Bayern 2 - Bayerisches Feuilleton


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Hin & Her Bayern pendelt

Immer mehr Menschen im Freistaat zählen zu den Pendlern - allein im Großraum München sind es mittlerweile rund eine halbe Million. Mit ihren alltäglichen Pendelbewegungen dynamisieren sie ihr Leben stärker als dies der außeralltägliche Tourismus je könnte.

Von: Thomas Kernert

Stand: 08.04.2017 | Archiv

Berufspendler eilen hin und her | Bild: colourbox.com

Der Begriff "Heimat", so behaupten viele Berufsbayern, genieße im Freistaat einen besonders edlen, fast staatstragenden Ruf. Eben deshalb besitzt die bayerische Regierung ein Heimatministerium, der Bayerische Rundfunk eine TV-Serie mit dem Titel "Dahoam is dahoam" und jedes zweite Nest ein Heimatmuseum. Tatsächlich jedoch wird die "Heimat" immer abstrakter, immer fiktiver, immer schematischer. Grund dafür ist u.a. eine Bewegung, die auf einer Achse beständig um ihre heimatliche Ruheposition schwingt, Tag für Tag, Woche für Woche, Jahr für Jahr: Hin & her …

Der heißeste aller Pendler-Hotspots ist Bayerns Landeshauptstadt

Blick vom Turm der Peterskirche auf das Münchner Rathaus

Betrachtet man die Pendlerbewegungen geographisch, so gleicht das postmoderne Bayern einem Jaguarfell. Coburg, Schweinfurt, Würzburg, Bayreuth, Erlangen-Nürnberg, Regensburg, Ingolstadt, Augsburg und Passau sind die ziemlich gleichmäßig über das Land verstreuten dunklen Flecke, die Hotspots, in die die Pendler strömen. Der heißeste aller Hotspots ist die Landeshauptstadt. Wie ein riesiger Schwamm saugt sie am Morgen über Straße und Schiene rund 350.000 Menschen aus der Region auf. Wobei die "Region" vor allem jener viel zitierte Speckgürtel um München herum ist, der immer fetter wird und gerade im Begriffe steht, die Einwohnerzahl Münchens zu toppen: Eine ringförmige Großstadt im Schatten einer punktförmigen Großstadt. Um die Mittagszeit ist dieser schattige Speckgürtel eher mager, wohingegen München dann einer riesigen, prall gefüllten Wampe gleicht, die sich erst gegen Abend wieder leert. Dann strömen die 350.000 wieder in ihre Schattenschlafstädte zurück und schalten ihre Heizungen, Mikrowellen und Home-Entertainment-Systeme an.

Zu diesen sogenannten "Einpendlern" gesellen sich als Kontrapunkt noch knapp 150.000 "Auspendler" hinzu, die antizyklisch zur Mehrheit am Morgen München verlassen, und am Abend wieder zurückkehren. Sie fahren in den Autos auf der Gegenfahrbahn, sind die Menschen auf dem Bahnsteig gegenüber. Insgesamt befindet sich in der Großregion München an Werktagen rund eine halbe Million Menschen auf Reisen, meist sitzend, zum Teil aber auch stehend, und immer irgendwie -wartend.

Im Großraum München gibt es bereits eine halbe Million Pendler

Pendler am Münchner Hauptbahnhof

Mit ihren alltäglichen Pendelbewegungen dynamisieren sie ihr Leben stärker als dies der außeralltägliche Tourismus je könnte. Allein, sie merken es kaum, da sich ihre Pendelbewegungen in der heimtückischen Form einer statischen Gewohnheit vollziehen und von Bussen, Bahnen und PKWs ausgeführt werden. Und dennoch streichen diese oft stundenlangen Bewegungen die Begriffe der "Heimat", der "Ortsansässigkeit", der "Lebensmitte", des "Erfahrungshorizontes" tagtäglich mindestens zweimal aus: Einmal beim Hin, einmal beim Her. - Thomas Kernert, ehemaliger Innenstadtbewohner, heutiger MVV-Pendler, fährt in dieser Sendung mindestens ein Dutzend Mal hin & her und beleuchtet dabei die Momente der heimatlichen Unheimlichkeit ...


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