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Haus der Kunst Er geht - Chris Dercon

Chris Dercon hat das Haus der Kunst von altem Staub befreit und neu belebt. Nach sieben Jahren als Direktor der Ausstellungshalle wechselt er nun an die Tate Gallery in London. Der Stadt München soll er aber verbunden bleiben - auch wenn er ein zwiespältiges Verhältnis zu ihr hat.

Stand: 09.12.2010 | Archiv

Chris Dercon 2009 im Bayerischen Hof in München | Bild: picture-alliance/dpa

Würden Sie einem unbekannten Filmemacher aus Thailand Geld in die Hand drücken und sagen: Mach damit, was du willst? Chris Dercon hat genau das gewagt. Die einzige Bedingung an Regisseur Apichatpong Weerasethakul war, dass das Haus der Kunst als Sponsor genannt werden muss. Heraus kam der Film "Onkel Boonmee, der sich an seine früheren Leben erinnern kann". Er wurde 2010 in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet - und Museumsdirektor Dercon hatte alles richtig gemacht. Manchmal muss man verrückte Dinge tun, meint der Belgier, der selbst abseits eingetretener Pfade wandelt und dem Haus der Kunst damit zu internationalem Renommee verholfen hat.

Hitler auf Knien

Als er 2003 nach München geholt wurde, war Dercon noch ein weitgehend Unbekannter in der Kunstszene. Schon seine erste Ausstellung im Haus der Kunst sorgte aber für Aufsehen. "Partners" zeigte zum ersten Mal die Sammlung der Kanadierin Ydessa Hendeles - unter anderem eine Adolf-Hitler-Skulptur, die knieend die Hände zum Gebet verschränkt. Es war keine leere Provokation, sondern der Beginn seines Programms, die Geschichte des ehemaligen NS-Kunsttempels wieder sichtbar zu machen. "Als ich vor vier Jahren angekommen bin, sah das Haus der Kunst eigentlich aus wie ein verramschter Bahnhof. Man hat damals viel kaschiert", sagte Dercon 2007 dem Bayerischen Rundfunk. Unter seiner Leitung wurde die architektonische Entnazifizierung der vergangenen Jahrzehnte ein Stück weit rückgängig gemacht, wurden Um- und Anbauten wieder entfernt und das historische Archiv des Hauses gesichtet und erschlossen.

"Die Welt nach München bringen"

Das Haus der Kunst in München | Bild: picture-alliance/dpa zum Thema Jubiläum NS-Kunsttempel "reloaded"

Was rein durfte und was nicht, diktierte der "Führer": Am 18. Juli 1937 wurde das "Haus der Deutschen Kunst" eröffnet. Heute ist der Nazibau eine Instanz der Gegenwartskunst - und feiert seinen 75. Geburtstag. [mehr]

In seiner Arbeit berücksichtigte er immer auch lokale Faktoren. München ist für ihn ein Dorf, das im krassen Gegensatz zum kulturellen Schmelztiegel anderer Großstädte steht. Eine weitere Aufgabe, die er sich selbst gestellt hat, war es deshalb, für etwas kosmopolitisches Flair zu sorgen: "Man muss hier in München wirklich neue Sachen anfangen, man muss sozusagen die Welt nach München bringen", sagte er. Was ihm mit Paul McCarthy, Gilbert & George oder Ai Weiwei auch gelang. Dennoch fühlte er sich von der bayerischen Störrigkeit oftmals vor den Kopf gestoßen, wie er im SZ-Magazin erzählte: "Ich habe viele Freunde, die nicht aussehen wie Bayern. Im 'Schumann's' haben mich die Gäste manchmal komisch angesehen, wenn ich wieder mit einem Chinesen oder einem Thailänder oder einem Afrikaner aufkreuzte."

Das Anti-Mausoleum

Unter seiner Leitung gab es im Haus der Kunst auch Architektur, Design, Mode, Fotografie und Film zu sehen. Ein lebendiges Programm war ihm stets wichtig. " Ich bevorzuge es eigentlich eher, eine Volksbühne zu sein als ein Mausoleum, in dem nur zelebriert oder angebetet wird." Und der Zuspruch der Besucher gab ihm recht: "Es kommen auch immer mehr junge Leute zu uns. Und interessanterweise wird das Publikum auch immer gemischter", stellte er zufrieden fest.

Trotz einer gewissen Neigung zu populären Themenkomplexen wie etwa der Fotografie-Ausstellung "Pamela Anderson: American Icon" von Sante D'Orazio hat er sich immer von einem anderen populären Gedanken distanziert: "Ich will gerne an erster Stelle für diejenigen arbeiten, die Kunst eben noch nicht als Ware sehen." Unverzichtbar ist dagegen für ihn der Bildungsauftrag öffentlicher Museen und damit eine "nachhaltige Gedächtnis- und Vermittlungskultur". Der Konsum-Geschwindigkeit der Kunst der vergangenen Jahre will er Langsamkeit entgegensetzen. "Für mich bedeutet Slowness, sich auf die Suche zu machen nach einer neuen Art von Qualität."

Dercon soll München weiter zur Seite stehen

Dercon im Jahr 2003 zu Beginn seiner siebenjährigen Leitung des Hauses

Nun also folgt er dem Ruf der englischen Hauptstadt. Ab dem Frühjahr 2011 wird er dort die weltbekannte Gallery of Modern Art leiten. Bayerns Kunstminister Wolfgang Heubisch nahm die Nachricht mit Bedauern, aber auch mit Stolz auf: "Mit seinen Ausstellungen hat er nicht nur die Münchner Kunstszene ganz entscheidend geprägt, sondern auch international Akzente gesetzt. Dass diese nicht unbemerkt blieben, zeigt der Ruf an die Tate Modern." Heubisch hofft zudem, dass Dercon München in der ein oder anderen Form erhalten bleibt: "Ich werde sicher auch zukünftig seinen Rat suchen. Er bleibt uns verbunden. Die Win-Win-Situation einer solchen Verbindung müssen wir aufrechterhalten", sagte er der Abendzeitung. Auch Dercon wird hoffentlich bald das Bedürfnis haben, für einen Kurztrip nach München zurückzukehren. Denn der Lärm und die Hektik Londons machen ihm ein wenig Angst. Und zumindest in Sachen "Slowness" kann München der englischen Metropole das Wasser reichen.

Biografisches:

  • Geboren in Lier (Belgien) am 30. Juli 1958
  • 1976 - 1982: Studium der Kunstgeschichte
  • 1982 - 1991: Freier Mitarbeiter im Kulturprogramm Belgische Radio en Televisie
  • 1990 - 1995: Direktor Zentrum für zeitgenössische Kunst, Rotterdam
  • 1996 - 2003: Direktor Museum Boijmans Van Beuningen, Rotterdam
  • 2003 - 2011: Direktor Haus der Kunst, München

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