Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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3. November 1906 Alois Alzheimer beschreibt ein Krankheitsbild

Die Erkrankung war rätselhaft, aber Alois Alzheimer forschte und fand eine Erklärung: Am 3. November 1906 beschrieb der Psychiater, warum einige seiner Patienten ihr Gedächtnis verloren hatten.

Stand: 03.11.2014 | Archiv

03 November

Montag, 03. November 2014

Autor(in): Christiane Neukirch

Sprecher(in): Johannes Hitzelberger

Illustration: Angela Smets

Redaktion: Thomas Morawetz

"Ich habe mich sozusagen selbst verloren." Diese Erkenntnis war der Frau, die im Jahr 1901 im Praxiszimmer von Alois Alzheimer erschien, als einzige Klarheit geblieben. Besser hätte sie nicht ausdrücken können, was mit ihr geschehen war. Ansonsten war Auguste Deter völlig verwirrt. Ihr Mann hatte sie zu dem berühmten Psychiater gebracht, weil sie im Laufe eines Jahres so orientierungslos geworden war, dass sie nicht mehr in der Lage war ihr Leben zu meistern. Auf die Frage des Arztes: "Wie heißen Sie?" antwortete sie korrekt: "Auguste"; aber diese Antwort gab sie auch, als er sie nach dem Namen ihres Mannes fragte. Oft vergaß sie mitten im Satz, worum es ging.

Verschwundene Gehirnzellen und Ablagerungen

Es war nicht das erste Mal, dass Alzheimer mit so extrem verwirrten Menschen zu tun hatte; schließlich war er schon 13 Jahre in der "Städtischen Anstalt für Irre und Epileptische" tätig. Doch alle anderen waren ältere Menschen gewesen; und er hatte den geistigen Abbau ihrem hohen Alter zugeschrieben. Auguste Deter aber war 51 Jahre alt.

Alzheimer konnte ihr nicht helfen, aber ihr Schicksal beschäftigte ihn nachhaltig. Als sie 1906 starb, ließ er sich ihr Gehirn schicken, um der Ursache ihres Leidens auf den Grund zu gehen. Dort, in den Windungen der Nervenbahnen, fand er sie: Ein großer Teil der Gehirnzellen war verschwunden, auf dem Rest hatten sich Ablagerungen einer weißen Substanz gebildet, so genannte Eiweiß-Plaques, die den Kontakt zu den Nachbarzellen blockierten.

Am 3. November 1906 stellte er seine Entdeckung in der "Versammlung Südwestdeutscher Irrenärzte" in Tübingen vor. Das Protokoll der Veranstaltung vermerkt: "Kein Diskussionsbedarf". Waren die Zuhörer so erschüttert, dass ihnen keine Fragen einfielen? Oder kam ihnen Alzheimers Entdeckung so exotisch vor, dass sie ihnen tatsächlich nicht wichtig erschien?

"Abenddämmerung des Lebens"

Letzteres ist möglich - denn die nach ihm benannte Krankheit kommt vorwiegend bei Menschen über 65 zum Vorschein; und dieses Alter erreichte Anfang des
20. Jahrhunderts nur ein sehr kleiner Teil der Bevölkerung. Heute ist sie nach Herzinfarkt, Krebs und Schlaganfall die vierthäufigste Todesursache - und vielleicht die, die den größten Schrecken verbreitet: die "Krankheit des Vergessens", durch die der Mensch vor allem einen geistigen Tod stirbt. Niemand ist vor ihr sicher, sie eint Unbekannte und Prominente. 1994 schrieb der ehemalige amerikanische Präsident Ronald Reagan in einem Brief an die Nation:
"Man hat mir vor kurzem gesagt, dass ich einer von Millionen Amerikanern mit der Alzheimerschen Krankheit bin. Ich beginne jetzt die Reise in die Abenddämmerung meines Lebens aber ich weiß, dass es für Amerika immer einen lichten Morgen geben wird."

Dank Alois Alzheimer wissen die Forscher zumindest, wo sie ansetzen können, um diesen Millionen Betroffenen zu helfen. Auch wenn noch kein Mittel gefunden ist, die Krankheit zu heilen, hofft man darauf, sie mit Medikamenten aufzuhalten. Jedes Lebensjahr, das ihr abgetrotzt wird, ist ein Gewinn: Je später die ersten gravierenden Symptome auftreten, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Betroffenen an Altersschwäche sterben, ehe die Krankheit sie im Griff hat.
Zwei Jahrzehnte Aufschub würden das Leiden also wieder zu einer Randerscheinung machen. Dann hätten Alzheimer und seine Patientin der Menschheit wahrhaft einen lichten Morgen geschenkt.


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