Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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8. Juni 1794 Robespierre feiert das "höchste Wesen"

Ganz Paris war auf den Beinen, als Maximilien de Robespierre am 8. Juni 1794 in Paris sein "Fest des höchsten Wesens" feierte. Der Kopf der Französischen Revolution wollte der Menge einen Gott als Ersatz für Gott schenken - ein Höhepunkt der Revolutionslogik.

Stand: 08.06.2011 | Archiv

08 Juni

Mittwoch, 08. Juni 2011

Autor(in): Brigitte Kohn

Sprecher(in): Ilse Neubauer

Redaktion: Thomas Morawetz / Wissenschaft und Bildung

Revolutionäre haben häufig edle Absichten, neigen aber zum Blutvergießen, wenn sich die Wirklichkeit ihren Idealen nicht unverzüglich anpasst. Das macht den Umgang mit ihnen so schwierig. Maximilien de Robespierre, der mächtigste Mann der Französischen Revolution, ist so ein Fall. Als junger Abgeordneter glüht er für Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, für Volkssouveränität und Demokratie: ein hoch gebildeter Jurist mit feinen Manieren, Rousseau-Verehrer, alles andere als blutrünstig, ungeeignet für die Barrikaden. Seine Waffe ist das Wort, das Programm: "Den Schwachen verteidigen gegen den Starken, der ihn ausbeutet und ausradiert, das ist Herzenspflicht für einen jeden!" Wer wollte da widersprechen!

Doch das revolutionäre Frankreich befindet sich im Krieg gegen fast ganz Europa. Robespierre, einst Gegner der Todesstrafe, wird immer einflussreicher und immer gnadenloser. Er organisiert und rechtfertigt den Terror, der 1793/94 seinen Höhepunkt erreicht. Sein todbringender Bannstrahl trifft nicht nur das Königshaus und die Royalisten, sondern auch Mitrevolutionäre, die seine Kompromisslosigkeit nicht teilen. Tugend und Terror gehören zusammen, denn ohne Terror ist die Tugend machtlos, findet er. Die Guillotine kommt nicht zur Ruhe, Köpfe rollen im Minutentakt. Robespierre hat nie eine Hinrichtung gesehen. Er sitzt am Schreibtisch und verfertigt Todeslisten, Haftbefehle, flammende Reden. Depressionen plagen ihn häufig, aber keine Zweifel. Sein Gewissen ist rein. So rein wie sein Asketenleben. Er  braucht keine Frau und auch sonst keine Freuden bis auf die sorgfältige Kleidung, die seinen jungen Körper panzert, und gelegentliche Spaziergänge in der Natur, die ihm nie widerspricht.

Er ist mutterlos aufgewachsen, sein unstillbarer Hunger nach Liebe mündet früh in den Hunger nach dem Paradies auf Erden. Sollte etwa auch der unstillbar sein? Ein unerträglicher Gedanke! Die Tugend und die Gerechtigkeit müssen siegen, koste es, was es wolle! Wahrheit und Vernunft - das ist Gott! Gott? Ja, Robespierre glaubt an ihn, er braucht ihn. Nicht den Gott der alten Kirche, aber den Gott, der seine Mission verkörpert, den Gott, für den es sich lohnt, die wirkliche Welt für die ideale Welt zu vernichten. Robespierre nennt diesen Gott das "höchste Wesen".

Am 8. Juni 1794 richtet er ihm ein Fest aus. Ganz Paris ist auf den Beinen. Unter den Augen der Menge setzt Robespierre ein Standbild des Atheismus in Brand. Aus den verkohlten Überresten erhebt sich die Statue der Weisheit, allerdings, wie Spötter höhnen, reichlich rußgeschwärzt. Von den Tuilerien geht es aufs Marsfeld, die Guillotine hat man weggeräumt, nur die Blutlache ließ sich nicht ganz wegwaschen. Über den Köpfen der Menschen ragt ein Freiheitsbaum, Mädchen werfen Blumen in den Himmel, Volk und Konvent leisten einen feierlichen Schwur. Alles perfekt inszeniert, alles läuft wie geplant. Doch die Menge ist unruhig, überall unwilliges Gemurmel. Will er jetzt Gott werden, dieser Rbespierre? Der erste Mann der Republik ist blass und angespannt. Er weiß, seine Gegner werden immer mehr.

Nur zwei Tage nach dem Fest ist die Guillotine wieder in Betrieb, täglich sterben um die 50 Menschen. Angst geht um. Endlich, Ende Juli, steht der Konvent, das Parlament der Republik, gegen Robespierre auf. Er wird verhaftet, tags darauf stirbt er, 36 Jahre alt, unter dem Fallbeil. Die Werte der Französischen Revolution stehen noch immer für den Beginn einer neuen Zeit und den Fortschritt der Menschheit. Ob es, historisch betrachtet, unausweichlich war, dass Robespierre für sie gemordet hat, ist bis heute umstritten.


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