Bayern 2

     

radioTexte am Dienstag Astrid Lindgren: Tagebücher 1939-1945 (1/2)

Astrid Lindgren 1987 in Stockholm | Bild: picture-alliance/dpa

Dienstag, 01.12.2015
21:05 bis 22:00 Uhr

  • Als Podcast verfügbar

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"Oh! Heute hat der Krieg begonnen. Niemand wollte es glauben. Über allem und allen liegt eine furchtbare Beklemmung. Den ganzen Tag meldet das Radio in regelmäßigen Abständen die neuesten Nachrichten", lautet der Eintrag vom 1. September 1939 in den Tagebüchern von Astrid Lindgren. Unter dem Titel "Die Menschheit hat den Verstand verloren" beschreibt die schwedische Schriftstellerin das Kriegsgeschehen von 1939 bis 1945. Sie gibt auch Einblick in ihr Familienleben und erzählt von ihren ersten Schreibversuchen: 1944 schenkt sie ihrer Tochter das Manuskript von Pippi Langstrumpf zum Geburtstag.
Gelesen von Eva Mattes

"Oh! Heute hat der Krieg begonnen. Niemand wollte es glauben. Über allem und allen liegt eine furchtbare Beklemmung. Den ganzen Tag meldet das Radio in regelmäßigen Abständen die neuesten Nachrichten" lautet der Eintrag vom 1. September 1939 in den Tagebüchern von Astrid Lindgren. An diesem Tag überfällt Deutschland Polen und löst damit den Zweiten Weltkrieg aus. Astrid Lindgren ist zweiunddreißig Jahre alt und mit Sture verheiratet, den sie im "Königlichen Automobilclub" kennengelernt hatte, als sie dort als Sekretärin beschäftigt war. Sie wohnt in Stockholm, hat zwei Kinder. Gelegentlich werden ihre Kurzgeschichten in einigen Zeitschriften veröffentlicht. Mit ihrer Familie führt sie ein ruhiges Leben, wobei sie das Kriegsgeschehen genau beobachtet. Aus Zeitungen, dem Radio und den Berichten von Flüchtlingen erfährt sie das Ausmaß der Katastrophe. Dabei wird ihr auch bewusst, was sie für einen "Schmuddeljob" ausführt. Ab 1940 arbeitet die noch unbekannte Autorin in der Zensurabteilung des schwedischen Geheimdienstes. Da sie Deutsch kann, liest sie die in deutscher Sprache verfassten Briefe, die aus den besetzten Ländern nach Schweden kommen. Sie soll den Inhalt prüfen und mögliche landesverräterische Hinweise melden. Manchmal schreibt sie einen Brief ab und nimmt die Abschrift mit nach Hause, was strengstens verboten ist. Unter dem Titel "Die Menschheit hat den Verstand verloren" beschreibt die schwedische Schriftstellerin das Kriegsgeschehen von 1939 bis 1945. Sie gibt auch Einblick in ihr Familienleben und erzählt von ihren ersten Schreibversuchen, wobei sie nie etwas über ihre eigene Gefühlslage verrät. Mit einer einzigen Ausnahme. "Blut fließt, Menschen werden zu Krüppeln, überall Elend und Verzweiflung. Und ich kümmere mich nicht darum. Nur meine eigenen Probleme interessieren mich", notiert sie am 19. Juli 1944. Ihr Ehemann hat sich in eine andere Frau verliebt, will sie verlassen. In dieser Zeit ist ihre Tochter Karin häufig krank. Die besorgte Mutter erfindet die Figur der Pippi Langstrumpf. Das Manuskript bekommt Karin 1944 zum Geburtstag.  Es werden noch einige Jahre vergehen, bis aus der besorgten, gesellschaftlich und politisch engagierten Mutter mit dem "rothaarigen Mädchen", "Ronja Räubertöchter", "Karlsson vom Dach" und "Die Brüder Löwenherz" eine weltweit respektierte und gefeierte Schriftstellerin wird.
Es liest Eva Mattes