Bayern 2 - Nachtmix


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Hit Me With Your Rhythm Stick Ian Dury

1979 schockte er als klumpfüßiger, zotiger Freak die Nation mit seinem Auftritt bei Top Of the Pops. Heute, zehn Jahre nach seinem Tod, wird Ian Dury in Großbritannien längst als nationale Kultur-Ikone verehrt.

Von: Noe Noack

Stand: 09.04.2010 | Archiv

Ian Dury | Bild: picture-alliance/dpa

Dabei war Ian Dury immer ein totaler Außenseiter. Als gehbehindertes Kind einer Universitätsdozentin und eines Busfahrers inszenierte er sich als Poet aus der Gosse. Er pöbelte und spuckte und gab gern den spöttischen Hofnarr und zynischen Berserker. So wurde Ian Dury zu einem Vorbild für viele Punks. Seine Musik, eine Mischung aus Pub-Rock, Music Hall, Comedy, Jazz, Funk und Reggae traf Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre den Nerv der Zeit. Ian Dury war ein großartiger Poet und Entertainer und er arbeitete bis zu seinem Tod auch erfolgreich als Schauspieler, Autor und Maler.

Als Ian Dury im Sommer 1978 in seinem Haus im Nordlondoner Stadtteil Hampstead zusammen mit Chaz Jankel jammte, stießen die beiden auf ein einschneidendes, funkiges Riff. Chaz Jankel von den Blockheads spielte sich auf seinem Fender Rhodes Keyboard in einen Rausch und Ian Dury bearbeitete ein Schlagzeug und improvisierte schräge Reime im rauhen Cockney-Working-Class-Slang dazu:

"Hit Me With Your Rhythm Stick, I Don’t Take Arithmetic. Hit Me With Your Rhythm Stick. It’s Nice To Be A Lunatic."

Ian Dury

Am nächsten Tag entstand bereits die Demo-Version von "Hit Me With Your Rhythm Stick" und Ian Dury und seine Blockheads waren sich ziemlich sicher, dass sie damit einen Hit landen würden. Im Januar 1979 kletterte die Single auf Platz 1 der UK-Charts und verdrängte damit "YMCA" von den Village People. Ian Dury und seine Band, die Blockheads verkauften über eine Million Singles. "Hit Me With Your Rhythm Stick" hatte enorm viel zu bieten: Da war dieser knallige Funk, ein zwingender Disco-Beat,ein Schuß Comedy und eine Freakshow mit Free-Jazz-Einlage. Und da war dieser aggressive Sänger mit der Rockabilly-Schmalztolle, einer Metallschiene am linken Bein und einer heiseren Cockney-Stimme, der selten einen Ton traf. Hier schien der Urvater der Punkbewegung am Werk. Als "Hit Me With Your Rhythm Stick" 1979 die Charts stürmte, war Ian Dury schon 36 Jahre alt und brach damit das ungeschriebene Gesetz: „Wer bis 30 kein Popstar ist, der wird auch keiner mehr. Ian Dury hatte einige Zeit als Kunst-Dozent unterrichtet, 1970 die Band Kilburn&The High Roads gegründet und war mit ihr seit 1972 in der Pub-Rock-Szene aktiv.

1975 erschien das Debüt-Album "Handsome" von Kilburn&The High Roads und die Band galt für viele Musikkritiker als die beste englische Live-Band jener Tage. Die Kilburns machten keine Gefangenen. Dave Robinson ein früher Manager von Kilburn&The High Roads machte in einem Interview mit dem Rolling Stone deutlich, was die Band von anderen Pub-Rock-Bands wie Dr. Feelgood, den Count Bishops oder den Kursaal Flyers unterschied:

"Sie waren viel theatralischer und sahen aus wie eine Zirkustruppe. Und es war vor allem Ian Dury, der sein Art School-Ding durchzog und auf der Bühne Music Hall Theater und Comedy veranstaltete. Als ich ihn später für das Label Stiff Little Fingers unter Vertrag nahm, da kam ihm auf Tour vor allem seine Erfahrung aus der Pub-Rock Szene zu Gute. Er war abgehärtet, ihn konnte nichts erschüttern. Randalierer fertigte er auf die witzige Art mit links ab, er ließ sich von niemand die Show stehlen und er konnte, wenns sein musste, drei Live-Sets pro Abend durchhalten. Die Leute blieben ihm treu, egal ob er sich gerade im Funk, Punk, Jazz oder Reggae austobte."

