Bayern 2 - Nachtmix


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Pioniere der Elektronik Kraftwerk

Kraftwerk sind der deutsche Pop-Export-Schlager schlechthin. Die Pionier-Band, die als erste Roboter und Puppen auf die Bühne geschickt hat. Düsseldorf verdankt ihr den Beinamen "Missippi-Delta der elektronischen Musik".

Von: Ralf Summer

Stand: 20.11.2009 | Archiv

Eine 3-D Video-Installation, bei der die Musiker der Band Kraftwerk angebildet sind, aufgenommen bei der Video-Pressevorbesichtigung der Ausstellung «Kraftwerk 3-D Video-Installation» im Kunstbau der Städtischen Galerie im Lenbachhaus in München. | Bild: picture-alliance/dpa

Kraftwerk, der deutsche Pop-Export-Schlager schlechthin, hat gerade Der Katalog veröffentlicht: die acht, selbstverständlich nun "geremasterten" Alben seit ihrer Durchbruch-Platte Autobahn von 1974 in einer CD-Box. Nicht umsonst nennt sie die englische Musikpresse nun nach dieser Veröffentlichung "the electronic Beatles". Kraftwerk haben Pop-Hymnen für ein modernes Utopia erschaffen.

Das Autobahn-Album brachte die Düsseldorfer überraschend in die amerikanischen, englischen und deutschen Album Top 10. Und es wurde vor ein paar Jahren zur wichtigsten deutschen Platte aller Zeiten im Musikexpress gewählt. 

Neben den 67 geremasterten Titeln der acht CDs bietet Der Katalog auch Grafik-Nachdrucke der LP-Booklets, und so sehen wir denn auf dem nachgebildeten Cover des Autobahn-Albums von 1974, auch das alte LP-Poster. Und darauf die Zeichnung vom Mercedes, in dem die vier – damals noch langhaarigen - Musiker, übers Land fahren. Das Bild mit Blick auf die PKW-Konsole ist unterschrieben mit der Bildunterschrift "Jetzt Schalten Wir Das Radio An". Das sollte dann richtig auf der näxten LP passieren: auf dem Radioaktivität-Album von 1975. Auf der es weniger um Atomkraft als um das Thema "Radio" ging: die Lieder des Albums heißen denn auch Nachrichten, Sendepause oder Radioland.

Schon damals singen Kraftwerk in einem Song zweisprachig, bis heute eine Art Alleinstellungsmerkmal für die Band um Ralf Hütter und Florian Schneider. Ganze Alben wurden sowohl auf Deutsch als auf Englisch veröffentlicht. Später sollten auch noch französisch, spanisch, und japanisch gesungene Titel hinzukommen. Auf Konzerten in Russland und Polen wurden Liedtexte live auch in die jeweilige Gastgeber-Sprache übertragen. Kraftwerk waren von Anfang an so modern, so weltoffen, so geschäftstüchtig, ihre Inhalte auch im Nicht-deutschsprachigen Ausland unterzubringen, das einer Band aus Düsseldorf sonst vielleicht in den 70ern noch keine Chance gegeben hätte.

1975, so sagt es die Legende, ist das Jahr, in dem Ralf Hütter und Florian Schneider ihr elektronisches Schlagzeug in den USA als Patent anmelden. "Das Radio-Aktivität-Album ist die wärmste und traurigste ihrer Platten", sagt der Chef der heute einfluss-reichen New Yorker Band LCD Soundsystem, James Murphy. Aber die für mich traurigere Platte ist die von 1977, TransEuropaExpress. Nach den ersten Erfolgen von Kraftwerk, vor allem im Ausland, folgt damit eine Art Selbstreflexion: Mit dem Stück Spiegelsaal - einer der vergessenen Höhepunkte im Gesamt-Kunst-Werk von Kraftwerk.

Aber auf TransEuropaExpress schlägt die Band nicht nur ungewöhnlich romantische Töne an. Die fast punkig-aggressiv klingende Stimme bei Schaufensterpuppen erscheint dann fast wie eine Drohung. Könnte sein, dass die Puppen aus ihrem Plastikleben erwachen und etwas erleben wollen...

