Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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26. Juli 1983 Charlie Rivel gestorben

Es war schon zu Zeiten der Hofnarren so: sie durften den Herrschenden die Wahrheit sagen. Und die ganz großen Ihrer Zunft waren und sind immer auch Philosophen. Wie der Clown Charlie Rivel, der am 26. Juli 1983 starb.

Stand: 26.07.2012 | Archiv

26 Juli

Donnerstag, 26. Juli 2012

Autor(in): Susanne Tölke

Sprecher(in): Andreas Wimberger

Redaktion: Petra Herrmann

"Wenn die Leute lachen, hab ich gewonnen!" Diese Grundregel des Entertainers gilt zwar heute noch, aber sie stammt nicht aus Hollywood. Sie ist viel älter. Friedrich Taubmann, Magister der Philosophie, schrieb sie 1591 in seine Bewerbung um die Stelle des Hofnarren am Hof des Kurfürsten von Sachsen. Und er bekam das Amt! Seine Kollegen an der Universität Wittenberg, wo er im Hauptberuf Hochschullehrer war, empörten sich zwar über diese unseriöse Art des Doppelverdienens, aber ein Quäntchen Neid wird wohl auch dabei gewesen sein.

Taubmann brachte den Kurfürsten jeden Tag zum Lachen und konnte es sich bald leisten, für entgangene Kolleggelder Säumniszuschlag zu beantragen, nämlich dann, wenn er den Kurfürsten auf Reisen begleitete und deshalb die Vorlesung ausfallen lassen musste. Als sich der Oberhofmeister beim Kurfürsten darüber beschwerte, dass Taubmann in seinem Nebenamt als Hofnarr viermal soviel verdiente wie in seinem Hauptamt als Philosophieprofessor, beschied ihn der Kurfürst mit den Worten: "Wenn Ihr mich genauso oft zum Lachen bringt wie Taubmann, dann könnt Ihr auch soviel verdienen, mein Guter!", woraus wir schließen können, dass die Fähigkeit, andere zum Lachen zu bringen, auch damals schon hochdotiert war.

Lachen machen bringt Geld

Die Hofnarren mussten aber auch einiges können: Drehleier und Dudelsack spielen, Purzelbäume schlagen, Grimassen schneiden, Tierstimmen imitieren. Besonders beliebt war das Spiel, andere Höflinge so nachzuahmen, dass jeder gleich wusste, wer gemeint war. Der Hofnarr war Schauspieler, Pantomime, Akrobat, Tänzer und Musikant in einem. Doch die Erheiterung des Publikums stellte nur die eine Hälfte des Jobs dar - die ungefährliche. Die andere, die gefährliche, war die Aufgabe, dem Herrscher die Wahrheit zu sagen. Der Hofnarr war der einzige, der den Herrscher kritisieren oder unterbrechen durfte und der ihn duzte. Der Preis dafür: Er musste den Narren spielen. Nur die Narrenfreiheit garantierte ihm das Recht, die Wahrheit zu sagen. Die Kunst bestand darin, nicht zu weit zu gehen. Wenn der Herrscher lachte, hatte man gewonnen.

Der absolutistische Hof mit den vielen Personen, die sich für enorm wichtig hielten, dem Obergeschirrmeister, Oberkellermeister, Obertunkenmeister, Obersilbermeister , Oberzahnbrecher und Oberstallmeister war der ideale Wirkungskreis für den Hofnarren.

Der Narr sagt die Wahrheit

Die Zierlichkeit des Rokoko brachte das Ende der Späße. Das Possenreißen und das schallende Gelächter war nicht mehr gefragt, galt als derb. Der Hofnarr wurde arbeitslos. Erst im Zirkus des 20. Jahrhunderts erlebte er seine Wiedergeburt. Und die ganz großen ihrer Zunft sind immer auch Philosophen, wie weiland der Magister Taubmann. Charlie Rivels Nummer mit Stuhl und Gitarre war mindestens so gut wie ein Seminar zum Thema "Subjekt-Objekt-Beziehung bei Ludwig Wittgenstein". Nur viel lustiger natürlich. Wie er herauszufinden versuchte, wozu der Stuhl da sei, und dann, als ihm dämmerte, er könne zum Sitzen da sein, alles mögliche ausprobierte und endlich mit vielen Drehungen und Windungen oben auf der Lehne Platz nahm, die Füße auf die Sitzfläche stellte und stolz in die Runde blickte, bis er am Boden die nun unerreichbare Gitarre entdeckte - das war die perfekte Darstellung menschlichen Erkenntnisstrebens und menschlicher Unzulänglichkeit. Am 26. Juli 1983 ist Charlie Rivel in Barcelona gestorben - sein Thron als König der Clowns ist seitdem verwaist.


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