Dave Robinson

Auf dem 77er-Album "New Boots And Painties" wurde Ian Dury bereits von den Blockheads begleitet. Ian Dury spielte mit vielen Images, vor allem mit seiner Rolle als Underdog und Cockney-Rebell. Mal war er Dickie aus Billericay, mal das Upminster Kid. In Wirklichkeit stammte er aus Harrow/West-London und seine Mutter war eine Universitätsdozentin und kam aus einer reichen, irischen Familie. Ian Durys Vater stammte aus der Arbeiterklasse und war Busfahrer und Chaffeur. Mit sieben bekam Ian Dury Kinderlähmung und verbrachte ein Jahr im Krankenhaus im Gipsbett. Da hatten sich seine Eltern bereits getrennt. Nach den harten Jahren in der Chailey Heritage School, einem strengen Internat für behinderte Kinder, durfte Ian Dury auf die renommierte Royal Grammar School in High Wycombe und schließlich aufs Arts College in Walthamstow gehen.

Die Kunstfiguren, in die Ian Durie geschlüpft ist, die haber er zu seinem Schutz gebraucht, erzählt Chaz Jankel, Durys langjähriger Bandkollege und Songschreiber heute in Interviews:

"Er musste eine harte Schale entwickeln, körperlich war er ja gehandicapt und Gegenern nicht gewachsen, also benutzte er Wörter als Waffe. Wer ihm blöd kam, den checkte er blitzschnell aus, fand einen wunden Punkt und schlug verbal zu."

Chaz Jankel

1977 veröffentlichte Ian Dury mit den Blockheads "Sex&Drugs&Rock'n'Roll", die Rock'nRoll-Hymne schlechthin, deren Refrain schon bald zum Synonym für das Leben als Rockstar wurde, damals aber die Gemüter in Großbritannien erhitzte. Die BBC setzte dass Lied auf den Index, Radio One DJ’s wie John Peel spielten es dennoch weiter und vor allem die Punks liebten es und kauften auch die teuren, nicht indidzierten Import-Singles vom europäischen Kontinent. Trotzdem wurde "Sex&Drugs&Rock'n'Roll" kein Hit, weil die Plattenfirma Stiff Records den Verkauf schon bald einstellte.

Ian Dury sagte über seinen Song, dass er als milde Ermahnung angefangen, aber als eine schöne Hymne geendet habe. Eigentlich habe er nur deutlich machen wollen, dass es im Leben weit mehr gebe als nur die drei Themen Sex&Drugs&Rock'n'Roll. Unter dem gleichnamigen Titel ist die Verfilmung von Ian Durys Leben im Januar diesen Jahres in den britischen Kinos gestartet. Hauptdarsteller Andy Serkis, der Gollum aus dem Herrn der Ringe stellte den Film auf der Berlinale vor. Der Aufstieg vom behinderten Pub-Rock-Underdog zum Chartsstürmer. 1977, da regierte längst Punk und verhalf dem krassen Außenseiter Ian Dury zum Sprung ins Rampenlicht. Plötzlich waren Außenseiter gefragt. Dabei war Dury bereits 1973 mit Sicherheitsnadeln und Rasierklingen an den Ohren aufgetreten und sang psychopatische Songs. Ian Dury in der Rolle des Frauenmörders,als verkrüppelter Freak und als Hippie- Hasser. Er war seiner Zeit weit voraus und deshalb fiel er  Malcolm McLaren und Vivienne Westwood auf. 1974 luden sie Ian Dury in ihren Mode-Laden "Let It Rock" ein und verpassten ihm neue Outfits aus Lack und Leder.

