Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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3. November 1958 DDR bringt Plaste auf den Weg

Während der Westen zu Tupper-Parties lud und dort Salatschüsseln oder Frischhaltedosen diskutierte, setzte der Osten auf die umfassende Plastifizierung ziemlich aller Lebensbereiche. Autorin: Prisca Straub

Stand: 03.11.2015 | Archiv

03 November

Dienstag, 03. November 2015

Autor(in): Prisca Straub

Sprecher(in): Andreas Wimberger

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Butterdose, Zitronenpresse und stapelbares Tafelgeschirr - leicht und bruchfest. Aber nicht aus Porzellan - sondern aus Kunststoff! Porzellan imitierendes Plastik war in der DDR eine Frage des politisch korrekten Lebensstils: "Plaste und Elaste aus Schkopau" galt als formschön, zweckmäßig und fortschrittlich: "Vergesst die tausend kleinen Dinge nicht!", mahnte ein Ratgeber junge Paare, die dabei waren, einen eigenen Plattenbau-Haushalt zu gründen - und präsentierte Vorratsdosen, Gewürzbehälter und Eierbecher - von glasklar bis leuchtend orange. "Plastikgeschirr auf der gedeckten Tafel, selbst wenn Gäste kommen!" Das zeugte von der rechten sozialistischen Gesinnung.

Plastikdosenfrisch auf den Tisch

Der Siegeszug der"kleinen Alltagsbegleiter" aus dem "Zauberreich der Chemie" kam nicht von ungefähr: Auf der Chemiekonferenz in Leuna mit Auftakt am 3. November 1958 hatte SED-Parteichef Walter Ulbricht die Losung ausgegeben: "Chemie gibt Brot, Wohlstand und Schönheit". Das Ziel: Den westdeutschen Klassenfeind bei der Produktion von Konsumgütern zu überflügeln. Und weil es der DDR an nahezu allen natürlichen Werkstoffen mangelte - Baumwolle, Holz, Glas, Metall - wurde die schöne, neue Plaste-Welt zur Überlebensfrage des Sozialismus.

Schon wenige Jahre später umfasste die Plastifizierung so gut wie alle Lebensbereiche: Der DDR-Muster-Genosse kaufte Geschirr im Plaste-Fachgeschäft, lebte in Schichtmöbeln und trug Polyester-Mode. Die Fernsehshows priesen die Überlegenheit der neuen Materialien: "Mit dem Plast auf Du und Du!" Zeitschriften gaben Tipps für den richtigen Umgang: "Seien Sie nett zu den Plasten! - Also: Nicht mit Scheuersand reinigen! - Und erhitzen? Nicht über 60 Grad!" Wer seine Suppe lieber aus Keramik löffelte, Baumwolle am Leib hatte und sich mit Holzmöbeln umgab, erregte leicht den Argwohn der Stasi. 

"Freund Plaste"

Trotzdem hatten die Alleskönner aus Kunststoff nie einen wirklich guten Ruf - und das, obwohl sogar namhafte Designer Hand angelegt hatten. Warum? Weil die Kunststoff-Schraubverschlüsse so häufig zu Bruch gingen und der gepunktete Saftbecher leicht unangenehm roch? Oder weil die Feinstrumpfhose "Dederon" - ein Produktname, der von "D-D-R" abgeleitet war - eben doch nicht so fein war wie das westliche Konkurrenzprodukt aus Perlon?

Eins ist zumindest sicher: Die "farbenfrohen Leichtgewichte" waren teuer erkauft und die Industriestandorte Leuna, Buna und Schkopau berüchtigt. Die braunkohlebasierte Chemie hatte sie in eine einzige Giftküche verwandelt und Flüsse und Grundwasser nachhaltig verseucht. Menschen kurbelten ihre Autofenster hoch, wenn sie durch die Region fuhren. Wäsche wurde von der Leine geholt, wenn der Wind ungünstig stand. Der rußige Rauch lastete schwer auf der DDR.

Inzwischen hat der Westwind den Gestank vertrieben. Gras wächst über den Umweltkatastrophen von damals. Zander und Hecht ziehen wieder flussaufwärts. Und die "tausend kleine Dinge"? Einst hatten sie staatstragende Funktion und kündeten von Stolz und Optimismus der jungen DDR. Vom Pathos der Plaste ist nicht viel übrig geblieben. Doch halt: Ostalgiker und sogar Museen reißen sich inzwischen um Apfelreiben und Nachttöpfe, die die Zeiten heil überstanden haben. Zum Verwenden heute - viel zu schade!


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