Musikantenstammtisch Niederbayerische Musiker in München
"Ja, wo kommt's ihr denn her?" Diese Frage hören die Mitglieder des Niederbayerischen Musikantenstammtisches oft. Aber was sollen sie antworten? Martin zum Beispiel stammt aus Kattersdorf bei Regen, Simone aus Adertshausen in der Oberpfalz. Und zusammengefunden hat die Gruppe 2003 in einem Münchner Wirtshaus - als acht junge Leute, die es zur Ausbildung in die Landeshauptstadt verschlagen hatte, beschlossen, ihr Heimweh mit einem ganz eigenen Stammtisch zu bekämpfen.
Die Münchner jedenfalls staunten nicht schlecht über die "jungen Wilden", die einmal im Monat einfach so zusammen Polka, Walzer und Zwiefache spielten. Der Stammtisch entwickelte sich nicht nur zur erfolgreichen Kapelle; er erwies sich in der Tat als tröstlicher Familienersatz.
Archaisch und gar nicht brav
Im Münchner Gasthof Isarthor sitzen rund um einen der langen Tische sechs Männer und eine Frau und musizieren mit wilder Leidenschaft. Es klingt archaisch und gar nicht brav, was sie da auf ihren Instrumenten produzieren. Nicht nur der Sachse am Nachbartisch ist hellauf begeistert.
"Ich komm ja aus Sachsen, aus Dresden, für mich ist das schon etwas ungewöhnlich, aber sehr schön, also ich find es fantastisch. Also so viele Blasinstrumente wie ich hier an dem Nachbartisch erlebe, gibt es bei uns nicht."
(Sächsischer Gaststätten-Besucher)
Die Musikanten:
Florian Liebl
Florian Liebl aus Regen
Klarinette
Chirurg und nach München verschleppter Waidler
Simone Lautenschlager
Simone Lautenschlager aus Adertshausen
Klarinette
Dozentin für Volksmusik an der Musikhochschule München, ist gar nicht aus Niederbayern und findet die rarsten Zwiefachen
Josef Zapf
Josef Zapf aus München
Klarinette
Veranstaltungstechniker und Erzmusikant mit Zweitwohnsitz im VW-Bus
Christoph Lambertz
Christoph Lambertz aus Augsburg
Klarinette
Oberbayer.
Hat in Franken studiert.
Wohnt und arbeitet in Schwaben.
Spielt mit Niederbayern.
Alexander Hollmayer
Alexander Hollmayer aus Niederviehbach, vormals Haunwang
Trompete
Musiklehrer mit Hang zum Zink. Hat die größte Instrumentensammlung zwischen Donau und Inn
Florian Schweikl
Florian Schweikl aus Pilsting
Trompete
Schullehrer für Phy- und Musik, erobert Frauenherzen mit seiner Feierwehrquetschn
Bernhard Reitberger
Bernhard Reitberger aus Diepoltshofen
Trompete
Milchbauer, Viechhandler und unser "Hofkomponist"
www.geschwister-reitberger.de
www.schrufhof.de
Hans Bachmaier
Hans Bachmaier aus Hainsbach
Steirische
Umweltingenieur und erster Stammtisch-Papa. Regiert, dirigiert und manipuliert den Stammtisch mit seiner Matrix
Sebastian Meier
Sebastian Meier aus Stockau
Tenorhorn
Bio-Goaßbauer und Blechblasinstrumentenbaumeister
www.dieblechwerkstatt.de
Veronika Hirsch
Veronika Hirsch aus Niedersüßbach
Tenorhorn
Kennt die meisten Witze und konstruiert BMWs
Peter Maierbeck
Peter Maierbeck aus Berghofen
Posaune
Patentanwalt und Physiker mit innigem Verhältnis zur Posaune
Regina Reitberger
Regina Reitberger aus Diepoltshofen
Es-Horn
Ist für die Hutmode vom Stammtisch zuständig, und hat sich einen Hof erheiratet
www.hutwerk-online.de
www.schrufhof.de
Birgit Bachmaier
Birgit Bachmaier aus Hainsbach
Basstrompete
Spielt mit dem ältesten Instrument, baut beruflich Bagger und ist die zweite Stammtisch-Mama
Hansjörg Gehring
Hansjörg Gehring aus Gunzesried
Helikon und Kontrabass
Volksmusikforscher mit eigener Musikschule für Kontrabass
www.bassetino.de
Lioba Degenfelder
Lioba Degenfelder aus Weihmichl
Kontrabass
Grünes Gewissen und erste Stammtisch-Mama
Martin Holzapfel
Ein Sound der direkt ins Blut und in die Beine geht
Mit Trompeten, Klarinetten, Hörnern, Tuba und Ziehharmonika entwickelt die Gruppe einen Sound, der direkt ins Blut und in die Beine geht. Am liebsten möchte man aufspringen und einen der herumsitzenden Herren zum Tanz auffordern. Aber das schickt sich hier nicht. Die globalisierten Durchschnittsmünchner goutieren den interessanten, fremdartig wirkenden Event sitzend. Dazu passt Schweinsbraten und Bier.