Und in der Juke-Box liefen Singles von ihrem gemeinsamen Helden Gene Vincent: Mit seiner Single "Sweet Gene Vincent" gelang Ian Dury nicht nur ein Hit,sondern auch eine der schönsten musikalischen Verbeugungen überhaupt. Gene Vincent  und Eddie Cochran waren die beiden Rock'n'Roll-Legenden, die durch ihre Konzerte, Radio- und TV-Shows in England, eine ganze Generation geprägt hatten. Und Ian Dury war das Bindeglied zwischen der Generation der Rockabilly- und den Generation der Punk-Rebellen. Ian Dury rebellierte gegen seine gute Kinderstube, in dem er in die Rolle des Prolls, des pöbelnden Cockney-Quasimodos schlüpfte und auf Hippies mit ihren Peace&Love-Idealen spuckte. 

Bereits 1974/75 tauchte John Lydon bei Konzerten von Ian Durys Kilburn&The High Roads auf. Als Johnny Rotten, als Sänger der Sex Pistols trat John Lydon 1976 im Vorprogramm der Kilburns mit Sicherheitsnadeln, Rasierklingen-Ohrring und in aggressiver Freak-Pose auf, hinkend und mit spastischen Bewegungen.

"Fuck me! Das bin ja ich, nur 20 Jahre jünger! Was passiert hier, was hab ich da bloß losgetreten?"

Das soll Ian Dury zu Pistols-Manager Malcom McLaren gesagt haben.

John Lydon ärgert sich zwar noch immer über Ian Durys Behauptung, er habe ihn kopiert, unterstreicht in Interviews wie im New Musical Express und Rolling Stone aber, wie wichtig Ian Dury für ihn war:

"Er hatte einen Sinn für Theatralik und konnte mit wenigen Worten und Bewegungen eine Tragik-Komödie inszenieren. Ian Dury war so viel mehr als nur Rock'n'Roll."

John Lydon

Ian Dury und seine Blockheads, das war ein Rock'n'Roll Zirkus, ein Panoptikum voller skuriler Typen und jeden Moment konnte die Stimmung von Euphorie in Aggression umschlagen. Denn die Blockheads, die Dummköpfe mussten auf Tour oder im Studio nicht selten leiden. Ian Dury konnte ein Tyrann sein, der seine Mitstreiter zu manipulieren versuchte.

"Vor allem in der Zeit, als er seine Riesenhits hatte, konnte er einem das Leben zur Hölle machen. Er vertrug keinen Alkohol, der machte ihn streitlustig und durch Drogen verwandelte er sich in ein arrogantes Arschloch."

Erinnert sich sein früherer Manager Dave Robinson.

Einige von Ian Durys langjährigen Partnern und Bandkollegen stiegen immer mal wieder aus der Band aus um sich mental zu erholen. Aber sie kehrten auch immer wieder zurück, denn keiner konnte Ian Dury in punkto Entertainment, Energie, Poesie und Charisma das Wasser reichen. Und wenn er Bier, Schnaps und Spliffs nicht anrührte, dann konnte Ian Dury auch ganz umgänglich sein.

Sein Sohn Baxter, der ebenfalls Sänger ist, gibt zu bedenken, welche Rolle Ian Durys Behinderung spielte:

"Er zeigte nie auch nur die geringste Spur, ein Opfer zu sein. Im Gegenteil, weil er schwächer war und auf Krüken daher kam, ging er sofort immer zum Angriff über, wenn er ignoriert oder bemitleidet wurde. Er war wie ein Pitbull-Terrier und wenn er bellte und knurrte, dann bin ich gesprungen."

