Bayern 2 - Bayerisches Feuilleton


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Furor Bavariae Protestkultur in Bayern

Es gibt sie wirklich, die „Résistance Bavaroise“. Die bayerische Variante der Widerstandsbewegung. Bayern mandeln sich nur nicht gleich so auf wie Franzosen, Kubaner oder Berliner. Sie lassen ihre Obrigkeit ziemlich lange gewähren, so lange sie die Liberalitas respektiert. Wehe aber, wenn sie sich als selbstherrliche Staatsmacht geriert, dann setzt es aus, egal um was es sich handelt.

Von: Joana Ortmann

Stand: 16.06.2012 | Archiv

Schwabinger Krawalle (1962) | Bild: picture-alliance/dpa

Was bringt den Bayern in Rage? So gut wie nix. "Wir brauchen keine Opposition, weil wir sind schon Demokraten" – so hat Gerhard Polt das mal auf den Punkt gebracht. Aber sobald die Liberalitas Bavariae in Gefahr ist, setzt es aus mit der Demokratie: Wenn das Bier zu teuer wird zum Beispiel – wie im Mai 1844, als mehrere tausend Bürger im Zuge der legendären "Bierunruhen" die Brauereien stürmten und alles verwüsteten, was nicht niet- und nagelfest war.

Vor 50 Jahren entbrannten die "Schwabinger Krawalle"

Die "Schwabinger Krawalle" (1962)

Oder wenn die Ordnungsmacht ihre Kompetenzen überschreitet – wie 1962, als wild gewordene Polizisten eine Gruppe von Straßenmusikern nieder knüppelten, damit sie aufhören zu spielen: der Beginn der Schwabinger Krawalle, heuer vor 50 Jahren.

Waren die "Schabinger Krawalle" der erste Funke der 68er-Revolten?

Wie fügen sich die Schwabinger Krawalle in die bayerische Protestgeschichte? Im Nachhinein werden sie ja gern als erster Funke der 68-Revolten gesehen. Aber sowohl Form als auch Inhalt des Protests, wie und gegen was demonstriert wurde, unterscheiden sich gewaltig. Und die Krawalle waren auch kein kollektives Schlüsselerlebnis. Dazu war die damals protestierende Jugendszene viel zu heterogen. Die Halbstarken aus der Unterschicht waren dabei, aber auch eine Untergruppe der Halbstarken, die Rocker, die vom Moped aufs Motorrad umstiegen zwecks Steigerung des Balzfaktors. Außerdem die „Exis“, die Existentialisten und die Nonkonformisten, v.a. Oberschüler und Studenten zählten sich dazu, mit ausgeprägter Vorliebe für Sartre und Jazz. Und: Die kleine Gruppe der Gammler, die mit dem kompletten Ausstieg aus der Gesellschaft kokettierten. Schließlich jene, die sich „Teenager“ nannten und auf Peter Krauss und Rock’n Roll standen. Selbst die 68er Bewegung hat nie ein so breites Spektrum vereint. Trotzdem zeigte sich bei den Schwabinger Krawallen erstmals das Potential des Widerstands, das nur wenige Jahre später explodierte.

Auch Lenin war in Bayern

Wladimir Iljitsch Lenin | Bild: picture-alliance/dpa

Wladimir Iljitsch Lenin

Wer genauer hinschaut, wird feststellen: Bei den wirklich wichtigen Revolutionen war Bayern Avantgarde. Oder hätte Lenin sonst seine berühmte Schrift "Was tun?" um 1900 ausgerechnet in der Bayerischen Staatsbibliothek verfasst? Und wäre sonst auf bayerischem Boden die erste und einzige deutsche Räterepublik ausgerufen worden?

Legendäre Proteste gegen die WAA in Wackersdorf

Demonstration in Wackersdorf

Ganz zu schweigen von den jahrelangen Protesten gegen die WAA Wackersdorf, die ein für alle Mal das Klischee des maulfaulen, gottergebenen Oberpfälzers aus der Welt schafften. San mia am Ende Kubaner? Schmarrn. Mia san mia – und die Revolution spricht bayrisch. Hasta la victoria siempre, host mi?!

Buchtipp:

Gerhard Fürmetz, "Schwabinger Krawalle", Klartext Verlag (2006)

Gerhard Fürmetz (Hrsg.)
Schwabinger Krawalle Protest, Polizei und Öffentlichkeit zu Beginn der 60er Jahre;
Villa ten Hompel, Band 6 Villa ten Hompel, Schriften, Band 6 lieferbar, erschienen am 28.04.06 254 Seiten, zahlr. Abb.
ISBN: 978-3-89861-513-6


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