Bayern 2 - Bayerisches Feuilleton


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Cheese! Die Tyrannei des Lächelns

Lächeln ist angesagt! Wer sich in der ehemaligen "Servicewüste" Deutschland nicht ständig mega-freundlich, bombig gelaunt und absolut dienstwillig zeigt, hat keine Chance. Leben wir in einer Tyrannei der Herzlichkeit?

Von: Thomas Kernert

Stand: 07.09.2013 | Archiv

Lächeln | Bild: colourbox.com

Familienfreundlich, kinderfreundlich, seniorenfreundlich, tierlieb … Bayern ist Deutschlands Ferienregion Nummer eins, und wo Gäste sind, gehört Freundlichkeit zur Schlüsselqualifikation, Lächeln zum Prinzip.Doch nicht allein in Gastronomie und Hotellerie herrscht mittlerweile eine flächendeckende Tyrannei der Herzlichkeit, auch im Betrieb, im Büro und im Supermarkt geht ohne positive Emotionsarbeit nichts mehr. Die Karawane ist längst weitergezogen, von der einstmaligen "Servicewüste" in die neue kundenorientierte 24-hour-Dienstleistungsfreundlichkeit, made in Germany.

"Heute muss man einem Flug­zeugabsturz, einem Terroranschlag oder einer Naturkatastrophe beiwohnen, um nicht permanent von lächelnden Gesichtern umstellt zu sein. Das lächelnde Gesicht ist die Ikone unserer Zeit, der Fetisch unserer Tauschprozesse, der in unsere Gesichtsmusku­latur einprogrammierte Dress-Code. Am Anfang ist nicht mehr das Wort, die Tat oder der Glaube, sondern das Lächeln.  Politiker lächeln, Promis lächeln, Nachrichtenspre­cherinnen lächeln, Wurstfachverkäuferinnen lächeln, Psychotherapeuten lächeln, Mafia­bosse lächeln, Päpste lächeln, ja selbst die Kellnerinnen im Hofbräuhaus lächeln…"

Thomas Kernert

Strikte "Display rules", Darstellungsregeln, welche bestimmen, in welchen Situationen welche Personen welche Emotionen zeigen sollen, haben längst jede Form von emotionaler Authentizität untergraben. Wer nicht permanent grinst, wird schnell als Stinkstiefel oder Kotzbrocken geortet. Will heißen: Der bayerische Old-School-Grantler ist akut vom Aussterben bedroht.

Thomas Kernert berichtet über seine Probleme mit dem so genannten  "freundlichen Auftreten".


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