Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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7. September 1888 Baby Edith Eleanor McLean als erstes Kind im Brutkasten

Anfang des 20. Jahrhunderts überlebten noch 15 Prozent der zu früh geborenen Babys. Heute sind es über 85 Prozent. Dank eines Geräts, das ursprünglich entwickelt wurde, um Hühnereier auszubrüten. Autorin: Christiane Neukirch

Stand: 07.09.2016 | Archiv

07 September

Mittwoch, 07. September 2016

Autor(in): Christiane Neukirch

Sprecher(in): Caroline Ebner

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Was am Anfang war: die Henne oder das Ei, ist bis heute ungeklärt. Klar ist: das Ei war lange das Konzept der Wahl, um den Nachwuchs auf das Erdendasein vorzubereiten. Ein geniales Konzept, zweifellos, aber auch eines mit Risiken: das Ei kann kaputtgehen, überhitzen, auskühlen - oder auch von Dritten zum Frühstücksei umfunktioniert werden. Es erfordert also Betreuung, muss bebrütet und bewacht werden. Wie weit all das eine Rolle gespielt hat, als vor 66 Millionen Jahren ein Meteorit die eierlegenden Dinosaurier auslöschte, ist ebenfalls ungeklärt. Klar ist wiederum: Als Sieger aus diesem Desaster gingen die Säugetiere hervor. Jene Lebewesen also, deren Nachwuchs in ihrem Inneren heranwächst, bis er reif ist für das Leben. So lange sind Mutter und Kind mobil für Flucht vor dem Fressfeind, Nahrungserwerb oder Freizeit.

Bei Mama an Bord

Das Säugetier Mensch braucht bekanntlich rund neun Monate, um sich für die Welt zu rüsten. Die Erde ist nämlich ein gefährliches Pflaster. Da gibt es zum Beispiel Sauerstoff, für dessen Verarbeitung man eine ausgereifte Lunge braucht; es gibt angriffslustige Keime, und es gibt Kälte. Nicht immer schafft es ein Kind, bei seiner Geburt dafür bereit zu sein: Knapp 10 Prozent der Menschheit wird vorzeitig ins Leben geworfen. Heute haben sie einen Namen: Frühchen. Früher, das heißt bis weit ins 19. Jahrhundert, hatte man für sie kein Wort. Denn allzu viele Kinder starben kurz nach der Geburt, dahingerafft von verschiedensten Umständen, denen die damalige Medizin wenig entgegenzusetzen hatte. Daher ahnte man noch nicht, dass die Frühchen eine hoffnungstragende Sonderrolle spielen könnten.

Wie soll das denn gehen?

So belächelte man zunächst die Idee des französischen Geburtshelfers Etienne Tarnier. Jener hatte um 1880 nach dem Vorbild von Wärmeboxen zum Ausbrüten von Hühnereiern einen Brutkasten für unreife Menschenbabys entworfen.

Sie ersetzten die Wärme des Mutterleibs. Während in Frankreich noch verschiedene Patente ausprobiert wurden, baute der New Yorker Arzt Dr. William Deming das erste Gerät in den USA. Am 7. September 1888 hatte es seinen ersten Einsatz: an diesem Tag kam Edith Eleanor McLean zur Welt. Sie wog nur 1106 Gramm - selbst für heutige Verhältnisse ein extremes Leichtgewicht: Babys unter 1500 Gramm gelten bis heute als Risikofälle. Edith hatte Glück: sie überlebte mit Hilfe des Brutkastens. Ihr Fall bildete den Anfang einer Erfolgsgeschichte: Heute überleben viele Frühchen im sogenannten Inkubator, dessen moderne Variante natürlich mehr kann als nur wärmen. Er regelt Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Sauerstoff- und Medikamentenzufuhr. Nur eines kann er nicht: den Körperkontakt zu den Eltern ersetzen.

Wie wichtig Berührung für die Frühchen ist, fand man erst in den 1980er Jahren durch Zufall heraus. In Kolumbien band man aus Mangel an Brutkästen Frühgeborene mit Decken auf den Körper von Mama oder Papa. Vorbild dafür war ein weiteres Tiermodell: das Känguru. Der Erfolg war messbar. Atmung und Herzschlag der Kinder beruhigten sich sofort, und auch den Eltern tat es gut. Die Känguru-Methode importierte man prompt nach Europa, als Ergänzung zum Brutkasten. Seither ist die Überlebensrate der ganz Kleinen noch einmal stark gestiegen.


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