Bayern 2 - radioMitschnitt


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Musikalische Antworten auf schwere Fragen

Von: Rainer Aul

Stand: 29.07.2023

Bardentreffen Nürnberg 2023 | Bild: Bardentreffen Nürnberg 2023

Frage: Ist es klug, einen Text mit dem folgenden Satz zu beginnen: "Wie halten Sie es mit kultureller Aneignung?" Läuft man da nicht Gefahr, dass die Leserschaft sich gleich abwendet? Um Himmels Willen, lasst mich doch damit in Ruhe! Diese Reaktion wäre nur allzu menschlich, angesichts einer Diskussion, die nicht nur die deutsche Öffentlichkeit seit einigen Jahren beschäftigt. Jedenfalls die Teile der Gesellschaft, von denen diese Debatte nicht willfährig mit dem Aufkleber "woke" versehen und bestenfalls ignorieren. Der einfachste Weg eben.

Also sollte man dieses Thema lieber … Hallo? Sind Sie noch da?

Ah, danke fürs Weiterlesen! Denn natürlich ist der einfache Weg wie eigentlich immer der am wenigsten sinnvolle, das weiß nicht nur Meister Yoda. Und wo könnte es passender sein, das Thema der kulturellen Aneignung anzusprechen, als auf einem Musikfestival, das sich per definitionem mit den musikalischen Einflüssen unterschiedlichster Kulturen befasst wie das Bardentreffen?

11 Mal Bardentreffen 2023 im Videostream

Konzert-Livestreams

BR Franken überträgt für Daheimgebliebene wieder täglich Konzerte vom Bardentreffen in Nürnberg im Videostream – heuer so viele wie noch nie auf dieser Seite und auf Facebook

2023 stehen elf Top-Acts auf dem Programm, die vom Hauptmarkt, aus der Katharinenruine und erstmals auch von der Insel Schütt und vom Sebalder Platz gestreamt werden.

Orchestre International du Vetex

Freitag, 21. Juli, 21.30 Uhr LIVE vom Hauptmarkt

Mit Brass über alle Grenzen

Die Mitglieder dieser belgisch-französischen Blechbläserkapelle sind couragierte und engagierte Europäer mit einem verdammt guten Sound: eine verrückte, punkig verpackte Kombi aus Latininspirierter Balkan-Musik und Tarantella, Polka oder Cumbia.

Ronja Maltzahn

Samstag, 22. Juli, 17.45 Uhr vom Sebalder Platz
(Aufzeichnung des Konzerts vom selben Tag um 14.00 Uhr)

Poetischer World-Pop

Sie spielt Cello, Gitarre, Ukulele, Piano und singt auf Deutsch, Spanisch, Schwedisch oder Französisch. Ihre Folk- und Popballaden berichten vom Unterwegssein, von weiten Reisen, großen Träumen und Mut, von Begegnungen und Zusammenhalt.

Jahneration

Samstag, 22. Juli, 19.30 Uhr LIVE vom Hauptmarkt

Reggae-Hip-Hop-Mix à la française

Das französische Duo Jahneration zaubert einen Mix aus Roots-Reggae, Electro-Dub und Hip-Hop, respektiert die karibischen Wurzeln. So entwickeln die beiden das Genre weiter und mischen gleichzeitig die internationale Reggae-Szene auf.

London Afrobeat Collective

Samstag, 22. Juli, 21.30 Uhr LIVE vom Hauptmarkt

Verneigung vor dem Highlife

Das erklärte Ziel der achtköpfigen Truppe: die Leute zum Tanzen und damit positive Energie in die Welt zu bringen. Dafür lässt sich das LAC von zahlreichen Einflüssen inspirieren, darunter die Afrobeat- und Highlife-Vorväter Fela Kuti oder Ebo Taylor, sowie die angesagte Afrobeat-Band Antibalas.

Vieux Farka Touré

Sonntag, 23. Juli, 17.30 Uhr aus St. Katharina
(Aufzeichnung des Konzerts vom Freitag, 21. Juli, 21.30 Uhr)

Hommage an den Godfather des Mali-Blues

Ein Kreis schließt sich: 35 Jahre nachdem Ali Farka Touré, der Godfather des Mali-Blues, beim Bardentreffen auf der Bühne stand, kommt sein Sohn Vieux Farka Touré mit seiner Musik aufs Festival. Dabei geben das Feuer seines Gitarrenspiels und die Dringlichkeit der Botschaften in seinen Songs dem Desert Blues des Vaters zeitgenössische Bedeutung.

