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Kommentar Blamage vermieden, Chance verpasst

Nach monatelangem Streit haben sich Bund und Länder auf einen Kompromiss zur Reform der Erbschaftsteuer geeinigt. Im Vermittlungsausschuss vereinbarten Bundestag und Bundesrat neue Regeln zur steuerlichen Begünstigung von Firmenerben. Der Bundestag soll das Gesetz kommende Woche verabschieden, der Bundesrat Mitte Oktober. Ein Eingreifen des Bundesverfassungsgerichtes dürfte damit verhindert sein. Die Blamage wurde vermieden, aber eine Chance wurde verpasst, findet Hauptstadtkorrespondent Charlie Grüneberg.

Stand: 23.09.2016

Im Hintergrund ein Schild "Schwarz Rot hat ein Herz für Superreiche"- Demonstranten halten am 30.06.2016 vor dem Bundesrat in Berlin Einweggläser in den Händen und lassen sich Sekt einschütten. Die Organisation Attac hatte zu einer Protestaktion gegen das geplante Erbschaftssteuer-Gesetz aufgerufen.  | Bild: picture-alliance/dpa

Sie hätten sich bis auf die Knochen blamiert, SPD, CDU, CSU und auch die Grünen, die in vielen Ländern mitregieren. Und am Ende ging es bei der Erbschaftsteuer-Reform vor allem darum, diese Blamage zu vermeiden. Denn wenn sich Bundestag und Bundesrat im Vermittlungsausschuss nicht auf einen Kompromiss geeinigt hätten und stattdessen die Richter am Bundesverfassungsgericht das Gesetz schreiben müssten – das Bild handlungsunfähiger Politik hätte nicht schlimmer sein können.

Das Gesetz wird vor allem die Steuerberater freuen

Die Blamage ist abgewendet, die Reform der Erbschaftsteuer sollte nun Bundestag und Bundesrat passieren. Herausgekommen ist ein klassischer Kompromiss – jeder musste geben, jeder die eine oder andere unangenehme Kröte schlucken. Der Nachteil: Das Gesetz ist kompliziert und wird vor allem eine Freude für Steuerberater. Und für Firmenerben, denn sie bleiben weiter größtenteils unbehelligt von der Erbschaftsteuer. Dass kaum jemand die neuen Regeln versteht, wird die Unternehmer dabei wenig stören, denn dann regt sich auch niemand darüber auf.

Wenn alle Gruppen unterschiedlicher Meinung sind, aber niemand eine Mehrheit hat, dann kommt eben ein solcher Kompromiss heraus – das sagt Olaf Scholz, der Hamburger Regierungschef und Vorsitzende des Vermittlungsausschusses. Der Realpolitiker mag damit zufrieden sein, ich bin es nicht.

Die Spanne zwischen Arm und Reich verkleinern? Mitnichten!

Erbschaftssteuer | Bild: picture-alliance/dpa zum Artikel Einigung bei Erbschaftssteuer Firmenerben bleiben begünstigt

Wieviel Steuern müssen Firmenerben zahlen? Die Zeit drängte, das Bundesverfassungsgericht saß der Politik im Nacken. Jetzt haben sich Bund und Länder auf einen Kompromiss verständigt. Von Charlie Grüneberg [mehr]

Man hat sich auf einen Kompromiss geeinigt und eine Blamage vermieden, aber die Politik hat auch eine Chance verpasst. Gerade in Deutschland konzentrieren sich große Vermögen in den Händen von wenigen Familien. Mit der Erbschaftsteuer ließe sich dieser Trend beim Übergang von einer Generation zur nächsten zumindest abschwächen und das mit weniger ungewollten Nebenwirkungen als beispielsweise mit der Vermögenssteuer. Auch hätte die Politik mit der Neuregelung der Erbschaftsteuer die Debatte starten können, wie bei einem immer größer werdenden Abstand zwischen Arm und  Reich sozialer Frieden und Gerechtigkeit gesichert werden sollen. Wie viel Verantwortung sollen Unternehmer, aber eben auch Erben, die ihr Vermögen ohne eigenes Zutun bekommen, für die Gesellschaft übernehmen.

Diesmal hat die Politik die Chance verpasst, doch sie wird eine weitere bekommen. Denn aufgrund seiner vielen Ausnahmen und komplizierten Sonderbestimmungen wird das Erbschaftsteuer-Gesetz  vermutlich wieder vor dem Verfassungsgericht landen. Dann müssen die Parteien die nötige Debatte über die Verteilung des Reichtums in unserer Gesellschaft führen, sonst wird auch der nächste Kompromiss eine Blamage.


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