Und tatsächlich: Ab 1978 ließen Kraftwerk die Puppen tanzen – beginnend mit den Pressekonferenzen zum Mensch Maschine-Album in Paris und New York, zu der sie lieber die Puppen schicken, statt selbst aufzutreten. Übrigens Schaufenster-Puppen von der Firma Obermaier aus München, wie Wolfgang Flür in seinem Buch Ich War Ein Roboter schreibt. Die Idee, dann auch Roboter auf die Bühne zu schicken, nimmt viel von der Unzufriedenheit des Techno-Publikums vorweg: jeder Electro-Live-Act, der auf der Bühne lediglich am Laptop rumschraubt, muß sich heute den Satz gefallen lassen: „Der spielt doch da oben gar nicht live, der liest doch nur seine Emails...“

Im Titelsong der TransEuropaExpress-LP verewigen Kraftwerk zwei begnadete Performer im Songtext: Nur diese eine Mal singen sie von anderen Musikern, von Iggy Pop und David Bowie, die sie hier bei Ankunft in "Düsseldorf City" antreffen. TransEuropaExpress von 1978 sollte wenige Jahre später Pop-Geschichte schreiben, als ein schwarzer New Yorker das Stück sampelt. Das TransEuropaExpress-Sample bei Afrika Bambataa markiert 1982 den Beginn von Elektro, wie wir das Genre heute kennen: Sein Clubhit Planet Rock ist zum Canon der Pop-Musik geworden, der Schnittstelle von schwarzer und weißer Musik. Der Berliner DJ Westbam sollte später sagen: "Kraftwerk sind die einzige weiße Rhythmus-Gruppe, die jemals die schwarze Musik beeinflußt hat."

Das Album von 1978, die Mensch-Maschine-LP eröffnet dem Musiker Moby ein eigenes musikalisches Universum, wie er später sagt, als seine Eltern und ihre Hippie-Freunde zuhause noch permanent Grateful Dead und die Eagles dudeln. "Kraftwerk sind sehr melodisch. Es ist wohl ein Wunsch nach Harmonie, die sie in ihrer Kindheit nicht hatten." Sagt einer, der es wissen sollte, Michael Rother, Kollege aus den Krautrock-Tagen mit seinen ebenfalls legendären Bands Neu! und Harmonia.

Mein persönlicher Favorit, ebenfalls von 1978: Neonlicht, sozusagen ein Highlight ihrer Techno-Romantik. Nie waren ihre Melodien klarer, aufgeräumter und weichgezeichneter als hier bei „Neonlicht“, der Verbeugung vor dezenter, städtischer Spät-Beleuchtung. Im Zeitalter des New Wave Anfang wird dann Das Modell ein Top 10 Hit nicht nur in Deutschland – die englische Fassung wird 1982 sogar die Nummer 1 in UK – zu dem Zeitpunkt war das Stück schon vier Jahre alt.

"Computerwelt von 1981 ist die Kraftwerk-Platte, die den Sound der elektronischen Musik von heute am nachhaltigsten beeinflußt hat", sagt niemand Geringerer als der Detroit-Techno-Pionier Juan Atkins. Und sein Kollege Derrick May hängt alles noch höher: "Techno ist, als ob Kraftwerk mit George Clinton im Aufzug stecken geblieben wären". Ralf Hütter selbst bezeichnete das Zusammentreffen Kraftwerks mit dem Detroit Techno der frühen 80er als "eine Art Traumhochzeit", die ersten schwarzen US-Techno-Produzenten als "Brüder im Geiste".

Drei Jahre, nachdem sie 1983 ohne Angaben von Gründen zurückgezogen wurde, erscheint 1986 das Album Electric Café doch noch. Es sollte das letzte Studio-Album für 17 Jahre sein. Metallisch-schneidend-futuritisch-kühle Beats: typisch für Kraftwerk der 80er - mit einer Textstelle, die zu ihrem künftigen Motto werden sollte, auch wenn wieder mal jahrelang nichts veröffentlicht wurde: "Es wird immer weitergehen, Musik als Träger von Ideen". Auf dem Electric Café-Album benutzen Kraftwerk 1986 zum ersten Mal das Zauberwort: "Techno"-Pop. Sie überlassen dem Techno jedoch einige Jahre das Feld allein, bis sie sich 1991 mit ihrer Art Live-Doppel-LP The Mix zurückmelden.