Dota

Sonntag, 23. Juli, 19.15 Uhr LIVE von der Insel Schütt

Rückkehr einer großen Songpoetin

2006 noch als selbsternannte "Kleingeldprinzessin" beim Bardentreffen dabei, kehrt die damalige Straßenmusikerin inzwischen vielfach ausgezeichnet nach Nürnberg zurück. Mit im Gepäck hat die Berlinerin ihren wunderbaren Songwriter-Pop: feinsinnige, leichtfüßige und wortwitzige Texte umhüllt von einem unwiderstehlichen Mix aus Folk, Bossa Nova, Indietronica und Jazz.

Django 3000

Sonntag, 23. Juli, 20.45 Uhr LIVE vom Hauptmarkt
(aus technischen Gründen 15 Minuten zeitversetzt)

Bayerischer Balkan-Sound

Diese vier Bajuwaren haben sich vor zehn Jahren den Gypsy-Sound angeeignet und damit ihr eigenes Ding gedreht. Damit rockt Django 3000 inzwischen die ganze Welt und macht mit unverwechselbarer bayerischer Balkan-Musik dem Publikum ordentlich Tanzbeine.

Gankino Circus & Friends

Sonntag, 23. Juli, 22:15 Uhr vom Sebalder Platz
(Aufzeichnung des Konzerts vom selben Tag um 21.00 Uhr)

Wahnsinns-Weltmusikshow

Diese Show verspricht eine der Superlative zu werden: Gäste der Gankinos sind neben David Saam, dem Papst der fränkischen Volksmusik und Spaß-Heavy-Metal-Legende Vito C von J.B.O. auch das schillerndste Pärchen des finnischen Tangos: Laura Ryhänen und Mikko Kuisma von Uusikuu.

ADG7 – Ak Dan Gwang Chil

Samstag, 29. Juli, 18.30 Uhr vom Hauptmarkt
(Aufzeichnung des Konzerts vom 23. Juli, 17.15 Uhr)

Schamanischer Folk-Pop

Tanzende Sängerinnen, knallbunte Kostüme, Humor und fröhlich swingende Songs, die K-Pop und K-Folk locker unter einen Hut bringen: ADG7 ist eine echte Show! Mit koreanischen Instrumenten wie Daegeum, Saenghwang, Ajaeng, Gayageum und Percussion sowie in der Tradition verwurzeltem, kraftvollem Gesang kreiert die Band eine selten gehörte Mischung aus koreanischer Musik, Pop und Funk.

Maro

Samstag, 29. Juli, 20:15 Uhr aus St. Katharina
(Aufzeichnung des Konzerts vom 22. Juli, 21.15 Uhr)

Poetischer Pop aus Portugal

Beim Eurovision Song Contest 2022 hat sie mit der leidenschaftlich vorgetragenen Ballade "Saudade, saudade" einen starken Eindruck hinterlassen und wenn nicht den Preis, so doch viele Fans gewonnen. Diese beglückt sie nun mit ihrer sagenhaft samtigen Stimme und mit ihren Eigenkompositionen, in denen World Music und Folk durchschimmern.

Il Civetto

Samstag, 29. Juli, 22:00 Uhr vom Sebalder Platz
(Aufzeichnung des Konzerts vom 21. Juli, 21.30 Uhr)

Fusion-Pop mit Hit-Potenzial

Ob bei Guerilla-Konzerten an Berliner Spätis oder in Europas Konzerthallen: die fünf Musiker begeistern. Gerade hat sich die Band im Geiste des Pop neu erfunden – und Fusion-Pop gleich dazu. Ihre universelle Mischung bricht mit westlichen Kulturklischees und bezieht ihre Energie aus der weltoffenen, internationalen Berliner Clubszene.

Knackpunkt ist die Frage, ob Europäer unter dem Segen der Weltoffenheit die musikalischen Charakteristika marginalisierter Kulturen aller möglichen Weltgegenden verwenden dürfen. Oder nehmen sie damit ganz selbstverständlich eine kolonialistische Grundhaltung an, die jahrhundertelang dafür gesorgt hat, dass Millionen von Menschen nicht nur in Afrika Ausbeutung und unbeschreibliches Leid erfahren haben. Und das in den allermeisten Fällen höchstens mit Worten oder gar nicht abgegolten wurde.

