Bayern 2 - Bayerisches Feuilleton


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Die Bohème im Süden Leben am Monte Veritá

Der Monte Verità bei Ascona im Schweizer Tessin war vor 100 Jahren der Sehnsuchts- und Zufluchtsort für Lebensreformer, Spinner und Utopisten, Künstler und Schriftsteller. Auch und vor allem die Münchner Bohème wurde von dem Ort magisch angezogen. Ulrike Voswinckel erinnert an einige typische Biografien zwischen Schwabing und dem sogenannten "Schwabing von Schwabing" …

Von: Ulrike Voswinckel

Stand: 15.03.2014 | Archiv

Blick auf Ascona am Lago Maggiore mit Teilansicht des Monte Veritá | Bild: picture-alliance/dpa

Der Monte Verità, am Lago Maggiore im Schweizer Tessin gelegen, war zu Anfang des letzten Jahrhunderts ein bekannter Name und ein Symbol: für Stadtflüchtige, für Vegetarier, für Theosophen, für Anarchisten, für Spinner und Alternative ebenso wie etwas später für Künstler und Schriftsteller. Kaum ein anderer Ort hat so viele neue Lebensentwürfe inspiriert oder ist zur Projektionsfläche von Utopien geworden wie der Monte Verità und seine nähere Umgebung.

Die Schwabinger Bohème machte sich auf den Weg nach Ascona

Erich Mühsam

Erich Mühsam war einer der ersten, der die Kunde von der Aussteigerkolonie in der Schwabinger Caféhaus-Gesellschaft verbreitete und z.B. die Gräfin Reventlow dazu überredete, in Ascona am Monte Verità eine Scheinheirat mit dem baltischen Baron Rechenberg einzugehen. Oder Oskar Maria Graf: Er machte sich mit Georg Schrimpf zusammen auf den direkten Weg nach Ascona, als er sein hartes Arbeiterleben zugunsten des Schreibens hinter sich lassen wollte. Dort traf er auf den Anarchistenfürsten Kropotkin. Aber mit den "Verdauungsphilistern und Naturtrotteln" wollte er nichts gemein haben. Barfuß-Propheten wie Gusto Gräser waren zwischen dem Monte Verità und München unterwegs. Der Tänzer und Choreograph Rudolf von Laban verlagerte seine Münchner Tanzschule im Sommer 1913 auf den Monte Verità und erarbeitete dort zusammen mit seiner Schülerin Mary Wigman die Grundlagen für den Ausdruckstanz, der nach dem ersten Weltkrieg Triumphe feierte.

"Da habe ich auch erzählt, wie nach und nach aus dem Refugium einiger Individual-Ethiker als Dependance ein ethisches Kollektiv-Etablissement hervorwuchs, die Heil- und Erholungsanstalt 'Monte Verità', für die ich, da man dort mit nichts als rohem Obst und ungekochtem Gemüse gefüttert wurde, den Namen 'Salatorium' in Umlauf brachte. Über die Gäste (...) habe ich mich recht mißmutig geäußert; ich nannte sie die 'ethischen Wegelagerer mit ihren spiritistischen, theosophischen, okkultistischen oder potenziert vegetarischen Sparren'."

(Erich Mühsam, 'Ascona. Eine Broschüre')

Schriftsteller und Maler auf dem Monte Veritá

Die Schweiz wurde zum Zufluchtsort vor dem Krieg

Eine ganze Reihe von Künstlern, die bis zum Ersten Weltkrieg in München gelebt hatten, flüchtete in Kriegszeiten in die liberale Schweiz und zog dann nach Ascona zum Monte Verità, so z.B. der Dichter Hugo Ball und die Kabarettistin und Dichterin Emmy Hennings, die Maler Marianne von Werefkin und Alexej von Jawlensky, die mit Kandinsky und Franz Marc in München den Aufbruch in die Moderne vorbereitet hatten, der Schriftsteller Leonhard Frank und der Maler Richard Seewald.

Buchtipp:

Freie Liebe und Anarchie: Schwabing - Monte Verità.
Entwürfe gegen das etablierte Leben


  • Autor: Ulrike Voswinckel
  • Taschenbuch: 184 Seiten
  • Verlag: Buch & Media (1. Juli 2009)
  • ISBN-10: 3869060271
  • ISBN-13: 978-3869060279

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