Bayern 2 - Bayerisches Feuilleton


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Gisela Elsner Eine literarische Femme fatale

Ihre scharfzüngigen, bissigen Kommentare zur satten bundesrepublikanischen Wirklichkeit der 60er und 70er Jahre trugen ihr zunächst Preise und Anerkennung ein. Aber die 1937 geborene Schriftstellerin mit der dramatischen schwarzen Mähne, Tochter einer wohlsituierten Nürnberger Familie, etablierte sich nie, weder privat noch beruflich. Im Mai 1992 hat sie sich das Leben genommen. Am 2. Mai dieses Jahres wäre sie 80 Jahre alt geworden.

Von: Justina Schreiber

Stand: 29.04.2017 | Archiv

Gisela Elsner, 1980 | Bild: Brigitte Friedrich/Süddeutsche Zeitung Photo

"Ich pfeife doch auf dieses Gleichmaß. Lieber gehe ich an meinen Anfällen zugrunde, als dass ich versuche ein harmonischer Mensch zu sein. Dann soll doch alles übersteigert werden, krankhaft sein, ins Absurde gehen."

(Gisela Elsner)

Das kleine Leben der Spießer und Möchtegerne

Schon der Titel ihres ersten Romans war Programm: "Riesenzwerge", veröffentlicht im Jahr 1964. Vor allem in ihren frühen satirischen Texten steigerte Gisela Elsner das kleine Leben der Spießer und Möchtegerne gekonnt ins Hysterisch-Monströse. In "Die Zähmung" verkümmert ein Gatte zum geschlechtsneutralen Putzteufel; in "Der Nachwuchs" verausgabt sich ein Ehepaar in atemlosen Treibjagden nach den Selbstverständlichkeiten des alltäglichen Lebens.

"Diese rechtschaffenen Heuchler; diese fetten, behäbigen, unbequemen Wohlleber. Dieses elende Pack!"

(Gisela Elsner)

Das Dritte Reich und dessen mangelhafte Aufarbeitung

Gisela Elsner Anfang der 60er Jahre in ihrer Wohnung in Rom

Gewalt, Macht und Unterdrückung, das sind die großen Themen hinter Gisela Elsners ideologisch eingefärbter Kapitalismuskritik. Mal eher unterschwellig dargestellt, wenn es sich etwa um die privaten Strukturen im Hause Keitel, Dittchen oder Stief handelt. Offener, wenn es um gesellschaftliche Mechanismen geht, um das Dritte Reich etwa und dessen mangelhafte Aufarbeitung.

Politisch enttäuscht und von Verfolgungswahn gequält

Gisela Elsners "böser Blick fürs Detail", ihre bissigen Kommentare zur satten bundesrepublikanischen Wirklichkeit der 60er und 70er Jahre trugen ihr Preise und Anerkennung ein. Aber die Schriftstellerin konnte nicht halten, was sie versprach. Ihre späteren Werke wirkten allzu konstruiert und manieriert. Es gelang ihr weder beruflich noch privat, sich zu etablieren. Die erklärte Kommunistin, die zeitlebens nicht von ihrer radikal antibürgerlichen Haltung abrückte, beging 1992 Selbstmord. Politisch enttäuscht und von Verfolgungswahn gequält mangelte es ihr an jeglicher Perspektive.

Der todbringende Sturz als Erlösung

Am 13. Mai 1992 springt Gisela Elsner aus dem 5. Stock einer Münchner Privatklinik. Nach einem Zusammenbruch auf offener Straße war sie dort am Vortag eingeliefert worden. Die 55-jährige Schriftstellerin hatte nach wie vor unermüdlich produziert, stand jedoch ohne Verlag da, der sie noch publizieren wollte. Zudem fehlte ihr nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Staatssysteme die politische Heimat. In der Klinik stand sie nun auch noch vor der Wahl, entweder die Zigaretten, ihren allerletzten Halt, aufgeben zu müssen oder ihre Beine zu verlieren.

Gisela Elsner (1970)



Sie entschied sich für den todbringenden Sturz. Ein Schritt, den sie in ihren Texten schon zigmal vorweggenommen hatte. Als 20‑Jährige zum Beispiel in den Briefen an den späteren (ersten) Ehemann Klaus Roehler.

"Alles ist so widerwärtig - Du sagst: mit der Wirklichkeit fertig werden - ich kann es nicht, und bald werde ich so weit sein, das ich es nicht mehr will."

(Gisela Elsner)

Wegbereiterin einer weiblichen Tradition moderner Satire

Justina Schreiber porträtiert eine solitäre Erscheinung. Gisela Elsner kann trotz ihres "brüchigen" Oeuvres als Wegbereiterin einer weiblichen Tradition moderner Satire gelten. Am 2. Mai dieses Jahres wäre sie 80 Jahre alt geworden - und der 13. Mai ist ihr 25. Todestag.

Buchtipps:

"Flüche einer Verfluchten: Kritische Schriften 1" (Gisela Elsner Werkausgabe)

  • Autorin: Gisela Elsner
  • Herausgeberin: Christine Künzel
  • Mitwirkender: Kai Köhler
  • Taschenbuch: 416 Seiten
  • Verlag: Verbrecher; Auflage: 1 (1. März 2011)
  • ISBN-10: 3940426628
  • ISBN-13: 978-3940426628


"Heilig Blut" (Gisela Elsner Werkausgabe)

  • Autorin: Gisela Elsner
  • Herausgeberin: Christine Künzel
  • Taschenbuch: 256 Seiten
  • Verlag: Verbrecher; Auflage: 1 (1. März 2007)
  • ISBN-10: 3935843828
  • ISBN-13: 978-3935843829


"Die letzte Kommunistin: Erinnerungen an die Autorin Gisela Elsner"

  • Autoren: Christine Künzel, Elfriede Jelinek, Chris Hirte, Bernhard Jahn, Tjark Kunstreich, Carsten Mindt, Evelyne Polt-Heinzel, Werner Preuss
  • Taschenbuch: 144 Seiten
  • Verlag: KVV Konkret; Auflage: 1 (10. September 2009)
  • ISBN-10: 3930786567
  • ISBN-13: 978-3930786565

DVD-Tipp:

Hannelore Elsner mit dem Plakat zum Film "Die Unberührbare", in dem sie Gisela Elsner darstellt

"Die Unberührbare"
(Edition Deutscher Film)

  • Darsteller: Hannelore Elsner, Vadim Glowna, Jasmin Tabatabai, Lars Rudolph, Michael Gwisdek
  • Komponist: Martin Todsharow
  • Künstler: Tabea Braun, Sibylle Hubatschek-Rahn, Manfred Banach, Isabel Meier, Birgit Kniep, Martin Schlüter, Käte Caspar, Ana Davila, Hagen Bogdanski, Oskar Roehler, Ulrich Caspar
  • Anzahl Disks: 1
  • Studio: STUDIOCANAL
  • Erscheinungstermin: 16. Oktober 2009
  • Produktionsjahr: 2000
  • Spieldauer: 104 Minuten
  • ASIN: B002LEZ2S8

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