Bayern 2 - Hörspiel

Robert Lax

Hörspiel Pool Robert Lax

Stand: 30.11.2015

Zeit für Lax

Robert Lax

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War er ein Vorläufer der nordamerikanischen Beat Generation, inspirierte er sie? Robert Lax, der am 30. November 1915 in Olean, New York, geborene Sohn österreichischer Juden aus Krakau, war mit ihren wichtigsten Dichtern persönlich bekannt – Jack Kerouac, mit dem er korrespondierte, William S. Burroughs, der cut-up-Autor, Junkie und Waffennarr, den er eher mied, und Allen Ginsberg, zu dem Lax bei namentlicher Erwähnung zuallererst eine Begegnung in Marseille einfiel: wie Ginsberg, dessen Freund Peter Orlovsky und Lax sich einmal im dortigen Bahnhof begegneten und aus Geldmangel gemeinsam ein Eis mit drei Löffeln bestellten.

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Die Beat-Poetenund Robert Lax, sie alle waren Außenseiter, verbunden in ihrer Ablehnung des amerikanischen Lebensstils und ihrer Abwendung von gesellschaftlicher Konvention, von Geld- und Karrieredenken. Sie waren Sinnsuchende, die auf unterschiedliche Weise ihre existenziellen Auswege und ihre künstlerischen Ausdrucksformen entwickelten. „Damals“ – gemeint sind die 1950er Jahre – „rebellierte man nicht“, erinnerte sich Burroughs. Für ihn bedeutete die Beat Generation eine „kulturelle Revolution“. Für Ginsberg war sie dagegen eine „spirituelle Befreiungsbewegung“. Hier war schon eher ein Anknüpfungspunkt für Lax  gegeben. „Protest und Widerstand – das lag Robert Lax nicht“, konstatierte seine Biografin Sigrid Hauff.

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Robert Lax studierte in den 1930er Jahren an der Columbia University in New York englische Literatur bei Mark van Doren. Hier schloss er Freundschaften mit dem späteren Religionsphilosophen und Trappistenmönch Thomas Merton und mit dem Maler und Kunsttheoretiker Ad Reinhardt, zusammen gaben sie die Zeitschrift Jester heraus. „Ad Reinhardt war Reduktionist wie ich. In diesem Bereich haben wir uns sehr gut verstanden“, so Lax. Mit Merton verbanden ihn hingegen mystisch-religiöse Interessen. Thomas Merton konvertierte 1939, Lax vier Jahre später zum Katholizismus. Merton porträtiert seinen Freund Lax als „eine Art Verbindung von Hamlet und Elias. Ein Prophet in potentia, aber ohne Zorn, ein König, aber auch ein Jude. Ein Geist mit wundervollen, subtilen Eingebungen.“

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Lax schriebfür die The New Yorker, Time und Parade , verfasste Drehbücher für Hollywood, reiste mit dem Zirkus Cristiani durch Westkanada, gründete mit Ed Rice die Zeitschrift Jubilee, veröffentlichte erste Gedichtbände, bereiste Frankreich, Italien und Griechenland und verließ schließlich New York, um von 1963 an in Griechenland zu bleiben. Diesem Bedürfnis, weg von der Großstadt hin zur klassischen, elementaren Landschaft,  folgte er ohne eine Zeitvorstellung, ohne den Plan einer dauerhaften Ferne von Amerika. Er lebte als Dichter und Eremit bis kurz vor seinem Tod auf den Inseln Kalymnos und Patmos. „Im Zeichen der ‚Beschränkung auf das Wesentliche‘ steht das mönchisch einfache Leben, das Robert Lax führt“, schrieb Sigrid Hauff nach einem Patmos-Besuch: „Das kleine Haus mit Blick auf den Hafen von Skala, wo er heute lebt, liegt am Rand des Ortes auf halber Höhe und ist ein typisches griechisches Inselhaus, ein weißgekalkter Kubus mit blau gestrichener Tür und blauen Fensterläden. Es ist ans Nachbarhaus angebaut und besteht aus einem Zimmer, einem zweiten ganz schmalen Raum, in dem nur ein Bücherregal Platz hat, Küche und Bad. Dem Wohn-Schlafraum sieht man an, dass da geschrieben wird. Nur das Allernotwendigste hat Anrecht auf einen Platz.“

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Lax, von vielen Freunden besucht, verbrachte seine Zeit auf Patmos skizzierend, zeichnend, korrespondierend, Notizbücher und Zeichenblöcke füllend. „Ich kämpfe nicht für Eleganz. Ich versuche, Dinge so einfach wie möglich auszudrücken. Ich schreibe erste Entwürfe und lasse sie normalerweise unverändert.“ Er war kein Dichter, der sich einem eigenen Werk verschrieb. Ein solches entstand zwar im Lauf seines Lebens, aber jenseits vom Literaturbetrieb. Seine Bibliothek hätte sich auf Homer, Dante, Joyce, Chaucer, Rabelais, Valéry, die Psalmen von David und die Haikus von Bashō beschränken lassen. Mit der literarischen und philosophischen Moderne, mit Stein, Beckett, Cummings oder auch Wittgenstein vertraut, entwickelte er originäre, unverwechselbare poetische Schreibweisen; typographische Eigenheiten, explizite Farbgebungen, vertikale Wort- und Silbengruppen, die das Auge dazu bringen, ein Wort nach dem anderen zu erfassen, an Litaneien erinnernde Aufzählungen und Repetitionen ließen eine Form des Minimalismus entstehen, in der sich Laxʼ eigene, wesentliche Erfahrungen der Transzendenz widerspiegeln – diese Dichtung zeugt von einer Konkretheit inneren Schauens, die nur auf den ersten Blick mit der Konkreten Poesie verwandt erscheint. Lax selbst bezeichnete seine Poesie als abstrakt.

