Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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17. Oktober 1906 Anfänge der Bildtelegrafie

Kronprinz Wilhelm war die erste Persönlichkeit, deren Bild durch die neue Bildtelegrafie übermittelt wurde. Schnell folgten Portraits von weniger illustren Personen. Autor: David Globig

Stand: 17.10.2016 | Archiv

17 Oktober

Montag, 17. Oktober 2016

Autor(in): David Globig

Sprecher(in): Andreas Wimberger

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Der folgende innere Monolog basiert auf einem Fall, über den die New York Times im Februar 1907 berichtet hat, wenige Wochen nach einer Erfindung, die die Welt verändern sollte und auch die Halbwelt.

Was ich vom technischen Fortschritt halte, von Telefon, Telegrafie und so? Ich halte davon gar nichts mehr. Ohne diesen "Fortschritt" säße ich nämlich nicht hier, sondern mit einer Menge Geld irgendwo in England. Denn eigentlich war das ein ganz schöner Coup in Stuttgart. Da habe ich bis vor ein paar Tagen als Kassierer in einer Bank gearbeitet. Irgendwann hat's mich allerdings in den Fingern gejuckt. Ich hab' also einfach in den Tresor gegriffen: Banknoten und Gold für etliche tausend Mark. Hätt' eine Weile gereicht. Leider war die Sache ganz schnell vorbei.

Scotland Yard an den Ausgängen

Dabei bin ich sofort weg, nach England. Ich wollte da zu Freunden. Dummerweise hat das die deutsche Polizei geahnt. Und als ich London aus dem Zug steige, warten schon die Leute von Scotland Yard an den Ausgängen. Und was haben die in der Hand gehalten? Fotos von mir! Fotos! Die Aufnahmen waren tatsächlich schneller in London als ich selbst - per Bildtelegrafie. Tja, Fortschritt. Früher hat es Tage gedauert, bis so ein Foto in den Polizeistationen hing. Da hatte man Zeit, um unterzutauchen.

Was mich übrigens besonders ärgert: Ich hätte es wissen können. Vor ein paar Wochen hat diese Erfindung nämlich für ziemlichen Wirbel gesorgt. Stand auch in der Zeitung. Meine Freunde haben die zufällig aufgehoben und mir ins Gefängnis mitgebracht, da steht´s: Am 17. Oktober 1906 hat ein Physiker aus München, Professor Arthur Korn, ein Portrait des Kronprinzen Wilhelm über eine Strecke von 1.800 Kilometern übertragen. Und da ist auch genau beschrieben, wie das funktioniert. Das Bild wird als durchsichtiger Film auf einen Glaszylinder gespannt. Dieser Zylinder dreht sich um seine Achse und verschiebt sich gleichzeitig bei jeder Umdrehung um ein winziges Stück. Wie eine Schraube.

Durch das Foto und den Zylinder hindurch schickt man einen Lichtstrahl, den man mit einer sogenannten Selenzelle auffängt. Und da passiert was Interessantes: Je mehr Licht auf das Selen fällt, desto besser leitet es Strom. Das heißt, je durchsichtiger das Foto an einer Stelle ist, desto mehr Licht lässt es hindurch und desto mehr Strom fließt. Und diesen Strom kann man nun über eine Telegrafenleitung Hunderte Kilometer weit übertragen. Am anderen Ende dreht sich auch ein Zylinder, genau mit der gleichen Geschwindigkeit. Auf diesen Zylinder ist ein lichtempfindlicher Film gespannt und davor sitzt wieder eine Lampe. Die leuchtet abhängig vom Strom, der über die Telegrafenleitung kommt, mal heller, mal weniger hell. So wird das Bild in wenigen Minuten Zeile für Zeile auf den Film geschrieben.

Erstaunlich gute Qualität

Und zwar in erstaunlicher Qualität, wie ich zugeben muss. Ich habe schließlich meine Fahndungsfotos gesehen… Dass sich ausgerechnet die Polizei so schnell für die "Phototelegraphie" begeistern musste... Zeitungen, das hätte man sich ja denken können. Die wollen immer die aktuellsten Bilder - von Kaisern, Königen, Kronprinzen. Die haben sich auch gleich ein paar von Professor Korns Apparaten angeschafft. Aber warum nur die Polizei? Nein, ich halte wirklich nichts mehr vom technischen Fortschritt.


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