1992 ändern sie ihr Radioaktivität-Stück: von nun an beginnt es mit einer Aufzählung von Orten, die traurige Atom-Geschichte geschrieben haben: Harrisburg, Tschernobyl, Sellafield. Und sie setzen vor den Titel Radioaktivität nun auch das Wort "Stop".

1993 benutzen Kraftwerk erstmals einen Datenhandschuh. 1996 fahren sie ihre Website hoch. 1997 kehren Kraftwerk mit einem Konzert beim englischen Freiluft-Rave Tribal Gathering ins Live-Geschäft zurück und spielen dann auch dort, wohin Florian Hütter als Dozent berufen wird – am Zentrum für Kunst- und Medien-Technologie Karlsruhe – 1998 wird Hütter dort Professor für Medienkunst und Performance, der Anfang seines späteren Ausstiegs.

1999 veröffentlicht Ex-Kraftwerk-Schlagwerker Karl Bartos sein Buch "Ich war ein Roboter" - Hütter / Schneider klagen dagegen und Bartos muss einige Passagen streichen. 2000 empören sich einige Medien darüber, dass Kraftwerk für ihren Werbe-Jingle für die Weltausstellung in Hannover eine sechsstellige DM-Summe bekommen, das Stück steigt als Expo 2000 auch in die deutschen Charts.

Auch das gab's: Kraftwerk auf lateinamerikanisch – mit ausdrücklichem Segen der Band – Senor Coconut macht sich Ende der 90er einen Namen, in dem er Kraftwerk-Hits in die Rhythmen Merengue, ChaCha oder wie bei Expo 2000 in Mambo übersetzt.

Kraftwerk haben direkt nicht nur Techno auf den Weg gebracht, indirekt und ohne Zustimmung sind sie auch beteiligt am Startschuss der sogenannten Mash-Up-Kultur: 2001 mischt ein Londoner DJ-Produzent Kraftwerk gewagterweise mit Whitney Houston zusammen: Es entsteht die erste, inzwischen gesuchte Bastard-Pop-Single von Girls On Top, I Wanna Dance With Numbers.

2003 dann endlich ein neues Album: Tour De France Soundtracks erscheint und Kraftwerk wird zum ersten Mal Platz 1 der deutschen Album Charts. Am zeitgemäßesten klingt die Single-Auskoppelung Aéro Dynamik. Der Traum der Band, endlich einmal das Thema Fahrradfahren größer "als Thema aufzufahren", wird also realisiert.

Womit keiner gerechnet hat: in den letzten Jahren haben sich Kraftwerk – quasi auf ihre alten Tage - doch noch zu einer beständigen Live-Band entwickelt. Mit über 100 Konzerten auf allen Kontinenten, mit beeindruckenden Robotern und Visuals und mit besonderen Ehrungen und Einlagen: sie erhalten mehrere Musikpreise für ihr Lebenswerk. Und als Kraftwerk im Sommer 2009 im Manchester Velodrome spielen, fährt das englische Olympia Fahrradteam für sie auf der Rundbahn.

Nach zwei eher mageren Jahrzehnten und eher sporadischen Auftritten und nach dem Siegeszug ihrer Techno-Kinder und -Enkel sind Kraftwerk unverhofft zurück im Rampenlicht und schreiben 2009 ihr aktivstes Live-Jahr seit der letzten richtigen Welt-Tour von 1981. Einziges Manko: mit Florian Schneider-Eisleben hat eines von zwei Gründungs-Mitgliedern 2009 die Band verlassen. Inzwischen unterrichtet er auch in Wien. Im Kling Klang Studio arbeitet Ralf Hütter inzwischen mit der nächsten Generation von Kraftwerkern: der gebürtige Amberger Toningenieur Fritz Hilpert, Henning Schmitz am Sequenzer und Steffan Pfaffe für die Visuals.


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