Congo Cowboys aus Südafrika

Es ist eine schmerzhafte Diskussion, die gelegentlich seltsame Blüten treibt. Wenn zum Beispiel die Singer-Songwriterin Ronja Maltzahn, die heuer auch in Nürnberg mit dabei ist, wegen ihrer Dreadlocks von einer Fridays for Future-Veranstaltung ausgeschlossen wurde. Es ist eine komplizierte Gradwanderung zwischen Neugier und der Verbeugung vor anderen Kulturen einerseits und Totschlag-Begriffen wie "Kampfthema" und "Cancel Culture" andererseits. Wie also soll das Bardentreffen umgehen damit? Welche Konsequenzen muss das für ein Festival haben, dem Weltoffenheit und die bunte Mischung verschiedenster Musikstile in die Gene geschrieben sind?

Star Feminine Band aus Benin

Für die Bardentreffen-Organisatoren ein Wagnis, aber auf die Fragen rund um kulturelle Aneignung geben sie klugerweise keine eindeutigen Antworten. Der Beitrag des Kultfestival zur Diskussion ist stattdessen der einzige, den so eine Veranstaltung überhaupt nur leisten kann: Vielfalt zeigen und verfügbar machen, nicht in den Kommentarfunktionen der sozialen Medien oder am Stammtisch, sondern live und mit den eigenen Ohren erlebbar. Das Motto "Geklaute Laute?" will zum Reflektieren anregen, sagt Nürnbergs Kulturbürgermeisterin Julia Lehner. "Wir wollen weniger die Frage aufwerfen, wer soll welche Musik spielen oder darf ich jetzt Rastas tragen oder nicht", ergänzt Rainer Pirzkall, künstlerischer Leiter des Bardentreffens. "Wir wollen die Leute dazu animieren sich selbst die Frage zu stellen: was bewirkt das bei mir? Wie ist das Spannungsfeld zwischen Kunstfreiheit und kultureller Aneignung?"

Bavaschôro aus Deutschland

Pardon, noch eine Frage: Warum geht jemand auf das Bardentreffen? Um Menschen, Klänge, Gerüche, Geschmäcker aus aller Herren Länder zu erleben. Totalitäres Denken, das Reinheit fordert und dadurch Trennendes betont, muss bei einem Weltmusikfestival fehl am Platz sein. Und so verspricht das Programm auch heuer vielfältige Musikmischungen, zum Beispiel die Gruppe Bavaschôro, die brasilianischen Choro und bayerischer Volksmusik kombiniert, Cara aus Deutschland haben sich rund um Sängerin Gudrun Walther Irish Folk angeeignet und die südafrikanischen Congo Cowboys präsentieren, wie Blues, Bluegrass und Country zusammengehen. Das 14-köpfige Orchestre International du Vetex aus Belgien bietet eine verrückte Blechbläser-Kombi aus Latin, Balkan-Musik, Cumbia bietet. Das französische Duo Jahneration entwickelt Reggae mit seinen ureigenen Zutaten weiter und trotz kurzer Anreise schickt Gankino Circus Zuhörende auf eine weitläufige finnisch-fränkische Rundreise.

90 Bands und 100 Konzerte in der gesamten Nürnberger Altstadt stehen in drei Tagen Bardentreffen an. Neben internationalen Künstlern sind auch auch 16 ausgewählte Bands aus der Region dabei. Im Rahmenprogramm vertiefen Podiumsdiskussionen und Vorträge Fragen, die das Motto "Geklaute Laute?" aufwirft.

Die Bardentreffen-Organisatoren legen Wert auf die Feststellung, dass sie in schwarz-weiß geführten Diskussionen für Farbnuancen sorgen wollen, basierend auf dem Grundsatz, dass die Bereitschaft zum gegenseitigen Verständnis der Schlüssel zu einem besseren Miteinander ist, so ist es im offiziellen Programmbuch zu lesen. Und unter Ausschluss von Diskriminierung, Ausbeutung oder Zwang. Wenn man sich die Welt so anschaut, ist das doch eine sehr kluge Antwort auf eine Menge drängender Fragen.

Infos

Der Eintritt zu allen Konzerten und Veranstaltungen ist frei – dank der Unterstützung der Stadt Nürnberg und von Sponsoren. Die Veranstalter hoffen aber darauf, dass viele Besucherinnen und Besucher den diesjährigen Festival-Pin in Form eines Flügels kaufen, der gegen eine Spende ab sechs Euro zu haben ist. Das 47. Nürnberger Bardentreffen steigt vom 26. bis 28. Juli 2023.


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