Hans ist der Mann an der Ziehharmonika, auch Quetschn genannt. Wobei es die Kapelle ohne die Großstadt München gar nicht geben würde. Was die niederbayerischen Musikanten hier und jetzt zum Besten geben, klingt übrigens auch in den Ohren echter Kenner ...
"Ausgezeichnet! Erstens bin ich ein Niederbayer und zweitens ein Musikliebhaber."
(Niederbayerischer Musikliebhaber)
Ein "wilder Haufen"
Heute spielt eine kleinere Besetzung. Die Whatsapp-Gruppe, über die der "Niederbayerische Musikantenstammtisch" mittlerweile hauptsächlich kommuniziert, umfasst etwa 20 Männer und Frauen. In den Augen von Joseph Zapf, der sich als bislang einziger Münchner problemlos mit seiner Klarinette in die Kapelle integrieren konnte, handelt es sich in der Tat um einen "wilden Haufen".
"Es gibt keinen ersten Trompeter, da gibt es keinen Ersten, der wo vorn dran steht. Das ist pure Anarchie, das ist ein Stammtisch. Wer was zu sagen hat, der sagt's, da wird man net untergebuttert, sondern da hat a jeder sei Meinung. Wenn einer eine musikalische Idee hat, dass er einen neuen Schluss da rein bringt, dann wird da vielleicht einmal ganz kurz bemerkt, aja, und so - eben demokratisch. Und wenn es eine gute Idee ist, wird es angenommen. Wenn es eine schlechte Idee ist, dann fällt es wieder unter den Tisch, dann vergisst man es wieder ..."
(Josef Zapf aus München)
"Wo kommt's ihr denn her?"
In welcher Besetzung die hierarchiefreie, basisdemokratische Kapelle auftritt, hängt davon ab, was gerade gefragt oder bestellt ist, wer von den Spielern Zeit und Lust hat, und wem der Weg zum Auftritt nicht zu weit ist. Niederbayern umfasst schließlich ein Gebiet von über 10.000 Quadratkilometern. Was die unvermeidliche Frage aufwirft ...
"Das ist wurscht, wann wir spielen, ob in München oder am Land draußen, es kommt definitiv diese Frage: Wo kommt’s ihr denn her? Und das ist aber zugleich die schwierigste Frage, weil die Antwort einfach ewig dauert. Dann kommt der aus Hainzbach und der kommt aus Haunwang und der andere kommt aus Regen und dann kommt einer aus Ursensolln und der ist aber aus Amberg, ja wie, aus Amberg? Ja, wo kommt’s ihr überall her? Wie kommt’s ihr da zamm? Also es führt eine Frage zur nächsten und es ist auch die am meist gehassteste Frage."
(Simone Lautenschlager aus aus Adertshausen)
Man sieht sich bei Auftritten, mal hier, mal dort
Martin Holzapfel aus Regen spielt die Tuba
Heute sind die Mitglieder wieder in alle Winde zerstreut. Manche haben geheiratet. Einige eine Stelle angetreten, wie der Tubaspieler Martin, der inzwischen als Lehrer in Mittelfranken arbeitet. Andere, wie die Klarinettistin Simone, wohnen - mit einem weinenden und einem lachenden Auge - immer noch in München. Man sieht sich bei Auftritten, mal hier, mal dort. Die emotionalen Verbindungen halten auch ohne festen Stammtisch.