 Baxter Dury

Ian Dury 1999

Ian Dury konnte aber auch charmant und witzig, ja sogar demütig sein. Er wusste, dass er ein Poet war, pries aber ausgerechnet seinen einfachsten und kürzesten Text für den Song "Waiting For Your Taxi" aus dem 1979er Hit-album "Do It Yourself" als seinen besten. Und es war ein Schnellschuß auf der Fahrt ins Studio hingekritzelt. Das erzählte Ian Dury Alan Bangs 1979 in einem Interview für die Zeitschrift Sounds. Außerdem war Taxi fahren der einzige Luxus, den sich Ian Dury gönnte.

Neben erstklassigen Musikern. So konnte Ian Dury den großartigen Gitarristen Wilko Johnson 1980 für die Blockheads und das Album "Laughter" gewinnen. Ab Mitteder 80er Jahre blieb der kommerzielle Erfolg aus und die Alben wurden seltener. Ian Dury wurde als Auslaufmodell gehandelt. Der britische Pop wurde von Stock, Aitken, Waterman und ihren Breitwandproduktionen regiert. Neue Romantik und androgyne Erscheinungen wie Boy George regierten die Charts und das neue Musikfernsehen. Ian Durys aggressive Energie funktionierte dagegen fast nur auf der Bühne. Und seine galligen Witze, wie auch seine zärtlichen Balladen, waren Mitte der 80iger nicht mehr gefragt. In der zweiten Hälfte der 80er erfand sich Ian Dury neu und wurde Maler, Schauspieler und Autor. Er trat in Musicals im Londoner Westend auf und spielte in zahlreichen Kino- und Fernsehfilmen. In Nebenrollen war er in Roman Polanskis "Pirates" zu sehen und in Peter Greenaways "The Cook, The Thief, His Wife And Her Lover".

Ian Durys Beerdigung

Ian Dury wandelte sich zu einem ruhigen, höflichen Zeitgenossen und Familienmenschen. In den 90ern gehörte der Outcast und Underdog aus den 70er Jahren zum britischen Kultur-Establishment, der bei Filmregisseuren und Kunst-Impressarios ein und aus ging und von Ministern zum Abendessen eingeladen wurde. 1996 wurde bei Ian Dury Krebs festgestellt. Er wusste, es würden ihm nur mehr drei, vier Jahre bleiben und so arbeitete er unermüdlich. Drehte Filme. Schrieb Bücher und Theaterstücke. Kümmerte sich um seine Familie, regelte den Nachlass und spielte bis kurz vor seinem Tod trotz heftiger Schmerzen 90minütige Live-Shows mit den Blockheads. Und er engagierte sich für UNICEF als Botschafter für Polio-Opfer und besuchte Impfkliniken in Sambia und Sri Lanka. 1997 wurde er dabei von einem 23-jährigen Sänger begleitet, der ziemlich kaputt und verwirrt wirkte und gerade die Boygroup Take That verlassen hatte: Robbie Williams. Ein Riesenfan und Bewunderer von Ian Dury. Robbie Williams konnte sogar ganze Songs auswendig. Die beiden verstanden sich prächtig auf dieser UNICEF-Tour. Als Ian Dury am 27. März 2000 den Kampf gegen den Krebs verloren hatte, sang Robbie Williams am Grab den Ian Dury&The Blockheads-Song "You're The Why". 

Für das Ian Dury Coverversionen-Album "Brand New Boots And Panties" steuerte Robbie Williams seine Interpretation von "Swet Gene Vincent" bei. Chaz Jankel, der alte Partner von Ian Dury, schreibt heute noch Songs für Robbie Williams. Es ist also mehr, was außer großartiger Songs von Ian Dury bleibt: The Spirit lives on! Im April 2010 ist auch die ausgezeichnete Ian Dury-Biographie von Will Birch, dem ehemaligen Schlagzeuger der Pub-Rock Combo Kursaal Flyers erschienen.


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