geboren 1948 in Nahalal in der Jesreel-Ebene, studierte Psychologie und arbeitete viele Jahre als Journalist, Radio- und Fernsehmoderator. Er ist einer der bekanntesten und beliebtesten israelischen Romanciers und erhielt 2006 den Brenner Prize, die höchste literarische Auszeichnung in Israel. Der Cousin der Schriftstellerin Zeruya Shalev schreibt regelmäßig Kolumnen für die Tageszeitung Yedioth Ahronoth. Er lebt in Nord-Israel. Zuletzt erschienen Romane auf Deutsch: „Zwei Bärinnen“ (2014), „Meine russische Großmutter und ihr amerikanischer Staubsauger“ (2012), „Der Junge und die Taube“ (2007).

"Mein Wildgarten"

in den radioTexten am Dienstag, 18.06.2019, 21.05 Uhr auf Bayern2

Buchpräsentation von "Mein Wildgarten": Udo Wachtveitl, Meir Shalev und Nelly Kranz in der Israelischen Kultusgemeinde München im Mai 2017.

Lesung mit Udo Wachtveitl, dazu ein Gespräch mit dem Autor


Das Buch, aus dem Hebräischen von Ruth Achlama, mit 40 Illustrationen von Refaella Shir, ist bei Diogenes erschienen.

Redaktion und Moderation: Antonio Pellegrino

Nachhören und Herunterladen können Sie diese Lesung im Podcast-Center des Bayerischen Rundfunks und überall, wo Sie bevorzugt Ihre Podcasts herunterladen.


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