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Der Vortrag – fast gerät man in Versuchung „die Intonation“ zu sagen – der eigenen Gedichte, die monotonen Repetitionen, die natürlichen Pausensetzungen, der vom eigenen Atem bestimmte Rhythmus und die Stimme des Autors selbst erzeugen eine meditative, musikalische Artikulation, die eine Hörerin, einen Hörer ganz für sich einzunehmen vermögen. Oder wäre es stimmiger von Gesängen zu sprechen? Kompositorisch könnten Verbindungslinien zu John Cage gezogen werden, vor allem aber sind jene zum Jazz hervorzuheben, von Billie Holiday bis Jeanne Lee und Steve Lacy. Wichtig waren Lax Erkenntnis, Spiel und die Idee, Visionen in klaren, einfachen Formen mitzuteilen. „Wie soll man zwischen Gedichten und Übungen unterscheiden? Ich bin mir da nicht sicher. In der Musik haben Übungen Tradition. Man muss sich bereithalten für die Einfälle, die des Wegs kommen.“ Warten, beobachten, notieren. In zahlreichen Publikationen in Kleinstauflagen erschienen Laxʼ Gedichte, autobiografische Fragmente, Tagebuchaufzeichnungen. Diese Veröffentlichungen gingen überwiegend auf Freunde zurück, die den Dichter besuchten und aus dessen Skizzenbüchern Texte auswählten: „Fast alle meine Bücher wurden von Leuten herausgegeben. Der Enthusiasmus von Freunden verhalf den Büchern zum Leben.“

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Freunde waren es auch, die im Jahr 1990 eine Verbindung zur Hörspieldramaturgie des Bayerischen Rundfunks herstellten: Hartmut Geerken und Sigrid Hauff machten mich damals auf Robert Lax aufmerksam und ermöglichten eine erste Begegnung, als der Dichter sie in Wartaweil am Ammersee besuchte. Es war der Beginn einer fruchtbaren Zusammenarbeit. Im folgenden Jahrzehnt entstanden Hörspiele, Performances, Lesungen, Porträts von, mit und über Robert Lax. Geerken realisierte die Produktionen erwartet bobo sambo ein geräusch? erwartet er eine stimme? (1990), bobʼs bomb (1993), the family (1995). Im BR-Studio nahm Geerken mit Lax mehrere Lesungen auf, darunter 21 pages (1994) und sun ra notes & numbers (1994). In diesen Studioterminen las Lax auch jene Gedichte, die später auf der von Katarina Agathos mitherausgegebenen Doppel-CD wake up. re: lax (2003) bei intermedium rec. erschienen. Sigrid Hauff verfasste die Porträts is was – was is (1990) und Die innere Biografie des Robert Lax (1995), die auch Grundlage des Buchs Eine Linie in drei Kreisen / a line in three circles (1999) im Belleville Verlag wurde. Die Filmemacher Nicolas Humbert und Werner Penzel, die den Film step across the border über Fred Frith produziert hatten, hörten eines Nachts im Radio auf Bayern 2 Robert Lax und beschlossen, von dessen Stimme und Vortrag in Bann gezogen, einen Film über den Dichter zu drehen.

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Aus dem Film wurde indes eine Installation: „Three Windows ist ein Kino-Raum im Museumskontext,“ schrieb Guido Magnaguagno dazu: „Ein leerer, schwarzer Raum mit drei Bild-‚Fenstern‘ in Form von Video-Grossbildleinwänden. Auf diesen laufen gleichzeitig als 45-minüte Endlosbänder drei verschiedene Filme ab, aus denen eine gemeinsame Erzählung entsteht. In ihrem Zentrum steht Robert Lax, den sie im Zeitraum von 1993 bis 1999 jedes Jahr für einige Wochen besucht haben. Three Windows ist der Versuch, dem Dichter und dem Dichten auf die Spur zu kommen. Aber auch seiner Philosophie, seiner Lebensform.“

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Three Windows. Hommage à Robert Lax wurde produziert von Cinenomad München, BR Hörspiel und Medienkunst, Kunsthaus Zürich, Haus der Kunst München, P3 art & environment Tokyo, Kiasma Museum of Contemporary Art Helsinki und bei zahlreichen Ausstellungen und Festivals gezeigt. Als Koproduktion von Cinenomad und BR Hörspiel und Medienkunst entstand weiter Humberts und Penzels, von arte gesendeter Film why shoud I buy a bed when all that I want is sleep (1999), und bei Belleville erschien die vom Bayerischen Rundfunk / Hörspiel und Medienkunst herausgegebene Multimedia-Box robert lax mit CDs, Video, Buch, Katalog und Lithographie.

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Die letzte Lesung, the hill, deren Erstsendung zum 100. Geburtstag des Dichters am 30. November 2015 im hör!spiel!art.mix zu hören war, nahm Sigrid Hauff im Spätsommer 1999 in Patmos auf. Im September 2000 verstarb Robert Lax in Olean, New York, nachdem er kurz vorher von der griechischen Insel Patmos zurückgekehrt war. „Was ihm an den Inseln gefiel? Was ihn bleiben ließ?“, fragte Hauff ein Jahr zuvor: „Er fand auf diesen Inseln fern der Hektik unserer Zeit eine heile Welt, so etwas wie einen Entwurf von Utopia, ein irdisches Paradies.“ Lesen wir diese Zeilen heute, sind es Zeilen aus einer anderen Zeit, und auch das Griechenland des Robert Lax gehört einer vergangenen Welt an. „Ich glaube an ein Überleben nach dem Tod“, sagte William S. Burroughs einst. Ich glaube, Robert Lax hätte darüber herzhaft gelacht.

Herbert Kapfer