Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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10. Januar 1840 Isaac Pitman bietet den ersten Fernunterricht an

Ein Studium ohne großen logistischen Aufwand, einfach bequem daheim sitzen bleiben und die Unterlagen ins Haus kommen lassen. Klingt zielführend, ist aber nicht immer erfolgreich. Autorin: Justina Schreiber

Stand: 10.01.2018 | Archiv

10 Januar

Mittwoch, 10. Januar 2018

Autor(in): Justina Schreiber

Sprecher(in): Krista Posch

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Anfänger stellen es sich äußerst gemütlich vor: draußen mag es regnen oder schneien. Nur arme Schweine müssen aus dem Haus. Man selbst kann die Beine hochlegen, ein schönes Getränk steht griffbereit… und dann wendet man sich ganz entspannt und dennoch hochmotiviert seinem Fernstudium zu. Aber ach herrje! Wie konnte man die Problematik verdrängen? Die Aufgaben älterer Lieferungen sind noch längst nicht alle gelöst, und die neueren Briefe stapeln sich bereits bedrohlich neben der Couch beziehungsweise im Computer…

Planungsfehler? Verdrängung?

Nun, der gemeinsame Unterricht in Klassenzimmern oder Hörsälen hat schon seine tiefere psychologische Bedeutung. Der Konkurrenzkampf unter Kommilitonen und körperlich anwesendes Lehrpersonal bringen den inneren Schweinehund deutlich besser auf Trab als unpersönliche Studienunterlagen, die schnell ein pathologisches Vermeidungsverhalten auslösen können. So mancher fortgeschrittene Fernstudent weiß kaum etwas über die Inhalte seines Kurses in Höherer Mathematik. Mittlerweile ist er jedoch Profi in Sachen Prokrastination. Jetzt ein kleines Schinkenbrot! Oder noch besser: Nudeln mit Soße, die Zubereitung dauert zwar eine Weile, aber die Mahlzeit hält dann auch länger vor…Was wichtig wäre, damit man sich endlich diesem Elektrotechnikkram zuwenden kann.

Weiter geht es!

Und morgen kommt der nächste Karton! Sofern die Briefträger nicht streiken. Ja, hätte es damals in England nicht bereits ein flächendeckendes Postsystem gegeben, so wäre Sir Isaac Pitman gar nicht auf die Idee gekommen, den Leuten seine neuartigen Unterweisungen in Kurzschrift ins Haus zu schicken! Am 10. Januar 1840 startete der clevere Brite sein Geschäft mit den guten Vorsätzen und Selbstoptimierungsphantasien seiner Mitbürger.

Seitdem haben sich die medialen Kanäle gewandelt und erweitert - aber was macht es schon für einen Unterschied, ob die didaktisch aufbereiteten Fremdsprache-Häppchen per Schallplatte, Telekolleg oder Audiodatei hereintrudeln. Die nächste Folge steht auch schon bereit. Und die Botschaft lautet nach wie vor: "Machen Sie mehr aus sich!" Wer allerdings den Lehrgang "Kaufmännisches Grundwissen" bis zur letzten Lernzielkontrolle durchgestanden hat, weiß: die breite Masse als Kundschaft rechnet sich durchaus. Wobei es an und für sich schon eine tolle Sache ist, wenn Landwirte, Seeleute und Hausfrauen ihren Horizont erweitern können, ohne in die große Stadt reisen zu müssen. Vom modernen Großprojekt des lebenslangen Lernens ganz zu schweigen, das eigentlich einem Jeden ständige Fort- und Weiterbildungen auferlegt. Aber vielleicht sollten die ersten Lektionen, bevor es um Web-Design oder die Vorbereitung auf die Deutsche Jägerprüfung geht, stets die "Chancen und Risiken autonomen Lernens" abhandeln - mit praktischen Übungen zur Selbstdisziplinierung. Ein Kapitel zur Geschichte des Fernunterrichts erübrigt sich dagegen. Die Faktenlage ist eher dünn; historische Lehrbriefe sind kaum überliefert. Offenbar haben Generationen von Fernstudierenden die Materialien, ob gelesen oder ungelesen, früher oder später in die Tonne getreten.


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