Bayern 2 - Das Kalenderblatt


1

28. Juni 1841 Das romantische Ballett "Giselle" wird uraufgeführt

Tanzlust schlägt auch in toten Herzen weiter. Deshalb verlassen betrogene Ballerinen nachts ihre Gräber und tanzen den Mann, der ihnen begegnet, zu Tode. Autor: Frank Halbach

Stand: 28.06.2016 | Archiv

28 Juni

Dienstag, 28. Juni 2016

Autor(in): Frank Halbach

Sprecher(in): Caroline Ebner

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Susi Weichselbaumer

"Völlig schwerelos", schwebt die Ballerina, dieses fragile, zart knospende Geschöpf, "ganz in weiß", über die Bühne, und die Geschichte, die da tanzend erzählt wird, kündet von einer Liebe über den Tod hinaus, aber auch von einer Welt jenseits unsrer Wirklichkeit, in der unheimliche Geister Männer ins Verderben reißen.

Dann hebt sie ab

Romantisch, das romantischen Ballett. Es erzählt von einer übernatürlichen Gegenwelt und einer im Diesseits unerreichbaren Liebe.

"Giselle", uraufgeführt am 28. Juni 1841 in Paris, mit der Musik von Adolphe Adam, in der Choreographie von Jean Coralli und Jules Perrot, nach dem Libretto von Théophile Gautier, ist gewissermaßen das Romantische Ballett schlechthin. Im diesseitigen, bunten, ersten Akt lernen wir die Winzertochter Giselle kennen. Und, wie das so ist mit pubertierenden Mädchen, hört sie nicht auf Frau Mama, sondern tanzt und tanzt und tanzt, obwohl sie doch - wie der Prima Ballerina jeder ansieht - eine schwächliche Konstitution hat. Drum, fällt Giselle um - am Ende des Aktes. Tot! Aus die Maus. Denn zur Überforderung ihres Körpers, an dem kein Gram Fett ist, kommt eine psychische: Ihre große Liebe - typisch Mann - hat ihr zwar die Ehe versprochen, entpuppt sich aber als leibhaftiger Graf und ist natürlich bereits anderweitig und standesgemäß verlobt - "Zeit zu geh‘n!“

Völlig schwerelos

Und was wird aus tanzbesessenen, von Schuften gemein betrogenen, Jungfrauen, die tot sind? Sie erheben sich nächtens als Untote und verführen Männer - von denen ist eh einer wie der andere - mit schwerelosem Spitzentanz. Nein, nicht zum Sex! Ballehett! Zum Tanzen! Und weil die unglaublich erotische Ballerina allein und absolut im Zentrum des Geschehens steht - man denke nur an all die Hebefiguren, mit denen der männliche Tänzer sie in Szene setzt - tanzt eine solche Untote, Wili genannt, die Männer buchstäblich zu Tode. Klar, dass das auch dem Graf blüht.

Er begegnet der dem Grab entstiegenen Giselle, sie erscheint ganz in weiß - deshalb weißer Akt - und muss tanzen. Aber weil Romantisches Ballett auch romantische Liebe bedeutet, dehnt die Wili den Pas de Deux bis zum Morgengrauen, wo sie in ihre letzte Ruhestätte zurückkehren muss, und der Graf deshalb überleben darf.

All das wirft ein doch ein wenig merkwürdiges Bild auf das Frauenbild des 19. Jahrhunderts. Eine kindliche Femme fragile, die als Untote das männliche Begehren nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Zuschauerraum weckt? Ja, begehren darf man, es einlösen natürlich nicht.

Das ist schon in der Urszene des romantischen Balletts so angelegt. Zehn Jahre vor "Giselle" wurde als Einlage in Giacomo Meyerbeers Oper "Robert le Diable" getanzt: gewissermaßen die Erfindung des Romantischen Balletts: Hier erhoben sich, ganz in weiß, untote Nonnen aus ihren Gräbern und tanzten einen verführerischen Reigen. Begehren bei tanzenden toten Nonnen einlösen? Erscheint irgendwie schwierig…


1