Bayern 2 - Notizbuch


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Sexualität im Wandel Von Bienchen, Blümchen - und Pornos

Aufklärung und Lustgewinn im 21. Jahrhundert: Wenige Klicks und falsche Altersangaben reichen im Internet bereits aus, um an die ganz harten Inhalte zu gelangen. Die schönste Nebensache der Welt scheint jeglichen Glanz verloren zu haben. Doch wie war das früher mit dem "ersten Mal"? War wirklich alles besser?

Stand: 26.08.2011 | Archiv

Paar beim Liebesspiel | Bild: colourbox.com

In den großen Metropolen wie Berlin ging man in den 1920ern relativ tolerant mit dem Thema Sexualität um: Sex gehörte zum Leben dazu, wurde aber selten thematisiert. Viele Frauen machten "es" zum ersten Mal, um einen Mann fürs Leben abzukriegen: Sex gegen soziale Sicherheit. Was heutzutage Entrüstung hervorruft, war damals Alltag.

Marlene Dietrich in "Der blaue Engel", 1930

Ebenso gang und gäbe in den 20ern, wenn auch streng verboten: zahlreiche Abtreibungen. Die Verhütungsmethoden ließen zu wünschen übrig, oft genug wurde der Coitus interruptus praktiziert - oder auch nicht, wenn es im entscheidenden Moment darauf ankam. Auf dem Land sah die Lage anders aus: Kirchen und Gesellschaft diktierten strenge moralische Grundsätze.

Marie, 99 Jahre jung

Erste Vorstellungen

"Wir waren im Internat, da war ich 16. Da haben wir über die Hochzeitsnacht geredet, und da war eine Schweizerin, die hat gesagt, das ist ganz einfach, ich zieh einfach Pyjamas an. Dann kann mir nichts passieren. Damals schon haben wir gelacht, aber wie weit wir das eigentlich kapiert haben, das weiß ich nicht mehr."

Notwendigkeit

"Wenn man eine Freundschaft anfing, ging die zu Ende, weil man nicht mit ihm schlafen wollte. Dann hat man mit der Zeit so das Gefühl gehabt, also ohne das geht es nicht, da musst Du irgendwann durch. Ich war dann letzten Endes 20."

Pragmatismus

"Und dann bin ich einfach mal mitgegangen, weil, es musste ja mal sein. Den Mann hab ich nie wieder gesehen, der war auch etwas älter, der war ziemlich erstaunt, ne Jungfrau vorzufinden und da war diese Sache endlich mal erledigt."

Liebe und Sexualität

"Meine Mutter hat dann später mal zu mir gesagt: Ein Mädchen sollte nur mit einem Mann schlafen, wenn sie sich auch vorstellen könnte, ein Kind von ihm zu haben, und wenn sie sich das nicht vorstellen könnte, dann soll sie die Finger davon lassen."

Ein Zeichen des Kriegs

1945: Heranwachsende Mädchen und junge Frauen wurden auf der Flucht in den Westen oft genug von Soldaten vergewaltigt, das erste Mal war ein Trauma durch und durch. Kein Wunder also, dass diese Generation mit dem Thema Sexualität meist nur sehr schwer zurecht kam, zuviel Leid verband sich damit: brutale Gewalt, ungewollte Schwangerschaften, der drohende Tod im Wochenbett. Das Thema wurde in vielen Familien tabuisiert, die Nachkriegsgeneration war auf sich selbst angewiesen. Viele Heranwachsende glaubten, dass schon ein inniger Kuss zur Schwangerschaft führen könne - eine Mär, die von den Eltern meist gefördert worden ist.

Die 60er Jahre: Pille, Bravo, Oswalt Kolle

Bravo-Erstausgabe von 1956

1960 kam die Pille auf den deutschen Markt: Freie Liebe mit wechselnden Partnern, bei nur minimalem Risiko einer ungewollten Schwangerschaft. Syphilis war kein Thema mehr, AIDS gab es noch nicht - die Gesellschaft wurde gründlich umgekrempelt. Oswalt Kolle begann in den 60ern damit, Liebe und Sexualität systematisch zu erforschen, seine Filme entfachten einen landesweiten Sturm der Entrüstung. Heutzutage werden sie müde belächelt. Den Jugendlichen stand ab 1969 das Dr. Sommer-Team der "Bravo" aufklärerisch zur Seite - ein Grund mehr, das seit 1956 erscheinende Magazin vor den Blicken der Eltern zu verstecken.

Roswitha, 60 Jahre jung

Das Pfarreibüchlein

"Meine Mutter, sie hat gesagt: Ich hab' so ein Büchlein gekauft von der Pfarrei und da müssen wir mal über was ganze Besonderes reden, Du weißt schon was, und die Aufklärungsgespräche sind dann mit großem Gestreite und Geheule einhergegangen. Weil das Thema für sie mit einem großen Geheimnis und einem großen Tabu umhüllt war."

