Bayern 2 - Das Kalenderblatt


3

13. August 2010 Erste Frau besteht die Gondoliere-Prüfung

Madonna! 900 Jahre war der Beruf des Gondoliere in Venedig fest in Männerhand. Und dann kommt am 13. August 2010 Giorga Boscolo, nimmt das Ruder und besteht die Prüfung. Venedig ist trotzdem nicht untergegangen.

Stand: 13.08.2014 | Archiv

13 August

Mittwoch, 13. August 2014

Autor(in): Ulrich Trebbin

Sprecher(in): Krista Posch

Illustration: Angela Smets

Redaktion: Julia Zöller

Zahlreiche Festungen der Weltgeschichte sind monatelang belagert worden, manche jahrelang, einige wenige sogar über Jahrzehnte hin. Und weil sie jede Menge Zeit hatten, haben die Belagerer viele Tücken ersonnen, um die Eingeschlossenen zu bezwingen: Mit List wie Odysseus vor Troja, mit Rammbock, Mauerbohrern und Katapulten, durch Aushungern, vergiftete Brunnen oder eingeschleppte Krankheiten. Alexander der Große hat vor Tyros sogar sieben Monate lang einen 60 Meter breiten Damm im Meer aufschütten lassen.

Frauen? Gondeln? Mamma mia!

Das alles ist noch nichts gegen die Festung, die die Italienerin Giorga Boscolo genommen  hat - übrigens gänzlich ohne Gewalt.

In Venedig ist der Beruf des Gondoliere 900 Jahre lang ausschließlich in Männerhand  gewesen. Nur sie ruderten die kiellosen Boote durch die Kanäle des Centro storico. Frauen? Mamma mia! Niemals! Wie sollte das auch gehen? Die haben doch gar nicht die Kraft dafür! In der Hochsaison 14 bis 16 Stunden am Tag! Und wenn dann noch der Wind vom Meer in den Canal Grande hereinfegt, und die Wellen weiße Wimpel tragen! Nein, da muss schon ein männlicher Oberarm das Ruder in der kirschhölzernen Verankerung - der Forcola - drehen, um den bis zu elf Meter langen Kahn sicher durch die engen Wassergassen der Serenissima zu bugsieren.

Bewacht hat diese berufliche Festung die Associazione Gondolieri: Sie bestimmt, wer eine der rund 400 begehrten und überaus einträglichen Lizenzen bekommt - ein schmales Stündchen Gondelfahrt kostet nämlich schnell mal 120 Euro.
Vor die Lizenz haben die Zunftherren jedoch einen 150stündigen Theoriekurs gesetzt. Außerdem eine Eingangsprüfung und eine mehrmonatige Lehrzeit auf einem der Traghetti, wie die acht Fähren über den Canal Grande heißen, die die Passagiere meist stehend aber preiswert befördern. Das Nadelör ist dann jedoch die praktische Prüfung. An ihr waren vor Signora Boscolo schon zwei Frauen gescheitert, eine sogar schon vier Mal!

Als Giorgia zum ersten Mal das Ruder einer Gondel in der Hand hält, da ist sie sieben Jahre alt. Denn ihr Vater ist Gondoliere. Später wird sie in die Mikrofone der Journalisten aus aller Welt erzählen, dass sie schon als Kind viel lieber ihren papà in der Gondel begleitet hat, als mit ihren Freundinnen zu spielen - anders als ihre drei Schwestern. Üblicherweise wird die Tradition ja vom Vater auf den Sohn vererbt, aber den hat Vater Dante nicht. Also weist er sein Töchterchen in die finessenreiche Kunst des Manövrierens ein: Wie man mit nur einem Ruder, links stehend, die 500 Kilo schwere Barke steuert - vorwärts und rückwärts, vom Bug aus und vom Heck. Zum einseitigen Rudern passt übrigens die asymmetrische Bauweise der Gondeln: Sie sind leicht nach rechts gebogen wie eine Banane und somit links einige Zentimeter länger.

"Eine Geburt ist schwieriger"

Am 13. August 2010 ist es dann soweit: Die 24jährige Giorgia Boscolo tritt zum zweiten Mal zur Prüfung an und schleift die jahrhundertealte Festung: Sie besteht tatsächlich als erste Frau! Wenn auch nur knapp: Sie ist die Letzte der 22 erfolgreichen Prüflinge. Wäre sie Vorletzte geworden, wäre das für den Mann hinter ihr natürlich eine Blamage gewesen ... ! Auf die Fragen der Journalisten, ob das Rudern wirklich so schwer und anstrengend sei wie behauptet, gibt die zweifache Mutter lakonisch zur Antwort: "Eine Geburt ist viel schwieriger!"


3