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Ich bin keine Intellektuelle Susan Sontag und der Essay

"Ich bin keine Intellektuelle. Ich bin Schriftstellerin, alles andere ist ein Missverständnis" behauptete Susan Sontag, deren Essays sie zu der wichtigsten Impulsgeberin der amerikanischen Intellektuellenszene machten. Harry Lachner stellt die Autorin vor, deren Tod sich 2014 zum 10. Mal jährte.

Stand: 27.05.2015 | Archiv

Susan Sontag in Prag 2000 | Bild: picture-alliance/dpa

Die sechziger Jahre waren eine Zeit des Aufbruchs zu neuen Lebensmodellen und Erscheinungsformen. Susan Sontag, die 1933 in New York geborene Schriftstellerin, schrieb Essays und trug mit ihnen intellektuelle Auseinandersetzungen in die Öffentlichkeit. Dadurch sie wurde sie zur Galionsfigur.

Dabei stellte sie nicht nur die Phänomene und Erfahrungswirklichkeiten der Gegenwart in Frage, sondern auch ihre eigene Position. Keine Ideologie, keine analytische Systematik war Grundlage ihrer Texte, sondern eine stete Entmystifizierung fester Kategorien und Positionen.
Über ihre permanente Positionssuche beim Schreiben sagte sie:

"Ich erlebe das Schreiben als etwas, das mir gegeben wird. Ich lasse es kommen, versuche, nicht im Weg zu stehen. Ich respektiere es, weil das ich bin und doch auch mehr als ich. Etwas Persönliches und zugleich Überpersönliches."

Susan Sontag

Susan Sontag Sehnsuchtsort war Europa, vorrangig Paris, der Ort der Debatten und künstlerischer Diskurse.

"Ich wusste, dass ich nicht klug war, um ein Schopenhauer oder Nietzsche zu sein. Mein Ziel war, mich ihnen als ihre Schülerin hinzuzugesellen; auf ihrem Niveau zu arbeiten."

Susan Sontag

"Anmerkungen zu Camp"

Susan Sontag 2003 in Rom

Obwohl Susan Sontag das Schreiben von Essays nur als Nebentätigkeit sah - sie verstand sich als Literatin -, verfasste sie zahlreiche, international erfolgreiche essayistische Schriften. 1964 erschienen die "Anmerkungen zu Camp", wobei sie diese Ästhetisierung des Trivialen aus der Subkultur herausholte. Ihre Beschreibung der queeren Freude am Überzeichnen lieferte später die Grundlage für eine schwule Ästhetik. Zugleich betonte sie, es gebe keinen substantiellen Unterschied zwischen hoher und niederer Kultur.

Währenddessen durchlief die amerikanische Gesellschaft massive Veränderungen. Die Rassentrennung wurde verboten, die Beatles öffneten neue musikalische Perspektiven, Warhol, Rauschenberg und Cage zeigten Realisierungen einer neuen Ästhetik, die nicht in bisherige Konventionen passte. Susan Sontag fasste die erfolgende Auflösung von Gattungs- und Hierarchiegrenzen in plausible Worte. Damit gelang es ihr, zwischen dem etablierten akademischen Diskurs und neuen Kulturtheorien zu vermitteln.

Nicht nur die Diskurse in den Großstädten und an den Universitäten waren von den politischen und kulturellen Umwälzungen der 1960er Jahre beeinflusst, sondern die gesamte Gesellschaft. Susan Sontag stand als Galionsfigur für die theoretische Aufarbeitung dieser Bewegung und spiegelte in ihren Essays das Gefühl der Zeit wider. Sie machte die Untergrundkultur für den Mainstream kompatibel.

"Kunst und Antikunst"

Mit dem Essay "Kunst und Antikunst", in dem sie 1966 das Ungenügen an traditionellen Diskursformen akademischer Publikationen formulierte, schrieb Sontag einen vernichtenden Angriff auf das Selbstverständnis der USA.

"Ich bin nicht daran interessiert, irgendeine neue Form von Gesellschaft zu 'errichten'."

Susan Sontag

Susan Sontag war Analyse-Strategin, die abweichend von der klassischen Argumentationslinie immer versuchte, sich einem Thema von verschiedenen Seiten zugleich zu nähern. Sie verarbeitet Ereignisse analytisch, setzte - mit Walter Benjamin und Roland Barthes als ihre Vorbilder - viele Bausteine zu einer Theorie zusammen. Die Vielschichtigkeit des Alltags, die Beziehung zwischen Hoch- und Trivialkultur, der Begriff der "sensibilities" (eine Einheit von Denken und Fühlen, ein intuitives Verständnis von Kunst, Literatur, Film und sozialer Ereignisse) - das interessierte sie.
Intuition, Verstand und Fühlen sind in der Analyse gleichermaßen gefordert. Die Trennung von Inhalt und Form lehnte sie ab, und damit auch die allein inhaltliche Interpretation eines Werkes.

"Ich sah mich als Kämpferin einer sehr alten Schlacht: gegen das Philistertum, gegen ethische und ästhetische Seichtheit und Gleichgültigkeit."

Susan Sontag

In "Krankheit als Metapher" machte Sontag den Versuch, die Tabuisierung von (Krebs-)Erkrankungen aus kulturhistorischer Sicht zu analysieren. Niemand sei schuld daran, dass er krank wird. Unter der Bevölkerung stieß sie mit dieser Schrift über die Entdämonisierung von Krebs auf enorme Zustimmung.

Brillanz, Eigensinn, Spontaneität und ein radikal subjektiver Blick auf individuelle Systeme bestimmten Sontags Schreiben und machten sie zum Leitbild der politisch linken Szene. Sie sah die Funktion von Literatur darin, das Selbst in der Geschichte zu enthüllen und den bewussten Leser zum Denken und Urteilen zu bewegen.

Essays von Susan Sontag

1964: Anmerkungen zum Camp
1966: Kunst und Antikunst
1969: Reise nach Hanoi
1969: Gesten radikalen Willens
1977: Über Fotografie
1978: Krankheit als Metapher
1980: Im Zeichen des Saturn
1988: Wallfahrt
1995: Über Howard Hodgkin
2003: Das Leiden anderer betrachten


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