Bayern 2

     

hör!spiel!art.mix Hartmut Geerken: kalkfeld

Freitag, 15.01.2016
21:05 bis 22:30 Uhr

BAYERN 2

kalkfeld
Von Hartmut Geerken
Komposition und Realisation: Hartmut Geerken
BR 2001
Zur Sendung
Als Podcast verfügbar im Hörspiel Pool

kalkfeld ist eine Art Requiem für das Volk der Hereros. Es entstand nach einer Reise des Autors Hartmut Geerken nach Namibia. Die Geschichte des Landes ist nur wenigen bekannt. Die deutschen Kolonialherren schlugen 1904 einen Aufstand der Hereros brutal nieder. Durch die Kriegshandlungen, vor allem aber durch drakonische Strafmaßnahmen der Sieger starben 75 Prozent des Hererovolkes. Ein Genozid, der dazu diente, die deutschen Ansprüche zu sichern und zu festigen.
Geerken zeichnet auf seinen Wanderungen in der Nähe eines Ortes mit dem deutschen Namen Kalkfeld verschiedene Geräusche auf. Dieses Material verdichtet er im Hörspielstudio zu einer Originaltonkomposition, die die Geschichte des Landes hörbar werden lässt: keine Herero-Akustik, sondern menschenleere Gegenden mit riesigen Farmen, die ausnahmslos Weißen gehören. Gesangsfetzen klingen wie vom Wind herübergetragene Laute, Metalldrähte ähneln gezupften Saiteninstrumenten. Aus Windrädern, dem Öffnen und Schließen der Eisentore sowie dem Anschlagen eines Prügels auf die Drähte zwischen den hölzernen Pfählen der Weidezäune komponiert Geerken ein Klangbild.

Hartmut Geerken schreibt zu seinem Projekt:
"nachdem christliche missionare nicht nur mit der bibel, sondern auch mit waffen & alkohol den boden für die deutschen schutztruppen bereitet haben, wird 1895 die deutsche kolonialgesellschaft für südwestafrika gegründet. ihre aufgabe bestand darin, siedler anzuwerben & das weideland der hereros unter die deutschen eindringlinge zu verteilen. die herden der hereros waren für die infrastruktur des volkes bestimmend. herden & land gehörten allen & sie gingen davon aus, dass ihr vieh, trotz der zwielichtigen verträge mit den deutschen, auch in zukunft dort weiden könnte, wo es jahrhundertelang geweidet hatte.1904 erkennen die hereros, dass sie betrogen worden waren & erheben sich. general von trotha schlägt den aufstand nieder. zwischen 60 000 & 80 000 hereros werden erschossen, erschlagen oder mit waffengewalt in die wasserlose wüste getrieben, der jämmerliche rest des ehemals freien stolzen volkes (herero heisst wörtlich übersetzt ‚fröhliches volk‘) kommt um 1905 in konzentrationslager oder wird auf den deutschen farmen & in minen als sklaven eingesetzt. fast ganz namibia ist heute aufgeteilt in riesige postkoloniale farmen. das land ist durchzogen von endlosen drahtzäunen, die den besitzanspruch der farmer nur allzu deutlich werden lassen. mit einem prügel in der rechten & einem aufnahmegerät in der linken hand bin ich stundenlang mit schnellen schritten an diesen zäunen entlanggegangen. die entfernung der pfosten ist unterschiedlich gross, d.h. beim anschlagen entstehen oft minimale frequenzunterschiede. an den hauptzäunen sind schwere eisentore angebracht, die beim öffnen & schliessen ihre eigene sprache sprechen. ab & zu knarrt ein windrad, das spärliches wasser an die oberfläche holt. diese drei klangquellen bestimmen u.a. ‚kalkfeld‘. es sind eiserne zeugen von vergewaltigung & genozid des volkes der hereros, & nur ganz weit entfernt in dieser klanglandschaft meint man den tanz der hereros zu vernehmen, bei dem vier männer, mit den köpfen einander berührend, die bewegungen von rindern nachahmen & rauhe schreie ausstossen."

Hartmut Geerken, geb. 1939, Hörspielmacher, Musiker, Komponist, Schriftsteller, Herausgeber, Schauspieler, bildender Künstler, Para-Mykologe und Filmemacher. Studium der Orientalistik, Philosophie (bei Ernst Bloch), Germanistik und der Vergleichenden Literaturwissenschaften in Tübingen, Constantin/Algerien und Istanbul. BR-Hörspiele u.a. südwärts, südwärts (gemeinsam mit Herbert Kapfer; Karl Sczuka-Preis 1989), hexenring (Karl Sczuka-Preis 1994).