Erste Schritte

"Mit 15, 16 hab ich dann schon meinen ersten Freund kennengelernt, mit dem war ich dann fest zusammen und da haben sich die Eltern fürchterlich aufgeregt. Das Ganze spielte sich meistens im Auto ab, im verborgenen Waldgebiet. Die Sexualität im Auto, die hat es dann auch weiterhin gegeben, ich wohnte ja zu Hause."

Gewissenskonflikt

"Es war ein wahnsinniger Konflikt, weil man rein bleiben muss bis zur Ehe, weil das eine Sünde ist, und dann aber andererseits die Beeinflussung, wo die neue Welt mit Verlockung und mit Lockerheit so auf mich zu kam, was mich fasziniert hat, wo ich hinwollte, ich aber dann wahnsinnig hin und her gerissen war."

Sturm und Drang

"Plötzlich kam in mir mit ganz großer Macht und Kraft die Gegenbewegung, dann bin ich drei Semester nach Berlin und da kam dann der absolute sexuelle Sturm und Drang, wo man mit den Wohngemeinschaftsmännern dann geschlafen hat, wo alle sexuellen Dämme gebrochen sind."

Einsicht

"Ich glaube, dass diese ganzen wilden Zeiten vom sexuellen Erleben her gar nicht unbedingt so befriedigend waren, dass ich dann später gemerkt habe, die Nähe und Vertrautheit mit einem Partner, das fehlt mir."

Die 80er Jahre: Angst vor AIDS

Plakat-Kampagne gegen AIDS

Die sexuelle Freizügigkeit, die die Ereignisse der 60er, gipfelnd in der Studentenbewegung, mit sich brachten, stand eine Generation später auf der Kippe. AIDS dominierte die Aufklärung der Kinder. Angesichts einer todbringenden Krankheit konnte von lebensbejahender Lust nicht mehr groß die Rede sein, auch wenn Sexualität in den Medien mehr und mehr zum Tragen kam: Erotische Magazine wurden nicht mehr unter dem Ladentisch verkauft, Softpornos im Nachtprogramm der privaten Fernsehsender waren der große Renner und prinzipiell für jeden zugänglich.

Das 21. Jahrhundert: Pornographie im Internet

Anonym und gefühlskalt: Sex per Internet

Wie geht die heutige Generation mit Sex, Beziehung, dem ersten Mal um? Schönheit und Sex sind mittlerweile Waren, mit denen sich gutes Geld verdienen lässt. Pornoseiten im Internet und tabufreie Talkshows mit den skurrilsten Themen gehören zum Alltag. Wie sehen es Betroffene?

Simon und Georgi, 21 Jahre jung

Im Kindergarten

"Im Kindergarten, wenn da irgendwelche anderen Jungs oder Mädels irgendwelche Wörter in den Raum geworfen haben und ich wusste nicht, was das ist, dann hab ich meistens meine Mutter gefragt und sie hat es mir dann erklärt, wie es ist."

Das Internet

"Das spricht sich im Freundeskreis rum, dann ist man älter, 13, 14, schau Dir mal die Seite an, da siehst Du das Filmchen oder ein anderes und dann schaut man sich das an. Man hat erst alles einmal gesehen, bevor man das selber gemacht hat und das hat auch die Lust gesteigert."

Das erste Mal

"Bei mir hat das glaub ich, mit 12, 13 angefangen, dass ich gedacht hab, okay, es ist jetzt Zeit für die erste Freundin. Ausprobieren, ausleben, endlich erwachsen werden. Mein erstes Mal hatte ich mit 16 und ich kenn viele, die hatten das mit 14 oder 15."

Ganz normal

"Für mich war das eigentlich eine ganz normale Sache, und von der Seite der Eltern aus war das absolut in Ordnung. Für das Mädchen auch, sie hat selbst drauf bestanden. Es hat eigentlich von sich selbst funktioniert."

Gefühle

"Es ist ja so, dass man im Internet mit diesen Hardcore-Geschichten konfrontiert ist und in Wirklichkeit dreht sich das ganze ja auch ein bisschen um Gefühle und da sollte man schon schauen, dass man nicht so einsteigt wie die ganzen Pornostars. Es ist auf jeden Fall schon anders."

Wie vor 80 Jahren?

"Im Grunde war es gar nicht so viel anders wie jetzt, man hat nur nicht so viel Wesens drum gemacht, das war alles immer so ein bisschen unter der Decke." Behauptet zumindest die 99-jährige Marie.


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