Bayern 2 - Notizbuch


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Geschöpfe der Fantasie Puppen - Projektionsfläche für Gefühle

Puppen sind ideale Projektionsflächen für Gefühle - und Spiegel ihrer Zeit: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts sind merkwürdig dämmernde Figuren der Renner einer morbiden Epoche. Und Maler Oskar Kokoschka ließ sich 1918 gar ein lebensgroßes Abbild seiner Muse Alma Mahler machen.

Von: Justina Schreiber

Stand: 02.11.2012 | Archiv

Wachspuppe von Lotte Pritzel | Bild: Münchner Stadtmuseum, Fotomuseum

Der Dichter Rainer Maria Rilke bewunderte die Münchner Puppenmacherin Lotte Pritzel und ihre langgliedrigen Dingwesen aus Draht und Wachs. Zwei ihrer Figuren fristen heute im Depot des Münchner Stadtmuseums ihr Dasein: eine "Tänzerin" und ein "Puppenpaar", auf kleinen Sockeln in graziösen Posen verharrend. Die Köpfe geneigt, die Augen halb geschlossen, die mageren Körper in Tüll und Spitze gehüllt. An den Fingern stecken Ringe, im Kunsthaar glitzert ein perlenbesetztes Diadem. Sie scheinen zu träumen oder zu trauern. Nicht nur die Münchner Boheme fand sich mit ihren Sehnsüchten und seelischen Erfahrungen in den fragilen Geschöpfen der Lotte Pritzel symbolhaft abgebildet:

"Ja, es ist wirklich wahr, dass von so einer winzigen Erscheinung, wie es die neue Liebe zum Puppenhaften ist, Wege führen zur Gesamtpsychologie unserer Epoche."

Schriftsteller Wilhelm Michel, 1911

Merkwürdig dämmernde Puppen einer melancholischen Epoche

Lotte Pritzel mit Puppen in ihrem Münchner Atelier, um 1910.

Die Epoche vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs galt als nervös. Die Großstadt verführte und zerrüttete die Menschen, so die gängige Meinung. Sie machte sie zwar freier, raubte ihnen aber auch jegliche Naivität. Umso größer war die Melancholie. Die merkwürdig dämmernden Puppen der Lotte Pritzel trafen den Nerv der Zeit. Sie waren begehrte Kunstobjekte, "Puppen für die Vitrine", wie die Künstlerin damals in München annoncierte. Erwachsen gewordene Puppen sozusagen, keine Spielzeuge wie die kunstgewerblichen Produkte der Käte Kruse, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts ebenfalls der Renner waren, weil sie nämlich individuelle kindliche Gesichtszüge trugen - und anders als kalte Porzellanpuppen dazu einluden, sie zu herzen und zu küssen.

Eine Puppe als Abbild der vergötterten Muse

Puppen sind ideale Projektionsflächen für allzu menschliche Gefühle. Unsere Vorfahren vergruben vor 25.000 Jahren winzige, mit vergleichsweise riesigen Hängebrüsten versehene Kalksteinfigürchen in der Erde. Puppen können magischen Ersatzhandlungen dienen, Voodoozauber zum Beispiel. Sie können Fetischcharakter haben. Dies alles war dem expressionistischen Maler Oskar Kokoschka bewusst, als er 1918 die Münchner Puppenmacherin Hermine Moos damit beauftragte, für ihn ein lebensgroßes Abbild der vergötterten Frau zu erschaffen, die ihn verlassen hatte: ein Abbild Alma Mahlers, der voluminösen Muse gleich mehrerer Künstler.

"Liebes Fräulein Moos! Ist der Mund zum Öffnen? Und sind auch Zähne und Zunge drinnen? Ich wäre glücklich! (…) Bei den Augen ja nicht ins Stilisieren verfallen! Machen Sie bei Lid, Pupille, Augapfel, Augenwinkel, Dicke etc. möglichst Ihre eigenen nach. Die Hornhaut vielleicht mit Nagellack glasieren. Es wäre hübsch, wenn man die Lider über den Augen auch schließen könnte. Und nirgends Nähte erlauben an Stellen, wo Sie denken, dass es mir weh tut und mich daran erinnert, dass der Fetisch ein elender Fetzenbalg ist!"

Oskar Kokoschka an Puppenmacherin Hermine Moos

"Fetzenbündel" statt weiche Puppenfrau

Die Muse vieler Künstler: Alma Mahler.

Warum beauftragte Kokoschka nicht eine der berühmten Puppenmacherinnen der Zeit? Marion Kaulitz etwa oder Lotte Pritzel. Oder Erna Pinner, Hannah Höch oder Käte Kruse? Vielleicht hat er sie ja sogar angefragt und die Künstlerinnen schüttelten nur grinsend den Kopf: eine stille Gesellschafterin zu bauen für einen vom Krieg verstörten Mann, der es nicht mehr wagte allein auf die Straße zu gehen und deshalb davon träumte, eine weiche, anpassungsfähige Puppenfrau sein eigen zu nennen? Nein, das war kein Auftrag für eine selbstbewusste Künstlerin. Hermine Moos dagegen, die unbekannte, aufstrebende Puppenmacherin, nahm an - und scheiterte. Oskar Kokoschka war, als er das lebensgroße Machwerk nach neun Monaten, Anfang April 1919, in einer großen Kiste nach Dresden geliefert bekam, enttäuscht.

"Liebes Fräulein Moos, was wollen wir jetzt machen? Ich bin ehrlich erschrocken über Ihre Puppe, die obwohl ich von meinen Phantasien einen gewissen Abzug zugunsten der Realität längst zu machen bereit war, in zu vielen Dingen dem widerspricht, was ich von ihr verlangte und von Ihnen erhoffte. Die äußere Hülle ist ein Eisbärenfell, das für die Nachahmung eines zottigen Bettvorlegerbären geeignet wäre, aber nie für die Geschmeidigkeit und Sanftheit einer Weiberhaut."

Oskar Kokoschka an Puppenmacherin Hermine Moos

Die Frau als Marionette

Hermine Moos und die Alma-Mahler-Puppe.

Gleichwohl konnte ihm das "Fetzenbündel" mehrere Monate ergeben Modell sitzen. Hoch geschätzte Bilder wie "Die Frau in Blau" entstanden mit ihrer Hilfe. Die Puppenmacherin Hermine Moos jedoch erntete mehr Spott als Ruhm. Dementsprechend spielte sie auch in der Kunstgeschichte bisher keine Rolle. Sie war ja nichts als das Werkzeug eines liebeskranken Malers, das seine Phantasien in die Realität übertragen sollte, damit er gesund werden konnte. Die Frau als Marionette gewissermaßen. Ein Ding. Mehr nicht.

Veranstaltungshinweis

Mehr über Hermine Moos können Sie dort erfahren, wo sie die Puppe gebastelt hat - in der Kunigundenstr. 29 in München Schwabing:

Samstag, 17. November 2012, 15 und 19 Uhr;

Sonntag, 18. November 2012, 11 und 18 Uhr.

Eintritt frei, Anmeldung erforderlich unter 089/814 43 02.

Eine Veranstaltung von Justina Schreiber, gefördert durch das Kulturreferat der Landeshauptstadt München


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