Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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22. September 1502 Johanna und Philipp der Schöne treffen in Zaragoza ein

Wäre es mit rechten Dingen zugegangen, wäre sie eine der mächtigsten Herrscherfiguren ihrer Zeit geworden. Aber Johanna von Kastilien war eine Frau. So konnten ihr Vater, ihr Ehemann und ihr Sohn sie wegsperren, für unzurechnungsfähig erklären und selbst regieren.

Stand: 22.09.2011 | Archiv

22 September

Donnerstag, 22. September 2011

Autor(in): Prisca Straub

Sprecher(in): Ilse Neubauer

Redaktion: Thomas Morawetz / Wissenschaft und Bildung

Was in königlichen Betten vor sich geht, hat die Menschen seit jeher interessiert. Indiskrete Ohren pressen sich mit Vorliebe an die prunkvollen Wände der Schlafgemächer der Hochwohlgeborenen: Unter den intimen Baldachinen wird nämlich nicht nur das kleine, private Glück, sondern auch die große Weltpolitik verhandelt. Und bei diesen "Allianzen aller Art" hatten Frauen - zumindest in der Vergangenheit - zumeist das Nachsehen. Johanna von Kastilien, besser bekannt als Johanna die Wahnsinnige, ist ein Beispiel für die unheilvolle Verbindung zwischen Liebe und Machtpolitik: Ihr Sohn, Karl V., wird ein Weltreich regieren. Ein Weltreich, das eigentlich seiner Mutter gehörte. Fast 40 Jahre hielt er sie als Gefangene in der Festung von Tordesillas.

Als 16-Jährige wurde Johanna, Tochter der Katholischen Könige, mit Philipp dem Schönen, Graf von Flandern vermählt. Dass Braut und Bräutigam sich nicht mal vom Sehen kannten und die Ehe von den Eltern nur gestiftet wurde, um das missliebige Frankreich außenpolitisch zu isolieren, war im Europa des ausgehenden 15. Jahrhunderts durchaus üblich:

Das junge Mädchen verließ also ihre spanische Heimat, um im königlichen Bett in Brüssel für den Fortbestand des Reiches und der Dynastie zu sorgen. Und auch in diesem Fall waren indiskrete Ohren nicht weit: "Flammender Liebeswahn", so wurde alsbald geklatscht, soll das Paar ergriffen haben, als es sich zum ersten Mal sah. Und da die zarte Infantin mit den Pausbäckchen und der blondgelockte Graf die fehlenden zwei Tage bis zur Hochzeit angeblich nicht abwarten konnten, ließen sie eilends den Priester kommen, sagten geschwind "Ja" und rissen sich noch am selben Nachmittag die Kleider vom Leib. Die Palastwände müssen feine Ohren gehabt haben.

Nun war es leider so, dass viele der schlüpfrigen Geschichten, die am flandrischen Hof kursierten, ausgerechnet das Liebesleben Philipp des Schönen betrafen. Als Johanna erfährt, wie wenig ernst es ihr Gatte mit ehelicher Treue nimmt, macht sie Szenen. Immer wieder. In ihrer Empörung soll sie einer Nebenbuhlerin sogar das Gesicht zerschnitten haben. So wird aus "Johanna von Kastilien" sehr bald "Johanna die Unglückliche" und für ihren Mann: "Johanna die Unbequeme".

Durch familiäre Todesfälle ist Johanna seit dem Jahr 1500 spanische Thronfolgerin. Und für ihren testosterongesteuerten Gatten ist das ein Grund innezuhalten: Seine Frau könnte ihn nämlich zu einem der mächtigsten Männer seiner Zeit machen. Und so zeigt er sich zunächst von seiner besten Seite: Er reist mit Johanna in ihre Heimat, um sie, aber natürlich vor allem um sich selbst, bei den Erzherzögen offiziell als Erbe der Krone vorzustellen. Am 22. September 1502, sechs Jahre nachdem Johanna den spanischen Hof verlassen hat, trifft das Paar in Zaragoza ein.

Als Johanna im Jahr 1504 durch den Tod ihrer Mutter Isabella dann tatsächlich Erbin des spanischen Weltreiches wird, entbrennt ein erbarmungsloser Machtkampf: Johannas ärgste Widersacher sind ausgerechnet die Männer, die sie am meisten liebt: Vater Ferdinand, Ehemann Philipp und später Karl, ihr eigener Sohn. Wäre Johanna ein Mann gewesen, niemand hätte gewagt, ihr den rechtmäßigen Anspruch auf ihre unermesslichen Schätze streitig zu machen. Doch auf ihrem zielstrebigen Weg nach oben erklären die machthungrigen Männer Johanna kurzerhand für unzurechnungsfähig.

Solange sie als umnachtet gilt, können die Monarchen regieren: erst der Mann, nach seinem unerwartet frühen Tod ihr Vater, schließlich der Sohn. Die empfindsame, leicht aufbrausende Johanna, die an Depressionen leidet, aus Protest schon mal in den Hungerstreik tritt, aber davor zurückschreckt, politische Entscheidungen zu treffen, verschwindet hinter dicken Festungsmauern.

Vom Ende ihres Daseins, das fast die Hälfte ihrer Lebenszeit umfasst, gibt es nur wenig zu berichten. An den Kerkerwänden von Tordesillas lauscht schließlich auch kein neugieriges Ohr mehr. Apathisch, unterernährt und krank vegetiert die Königin vor sich hin. "Johanna die Wahnsinnige" hätte ein Weltreich regieren können, in dem die Sonne nie unterging. 


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