Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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12. Januar 1999 Europas erste Wasserstofftankstelle eröffnet

Man kann viel in einen Tank packen: Den Tiger, Rapsöl, Benzin, Diesel oder Wasserstoff. Nur dass Wasserstoff schon mal aus dem Tank verdunstet. Und das ist nicht das einzige wasserstoffliche Verkehrsproblem … Autor: Hellmuth Nordwig

Stand: 12.01.2016 | Archiv

12 Januar

Dienstag, 12. Januar 2016

Autor(in): Hellmuth Nordwig

Sprecher(in): Krista Posch

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Wenn Politiker dichten, entstehen bekanntlich blühende Fantasielandschaften. Kostprobe gefällig? "Sauber wird es sein in der Stadt, denn es gibt keine naserümpfenden Flanierer an den Bordsteinkanten." Das erklärt am 12. Januar 1999 Ortwin Runde, seines Zeichens Hamburgs Erster Bürgermeister. Ob ihn jemand nach dem Sinn dieses Satzes gefragt hat, ist leider nicht überliefert. Wird die Freie und Hansestadt sauber, weil die Flanierer ihre Nasen bis dato nicht nur gerümpft, sondern ihren Inhalt an den Bordsteinkanten entleert haben? Oder weil es bei dem Hamburger Verkehr eh bald keine Flanierer mehr gibt, ob rümpfend oder nicht?

Hat es sich ausflaniert?

Ortwin Runde äußert den rätselhaften Satz auf dem Gelände von Hein Gas, wie die Hamburger ihre Gaswerke nennen. Zugegen sind unter anderem Michael Otto, Chef des gleichnamigen Versands, und Fritz Vahrenholt. Er vertritt den Vorstand des Ölmultis Shell. 20 Jahre zuvor hatte er noch wortgewaltig gegen die Chemiebranche gewettert. Jetzt gehört er selber dazu. Shell stellt an jenem Dienstag zum ersten Mal in Europa an einer Tankstelle einen neuen Treibstoff bereit: Wasserstoff. Der wird mit einem Spezialschlauch feierlich in den Tank eines blauen Lieferwagens gefüllt. Mit dem ist der Fahrer Torsten Rapp unterwegs, im Auftrag des Versandhauses mit den vier Buchstaben.

Es fährt sich mit Wasserstoff

Und warum Wasserstoff? Oder, wie der Deutsche Wasserstoff-Verband fragt, wohl um einen Beleg dafür zu liefern, dass auch Ingenieure das Dichten besser sein lassen sollten: "Wo liegt eigentlich das Problem, bei dessen Lösung Wasserstoff helfen soll?" Krude Frage, klare Antwort: Erdöl ist endlich. Und die Abgase von Benzinmotoren lassen Flanierer die Nase rümpfen. Von Diesel reden wir lieber gar nicht erst. Inzwischen kennen wir noch ein weiteres Problem: Solche Motoren erzeugen Kohlendioxid, das unserer Erde tüchtig einheizt.

Außer wir tun es Torsten Rapp gleich und tanken Wasserstoff. Wenn dieser ein Auto antreibt, kommt aus dem Auspuff nur Wasserdampf. Nichts als Wasser, das Symbol für die Reinheit schlechthin. Sauberer kann ein Antrieb gar nicht sein, das glauben nicht nur die Redenschreiber von Politikern.

Leider sieht die Wahrheit anders aus. Um Wasserstoff herzustellen, braucht man Strom. Dann wird das Gas komprimiert oder zu einer minus 253 Grad kalten Flüssigkeit abgekühlt. Und das kostet noch viel mehr Energie. Sei's drum, wenn diese aus regenerativen Quellen stammt. Dass Wasserstoff aber mit dieselbetriebenen Lkws zu den Tankstellen gekarrt wird, hat nun wirklich nichts mehr mit öko zu tun. Und wer zu den hundert Menschen zählt, die in Deutschland ein Wasserstoffauto besitzen, hat auch sonst Grund, die Nase zu rümpfen. Denn der Tank ist schon nach einer guten Woche halb leer, auch wenn man gar nicht gefahren ist. Wasserstoff verdampft einfach verdammt schnell. Kein Wunder, dass dieser Treibstoff sich nicht durchsetzt.

Doch da kommt im Oktober 2015 eine erstaunliche Nachricht: Deutschland will in den nächsten Jahren ein flächendeckendes Netz von Wasserstofftankstellen aufbauen. Mehr als doppelt so viele, wie es zu diesem Zeitpunkt weltweit gibt. Nämlich 400 Stationen. Flächendeckend ist das zwar nicht, aber immerhin: Vier Tankstellen pro Wasserstoffauto. Und wozu? "Für den Markthochlauf dieser Technologie", dichtet Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt. Was soll man da noch sagen: Schaun mer mal.


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