Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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18. November 1883 US-Eisenbahnen führen Zeitzonen ein

Wie spät ist es? Die Auskunft war kein Problem, solange der Mensch gemächlich unterwegs war und sich am Stand der Sonne orientierte. Doch dann kamen die Eisenbahnen und das Chaos. Am 18. November 1883 griffen die US-Bahngesellschaften eine revolutionäre Idee auf: Zeitzonen.

Stand: 18.11.2010 | Archiv

18 November

Donnerstag, 18. November 2010

Autor(in): Xaver Frühbeis

Sprecher(in): Andreas Wimberger

Redaktion: Thomas Morawetz / Wissenschaft und Bildung

Können Sie sich vorstellen, wie das gewesen ist seinerzeit, als man sich mit der Uhrzeit einfach nach der Sonne gerichtet hat? Wenn die Hier am höchsten stand, dann war es Mittag, 12 Uhr. Ging man von Hier nach Westen, dann kam man nach Dorthin. Und natürlich war es in Dorthin ein paar Minuten später Mittag als Hier, weil ja die Sonne auf ihrem Gang von Osten nach Westen in Dorthin ein paar Minuten später am höchsten stand als Hier. Aber das störte niemanden. Die Leute blieben zuhause, und wenn sie reisten, dann in einem Tempo, bei dem so kleine Zeitdifferenzen nicht auffielen.

Das jedoch änderte sich jedoch, als um das Jahr 1850 die Menschen anfingen, per Eisenbahn zwischen den Orten und Städten hin- und herzusausen. Die Eisenbahngesellschaften sahen sich vor einer nahezu unlösbaren Aufgabe, und die hieß: Fahrpläne. Wer hier zustieg, wollte gerne wissen, wie lange die Fahrt nach dorthin dauerte und um welche Uhrzeit er dort ankommen würde. Aber die Uhrzeiten passten einfach nicht zusammen. Also führte jede Eisenbahnlinie ihre eigene Zeit ein. Im großen Land der Eisenbahnen, den USA, fuhren die Züge der Baltimore & Ohio Company unter der Ortszeit von Baltimore, wenn sie aus Baltimore kamen und unter der von Columbus, wenn sie innerhalb Ohios unterwegs waren. Züge, die aus New York und Pennsylvania in Chicago eintrafen, benutzten eine Zeit, die 6 Minuten früher als die von Pennsylvania war und 19 Minuten früher als die von Chicago. Wurde ein Bahnhof von mehreren Eisenbahnlinien angefahren, musste er mehrere Uhren haben. Der Bahnhof von Buffalo im Staate New York hatte drei: Eine zeigte die Ortszeit, die beiden anderen die Zeiten der beiden Eisenbahnlinien, deren Züge in Buffalo hielten. Die Stadt Pittsburgh wurde von sechs verschiedenen Linien angefahren. Erkennen Sie das Problem?

Auch der kanadische Eisenbahningenieur Sandford Fleming erkannte das Problem, und er hatte dafür auch eine Lösung parat. Fleming schlug vor, die Welt in 24 gleich große Sektoren aufzuteilen, die von der Sonne in jeweils einer Stunde durchlaufen werden. Das Ganze ergibt weltweit 24 Zeitsektoren, innerhalb eines jeden Sektors werden die Ortszeiten einander angeglichen, und alle Uhren zeigen eine einheitliche Standardzeit an.

Am 18. November 1883, griffen die großen Eisenbahngesellschaften der USA Flemings Vorschlag auf und richteten in ihrem Land vier große Zeitzonen ein.

"Es ist eine Revolution", schrieb die amerikanische Zeitung "Indianapolis Sentinel". "Fünfundfünfzig Millionen Menschen werden geboren, essen, schlafen, heiraten und sterben nach einer Zeit, die nicht die Sonne, sondern die Eisenbahn ihnen vorschreibt."

Was die Eisenbahnen 1883 so erfolgreich vormachten, hat die amerikanische Regierung einige Jahre später per Gesetz für das ganze Land festgelegt. Auch die Restwelt zog nach, und bald schon wurde Sandford Fleming, der Vater der Zeitzonen, von der englischen Königin Victoria für seine wunderbare Idee geadelt. Und so kann sich heutzutage keiner mehr so richtig vorstellen, wie das gewesen ist, als man sich mit der Uhrzeit nach der Sonne gerichtet hat. Andere Zeiten, andere Zeit.


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